Armin Laschet auf der 75-Jahr-Feier der Gründung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. (AFP)
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Der Sieg hat viele Väter, die Niederlage nur einen. Der derzeitige Verlauf des Bundestagswahlkampfes lässt erkennen, dass dieses Sprichwort im Fall der Union bereits auf sich abzeichnende Wahlschlappen anzuwenden ist. Gelingt keine jähe Trendwende mehr, werden CDU und CSU möglicherweise gar nicht mehr der nächsten Bundesregierung angehören. Der Unmut innerhalb und außerhalb der Partei richtet sich vor allem gegen Spitzenkandidat Armin Laschet.

Söder weist Kandidatur-Ambitionen auch für 2025 zurück

Offen wird ein möglicher Wechsel des Kanzlerkandidaten hin zu CSU-Chef Markus Söder als Option ins Treffen geführt. Erst am Mittwoch – am gleichen Tag, an dem auch die Forsa-Umfrage erschien – hatte der „Münchner Merkur“ eine Civey-Befragung publiziert. Dieser zufolge wünschen sich selbst unter den Unionsanhängern 70 Prozent den fliegenden Wechsel zu Markus Söder, und nur noch 23 Prozent stehen zum aktuellen Kanzlerkandidaten.

Söder selbst machte unterdessen in einem Gespräch mit einem bayerischen Fernsehsender deutlich, dass er nicht bereit sei, in den laufenden Wahlkampf als Kanzlerkandidat einzugreifen. Zudem schließt der CSU-Chef bereits jetzt eine mögliche Kanzlerkandidatur für 2025 aus.

Er habe „einmal ein Angebot gemacht, ein zweites Mal bringt überhaupt nichts“, erklärte der bayerische Ministerpräsident gleichsam aus dem Schmollwinkel. Zudem verwahrte er sich gegen Vorwürfe des CDU-Finanzexperten Friedrich Merz, Laschets Wahlkampf durch „Sticheleien“ unterminieren zu wollen. Stattdessen, so Söder, versuche man ihn zum Kritiker zu stempeln, sobald er auch nur „einen Hauch von eigenständigen CSU-Positionen“ äußere.

Peinlichkeiten werden anderen eher verziehen als Laschet

Söder hatte der CDU mehrfach einen „Schlafwagen-Wahlkampf“ vorgeworfen. Auch Helmut Kohls einstiger persönlicher Wahlkampfberater Hans-Hermann Tiedje spottet in der „Bild“: „Die Union macht einen undefinierbaren Wahlkampf nach dem Motto: Halt mal die Hand aus dem Fenster und fühl, wie dunkel es ist! Das funktioniert nicht.“

Tatsächlich ist Laschet ein dankbares Ziel für Schuldzuweisungen. Durch unglückliche Auftritte wie in Erftstadt, als ihn eine Kamera lachend und scherzend einfing, während Bundespräsident Steinmeier eine Rede an Flutopfer hielt, lieferte er selbst Angriffsflächen. Schnitzer in Reden wie jüngst in Berlin, als er die „Landshut“-Entführung historisch unzutreffend einordnete, oder ein kohleschwarzes Gesicht als Signal an Bergleute im Wahlkampfspot hätten Medien anderen Kandidaten möglicherweise verziehen – Laschet jedoch nicht.

Auch Söders Umfragewerte sind katastrophal

Laschet hat schon innerhalb der Union selbst einen undankbaren Stand. Anders als Angela Merkel ohne Kanzlerbonus ausgestattet, ist er zum einen mit CDU-Kreisen konfrontiert, die sich immer noch nicht damit abfinden können, dass er sich in der Stichwahl zum Bundesvorsitzenden gegen Friedrich Merz durchsetzen konnte. Dazu kommen jene, die Söder der besseren Umfragewerte wegen als Kanzlerkandidaten haben wollten und nun angesichts des enttäuschend verlaufenden Wahlkampfs „Dienst nach Vorschrift“ machen.

Dass eine jüngste Umfrage auch für Söder und die CSU in Bayern desaströse Werte ausweist, bleibt vielfach unbemerkt. Den Zahlen zufolge würden bei einer Landtagswahl nur noch 34,5 Prozent der Bayern die Christlichsozialen wählen – ein Minus von acht Prozent innerhalb weniger Wochen. Auch Söders persönliche Beliebtheit hat sich deutlich unter 50 Prozent eingependelt.

Derweil klagt der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann gegenüber RTL und ntv, durch externe Ereignisse seien die Wähler von den Botschaften der Union „abgelenkt“ worden, „zuerst von [Debatten um Plagiatsvorwürfe gegen die grüne Kandidatin] Baerbock, dann von der Flut und Afghanistan“.

Laschet hätte mit Haseloff-Strategie punkten können

Diese höchst eigenwillige Analyse dürfte unfreiwillig illustrieren, wo das Problem der Union tatsächlich liegt. Armin Laschet hat als Ministerpräsident in NRW eine erfolgreiche Politik betrieben. Er wäre ein integrationsfähiger, solider Kandidat, der bei der Betonung der richtigen Themen durchaus in der Lage wäre, zu begründen, warum das Land eine starke Union brauche – ähnlich wie es auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff im Juni auf Landesebene gelungen war, einem konservativen, aber auch empathischen und integrativen Kurs gegen Ideologen von links und rechts zum Erfolg zu verhelfen.

