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Eine Großen Koalition sollte laut Experten eigentlich nur bei sehr außergewöhnlichen oder krisenähnlichen Umständen in Betracht gezogen werden. In der Bundesrepublik regiert sie seit Jahren. Wie lange noch?

Rückblickend auf das Jahr 2019 ist ohne Zweifel festzustellen, dass die Bundesregierung sowohl innen- als auch außenpolitischen Herausforderungen in verschiedenster Weise gegenüberstand. Dass dabei sowohl in den Medien als auch in den politischen Kulissen oft die allerletzte Frage im Vordergrund stand, nämlich, ob die sogenannte „Große Koalition“ (GroKo) demnächst doch zusammenbrechen wird, kennzeichnete sich als ein durchaus merkwürdiges Problem.

Jene Ableitungen und der nahezu permanente Drang zur Hinterfragung einer eher aus parlamentarischer Sicht nicht sehr üblichen Großen Koalitionsregierung beinhaltet zwar viele Faktoren, von denen jedoch eins besonders zu beachten ist. Einigen Stimmen aus akademischen Kreisen bzw. der Medienwelt zufolge liegt das Problem einer sogenannten „Großen Koalition“ darin, dass es eigentlich nur bei sehr außergewöhnlichen Umständen in Betracht gezogen werden sollte. Als Beispiele dazu könnte man eventuell eine Wiedervereinigung oder ähnliche wichtige nationale Ereignisse nennen, in denen sehr große Teil der Bevölkerung am staatlichen Entscheidungsmechanismus, in der Form der exekutiv-administrativen Gewalt, somit ihre Stimme vertreten sehen. Aus kritischer Perspektive wird somit hinterfragt, dass das Land seit 2013 durch die beiden größten deutschen Volksparteien CDU/CSU und SPD gemeinsam regiert wird, was letzten Endes zur Schwächung dieser beiden Lager führt und des weiteren alle anderen marginaleren Parteien in die Mitte bringt.

Gleichzeitig ist zu beachten, dass sich die politische Realität seit einiger Zeit in eine nicht überschaubare Richtung bewegt. Volksparteien, die die sogenannte Große Koalition bilden, erfahren seit einigen Jahren und insbesondere seit Beginn der letzten Legislaturperiode Ende 2017 bzw. Anfang 2018 schlechte oder sogar die schlechtesten Umfragewerte in ihrer Parteigeschichte. Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik konnten in diesem Sinne wohl kaum hinwegsehen, dass bei bestimmten tagespolitischen Themen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalitionsregierung entstanden, die letzten Endes auch ein Ende der Koalition hätte bedeuten können. Auch im letzten Jahr kam es des Öfteren und bei spezifischen Anlässen dazu, dass sowohl partei-interne Unstimmigkeiten aber auch fundamental-unterschiedliche Standpunkte innerhalb des Kabinetts die Medien beschäftigten - und beinahe zu einem Koalitionsende führten. Interessant aber in gewisser Hinsicht auch verständlich schien es zu sein, dass die Infragestellung der Koalition sich allmählich zu einer gelegentlichen Angewohnheit entwickelte.

Während im Jahr 2018 Bundeskanzlerin Angela Merkel noch gleichzeitig auch als CDU-Vorsitzende zu handeln versuchte und sich dabei vielmals aufgrund von Meinungsunterschieden gegenüber der bayerischen Schwesterpartei CSU zu Zugeständnissen gezwungen sah, zog sie sich nach schlechten Wahlergebnissen auf Länderebene Ende 2018 aus „CDU-internen“ Geschehnissen zurück. Gleichzeitig aber sprach sie der neuen CDU-Vorsitzenden, Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK), die sich Ende 2018 gegen Friedrich Merz durchsetzen konnte, ihre Unterstützung aus.

