Eine Aufnahme der italienischen Marine zeigt ein Flüchtlingsboot am 25. Mai 2016, das kurz vor dem Kentern steht. (dpa)
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Seit der 2016 verkündeten „Schließung“ der Balkanroute häufen sich Berichte über Zurückweisungen und Gewalt gegenüber Geflüchteten entlang der Grenzen. Laut internationalem Recht sind sogenannte Pushbacks an der Grenze jedoch illegal – wenn die Person klar macht, dass sie einen Asylantrag stellen will, ist der jeweilige Staat verpflichtet, das Gesuch zu prüfen. Viele EU-Länder praktizieren Pushbacks trotzdem.

Sowohl die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als auch die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verbieten eine Rückweisung von Geflüchteten an der Grenze ohne eine Einzelfallprüfung. Einzige Ausnahme: Wurde die Person bereits in einem anderen EU-Staat registriert, kann sie gemäß Dublin-Verordnung dorthin zurückgeschoben werden.

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch (HRW) prangern die Praxis der Pushbacks immer wieder an, besorgniserregend sei dabei die oft damit einhergehende Anwendung von Gewalt.

Als großen Rückschlag werteten NGOs ein Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom Februar, das Pushbacks an der EU-Außengrenze unter gewissen Umständen erlaubt. Spanien sei in dem Fall nicht an den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) gebunden, weil die beiden gegen den Staat klagenden Afrikaner den Grenzzaun in der nordafrikanischen spanischen Exklave Melilla überklettert hatten und so bewusst illegal handelten.

Nach Ansicht des Menschenrechtsexperten Manfred Nowak von der Universität Wien entspricht dieses Urteil „nicht den bisher gültigen internationalen Standards“, verwies er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur APA auf die darauffolgende „massive Kritik“. Einige Details seien noch offen, so Nowak. Er rechnete damit, dass der Gerichtshof das Urteil „in Zukunft insofern klarstellen wird, als dass ein normaler, irregulärer Grenzübertritt sehr wohl das Recht beinhaltet, nicht sofort zurückgeschoben zu werden“.

Kettenabschiebungen im Balkan

In Österrreich hat sich in diesem Jahr die Zahl der Zurückweisungen in Richtung Slowenien im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt (bis Ende September 134 Personen). Die jüngsten Fälle für offenbar österreichische Pushbacks sind Anfang September bekannt geworden. Mehrere Personen sollen in der Steiermark, nahe der österreichisch-slowenischen Grenze, aufgegriffen, registriert, dann aber an die slowenische Polizei übergeben worden sein, obwohl sie zum Ausdruck gebracht hatten, einen Asylantrag stellen zu wollen, wie Ö1 kürzlich berichtete. Das Innenministerium weist die Vorwürfe „auf das Schärfste zurück“.

Als rechtliche Grundlage für die Zurückweisung wird das „Abkommen zur Übernahme von Personen an der gemeinsamen Grenze“ von 1993 genannt. Dieses gilt laut Rechtsexperten der „asylkoordination Österreich“ jedoch nicht, sobald die Person zum Ausdruck bringt, um Asyl bzw. Schutz ansuchen zu wollen – in diesem Fall gilt das nationale Asylrecht.

Amnesty International beobachte die Berichte über die mutmaßlichen illegalen Pushbacks „genau und mit Sorge“, hieß es gegenüber der APA. Die Berichte erinnerten an die „illegalen Praktiken der Behörden in anderen europäischen Ländern wie Kroatien, Griechenland oder Malta, die wir wiederholt kritisiert haben“. Die Vorwürfe in Österreich seien „sehr ernst“ und müssten untersucht werden.

Besonders heikel ist die Frage der Pushbacks von Österreich nach Slowenien, weil es dadurch Kettenabschiebungen – nach Kroatien und weiter in das Nicht-EU-Land Bosnien-Herzegowina – auslöst. Vor allem kroatischen Behörden wird die Anwendung exzessiver Gewalt vorgeworfen. Nach Ansicht von Experten gilt hier deshalb das Non-Refoulement-Prinzip, das die Ausweisung, Auslieferung oder Rückschiebung von Personen verbietet, wenn die Annahme besteht, dass ihnen im Zielland Folter, unmenschliche Behandlung bzw. schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

EU-Grenzschutzagentur Frontex „Komplize“ in Griechenland und Malta

In einem höchst umstrittenen Schritt hatte Athen Anfang März wegen der vorübergehenden türkischen Grenzöffnung für Flüchtlinge alle Asylverfahren auf Eis gelegt. Im Zuge dessen wurden auch die Grenzkontrollen massiv verstärkt, griechische Grenzschützer gingen an der Landgrenze mit Tränengas gegen Asylsuchende vor und auch in der Ägäis kontrolliert Griechenland seine Außengrenze mit starken Einheiten. Seiher mehren sich die Vorwürfe illegaler Pushbacks. Die griechische Küstenwache wird etwa beschuldigt, Schlauchboote mit Migranten an Bord in der Ägäis bewusst zu blockieren und in Richtung Türkei zurücktreiben. An jüngsten Aktionen sind laut mehreren Medienberichten auch Beamte der EU-Grenzschutzagentur Frontex beteiligt gewesen. Frontex hat die Vorwürfe dementiert, will aber eine Untersuchungskommission einsetzen.

Inzwischen geriet auch die EU insgesamt in den Fokus der Kritik, da Brüssel seit einigen Jahren die libysche Küstenwache etwa finanziell unterstützt. Diese sorgt dafür, dass die meisten Flüchtlingsboote gar nicht mehr in internationale Gewässer kommen und so in das Bürgerkriegsland zurückkehren müssen. Laut Amnesty fing die Küstenwache seit 2016 rund 60.000 Menschen auf See ab und brachte sie zurück nach Libyen. Dort werden Flüchtende in sogenannte Internierungslager gebracht, in denen sie laut Menschenrechtsorganisationen Folter, Missbrauch und Sklaverei ausgesetzt sind.

Malta muss sich ähnliche Vorwürfe wie Griechenland gefallen lassen. Laut Amnesty schiebt auch das kleine Mittelmeerland Flüchtlingsboote aus der eigenen Seenotrettungszone nach Libyen zurück. Dabei sollen mehrere Personen ums Leben gekommen sein. Auch hier sei die EU-Grenzschutzagentur Frontex in vielen Fällen „Komplize“.

TRT Deutsch