Was Laschet, der im Wahlkampf nun von ihm selbst ursprünglich bekämpfte Projekte wie die „Energiewende“ oder die „Ehe für alle“ als Errungenschaften verteidigen muss, auf den Kopf fällt, ist die Merkel-Strategie, nie gegen die Medien zu regieren und auf Kampagnen von links mit Entgegenkommen zu antworten – auch wenn diese ideologisch und irrational getrieben sein sollten.

„Wandel durch Annäherung“ scheitert bei den Grünen

Während Helmut Kohl in den 16 Jahren seiner Regierungszeit gegenüber kritischen Medien notfalls auf Konfrontationskurs ging und einzelne von ihnen sogar öffentlich abkanzelte, perfektionierte Merkel die Taktik der Agenda-Übernahme. Gegenüber der SPD erwies sich diese in der Ära nach Gerhard Schröder als erfolgreich: Die Union übernahm zahlreiche sozialdemokratische Positionen, verwies auf deren Durchsetzung als Kanzlerpartei und drängte den Koalitionspartner links ins Abseits.

Gegenüber den Grünen versuchte man dasselbe: Als ein Tsunami nach einem Seebeben vor der Küste Japans ein AKW in Fukushima beschädigt hatte und linksgerichtete Medien eine Angstkampagne vor der Atomkraft lancierten, verkündete Merkel ohne lange Rücksprache mit Regierungskollegen und Partei den Atomausstieg. Später kam noch der aus der Kohle dazu – und selbst Misserfolge der „Energiewende“ wie die Pleite hoch subventionierter Unternehmen wie Q-Cells waren für die Union kein Anlass mehr, den Ausstieg aus der CO2-emissionsarmen Kernkraft zu hinterfragen. Auch explodierende Strompreise, Deindustrialisierung und zunehmende Abhängigkeit von ausländischen Energielieferungen konnten die „ergrünte“ Regierung Merkel nicht beeindrucken.

Stattdessen setzte man mit dem politisch verordneten Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor noch einen drauf – als Antwort auf die medial gepushte „Fridays for Future“-Kampagne zur Erzeugung von Klimapanik und auf Kritik dubioser Influencer im Vorfeld der Europawahl. Zum Vergleich: Als Helmut Kohl noch Kanzler war, marschierten 1982 und 1983 monatelang bundesweit bis zu 1,3 Millionen Anhänger der „Friedensbewegung“ gegen den Nato-Doppelbeschluss auf – der Kanzler und die CDU rückten jedoch nicht von ihrer Position ab.

Parteienspektrum am Ende der Ära Merkel ausgefranst

Die Union unter Merkel hat auf diese Weise verkannt, dass eine Strategie, die in der Mitte des politischen Spektrums funktioniert, nicht zwangsläufig auch gegenüber ideologischen Kräften den Rändern funktioniert – zu denen neben der Linkspartei links und der AfD rechts zweifellos auch die Grünen zu zählen sind. Vielmehr kann der Versuch, radikale Kräfte zu schwächen, indem man als Mitte deren Themen und Positionen übernimmt, zu deren Normalisierung beitragen und dazu führen, dass die Mitte stetig neuen Maximalforderungen hinterherläuft.

Diese Dynamik scheint die Union insbesondere mit Blick auf die Grünen oder klima-apokalyptische NGOs aus deren Umfeld überrollt zu haben. Kaum hat die unionsgeführte Regierung ein neues „Klimapaket“ geschnürt, wird dieses von Grünen und diesen nahestehenden Organisationen als völlig unzureichend gebrandmarkt. Da sie auf medialen Rückenwind bauen können, gelingt es ihnen, die Mitte unter Druck zu setzen, noch radikalere Öko-Programme ohne Rücksicht auf Konkurrenzfähigkeit und Kaufkraft auf den Weg zu bringen.

Am Ende verlieren CDU und CSU im eigenen Stammpublikum mehr Wähler, als sie auf fremdem Terrain gewinnen. Hatte die Union zu Beginn der Ära Merkel mit 35 Prozent der Wählerstimmen begonnen, liegt sie heute nur noch knapp über 20 Prozent. Auch die mittlerweile zur stärksten Kraft gewordene SPD erreicht mit 23 Prozent nicht einmal ein Viertel der deklarierten Wähler.

Demgegenüber ist das politische Spektrum nach links und rechts ausgefranst, sonstige Parteien kommen zusammen auf fast zehn Prozent und die Wahlbeteiligung droht sich dem Minusrekord von 70,8 Prozent im Jahr 2009 anzunähern. Armin Laschet zum Sündenbock für diese durch Konturenarmut und Beliebigkeit der Union mitbegünstigte Entwicklung zu stempeln, wäre nicht nur ihm gegenüber unfair, sondern dämpfte auch die Hoffnung auf eine Erholung der ehemals großen Volkspartei der Mitte.

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