2019 wurde man ebenfalls Zeuge von ähnlichen Entwicklungen wie im ersten Jahr der GroKo, da sowohl aus zahlreichen Kreisen der CDU/CSU als auch der SPD gelegentlich zum Bruch und der sofortigen Beendigung der Großen Koalition aufgerufen wurde. Gewiss waren für diese Apelle und die nachfolgenden Entwicklungen die schlechten Wahlergebnisse beider Parteien insbesondere bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen oder aber die Europawahlergebnisse im Juni 2019 maßgeblich. Dass die SPD nach der Europawahl ihre sowieso bereits unzählige Mal und eher hoffnungslos ausgetauschte Parteispitze nun - aufgrund von SPD-Chefin Andrea Nahles’ Rückzug aus der Politik- nochmals ändern musste, schien fast keinen mehr zu überraschen. Nach dem Rücktritt von Nahles als SPD- und Fraktionsvorsitzende begab sich die SPD zu einer langen und mühsamen Mitgliederbasisbefragung, bei der letzten Endes am 6. Dezember 2019 Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zum ersten Mal im Format einer sogenannten Doppelspitze gewählt werden konnten.

Esken und Walter-Borjans galten als bekannte Kritiker der GroKo, was sie auch während des Wahlkampfes deutlich zum Ausdruck brachten. Trotz aller Kritik an der Fortsetzung der Bundesregierung und dem Aufruf nach einer Neuverhandlung des Koalitionsvertrages, relativierte das neue SPD-Duo die Forderungen nach der Wahl zur SPD-Spitze. Dennoch scheint ein Ende der zum Teil großen Meinungsunterschiede bezüglich der GroKo auch im Jahr 2020 nicht in unmittelbarer Nähe zu sein.

Man sehe sich nur die aktuellsten Unstimmigkeiten an. Als Ende Dezember Bundesverteidigungsministerin und CDU-Vorsitzende AKK ein robusteres Mandat für deutsche Soldaten in der südlichen Sahara gefordert hatte, da Deutschland sich in dieser Region „nicht wegducken“ dürfe, wiedersprach ihr die neue SPD-Vorsitzende Saskia Esken. Mit den Worten „Wir akzeptieren keine undurchdachten Militäroffensiven und keine Redefinition der deutschen Außenpolitik aus dem Verteidigungsministerium“, wies Esken auf den Vorstoß von AKK zu Syrien hin, in der AKK ebenso wie damals Mitte Oktober wieder ohne Absprache in der Bundesregierung agiere. Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte damals der Bundesverteidigungsministerin AKK ebenfalls vorgeworfen, mit ihrem innerhalb der Bundesregierung nicht besprochenen Vorstoß zu einer internationalen Schutztruppe in Nordsyrien die deutsche Außenpolitik beschädigt zu haben. Zweifelsfrei war hier eine Art Profilierung seitens der Verteidigungsministerin erhofft, womöglich ausgelöst durch ihre schlechten Umfragewerte, was ihr dann doch nicht gelang.

Angesichts der aktuellen Streitigkeiten innerhalb der Koalition scheint es, dass Oppositionspolitiker sich im Hinblick auf zukünftige Koalitionen ebenfalls nun öfters zu Wort melden. So sollte es niemanden überraschen, dass die FDP jetzt schon ankündigte, nach der nächsten Bundestagswahl, die womöglich im Herbst 2021 stattfinden wird, zu neuen Verhandlungen über eine sogenannte Jamaika-Koalition bereit zu sein. Eine ähnliche Unruhe scheint sich auch innerhalb der CSU bemerkbar zu machen, da Parteichef Söder neulich für die zweite Hälfte der Legislaturperiode eine Umbildung der Bundesregierung seitens Bundeskanzlerin Merkel forderte, um somit eine „Aufbruchstimmung“ herbeizuführen.

Alles in allem wirkt es so, dass die deutsche Politik auch im Jahr 2020 permanent der Frage begegnen wird, ob und wie lang die GroKo so noch fortgesetzt werden kann. Es ist dennoch anzuzweifeln, dass es zu vorgezogenen Neuwahlen vor dem Herbst 2021 oder zu einer Minderheitenregierung kommen wird. In diesem Sinne scheint es aber auch nicht allzu überraschend zu sein, dass die angespannte Stimmung im Hinblick auf die inner-parteilichen Strukturen der Regierungsparteien sich auch auf das Kabinett der GroKo übertragen lässt. Dies ist letzten Endes aber eine Realität der deutschen Politik, der man nicht ausweichen kann.

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