06.12.2022, Albanien, Tirana: EU und Albanische Flaggen wehen in Tirana beim EU-Westbalkan-Gipfel. Thema des Gipfels sind die EU-Beitrittsperspektiven der Westbalkanländer. / Photo: DPA (dpa)
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Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten treffen sich an diesem Dienstag (11.00 Uhr) mit ihren Kollegen aus Serbien und den anderen Westbalkanländern. Thema des Gipfels in der albanischen Hauptstadt Tirana soll unter anderem der Umgang mit Russland sein. So hat sich Serbien bislang nicht den EU-Sanktionen wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine angeschlossen und pflegt weiterhin relativ enge Beziehungen zur Regierung in Moskau. Alle Westbalkanstaaten streben eigentlich eine EU-Mitgliedschaft an, sind jedoch in dem Verfahren unterschiedlich weit. Neben Albanien und Serbien geht es um Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und das Kosovo. Entgegen einer früheren Ankündigung will Serbiens Präsident Aleksandar Vucic zu dem Spitzentreffen anreisen. „Würde ich nicht hinfahren, hätte es vielleicht keinen Nutzen, sondern würde unserem Land großen Schaden zufügen“, erklärte er am Montag am Rande einer Truppenübung in der Nähe von Belgrad vor Journalisten. Vucic hatte seine Teilnahme am Freitag zunächst abgesagt. Als Grund nannte er seine Empörung über den kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti. Dieser hatte am selben Tag einen ethnischen Serben mit einem Ministeramt betraut, der nicht das Vertrauen von Vucic hat. Die Regierung in Belgrad erkennt das seit 2008 unabhängige Kosovo nicht an, das früher zu Serbien gehört hatte. Illegale Migration eines der Hauptgesprächsthemen Für viele EU-Staaten ist bei dem Treffen in Tirana neben Russland vor allem das Thema illegale Migration wichtig. Über den Westbalkan kamen zuletzt wieder deutlich mehr Menschen in die Europäische Union. Allein im Oktober wurden nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex 22 300 unerlaubte Grenzübertritte gezählt - fast drei Mal so viele wie im Vorjahreszeitraum. Und das sind nur die dokumentierten Fälle. Die EU-Kommission stellte deshalb am Montag einen Aktionsplan vor, der eine engere Zusammenarbeit mit den Staaten der Region vorsieht. Die EU fordert von den Balkanstaaten vor allem, ihre Visa-Politik an die der Europäischen Union anzugleichen. Bislang können etwa Menschen aus Indien visumfrei nach Serbien einreisen, von wo aus sie zuletzt vermehrt in die EU weiterreisten und dort einen Asylantrag stellten. Als erstes Entgegenkommen hatte Serbien zuletzt bereits die Visumfreiheit für Reisende aus Tunesien und Burundi aufgehoben. Brüssel will Westbalkanländer enger an die EU binden Am Rande des Gipfels soll eine freiwillige Erklärung zwischen Telekom-Unternehmen aus der EU und vom Westbalkan unterzeichnet werden - mit der Aussicht, die Roaming-Gebühren für Reisende von Oktober 2023 an zu reduzieren. Bis 2027 sollen Zusatzkosten für die Handynutzung ganz wegfallen. Grundsätzlich will die EU die Westbalkanländer enger an sich binden und sie zu weiteren Reformen ermuntern, die dann irgendwann in einem Beitritt zur Europäischen Union münden sollen. Dazu gibt es auch finanzielle Unterstützung in Milliardenhöhe. So will die EU auch verhindern, dass andere Staaten wie Russland oder China weiter an Einfluss in der Region gewinnen. Diese versuchen unter anderem durch Großinvestitionen, Abhängigkeiten zu schaffen. In der Europäischen Union wird das vielerorts mit großer Sorge gesehen - vor allem auch, da die Balkanstaaten inmitten der EU liegen und an Mitgliedsländer wie Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Kroatien grenzen. Keines der Westbalkanländer hat eine konkrete Beitrittsperspektive Dennoch umstritten ist innerhalb der EU, ob angesichts der Einflussversuche Moskaus und Pekings die Verfahren zur EU-Erweiterung beschleunigt werden sollten. Derzeit hat keines der Westbalkanländer eine konkrete zeitliche Beitrittsperspektive. Mit Montenegro und Serbien führt die EU bereits seit 2012 beziehungsweise 2014 Beitrittsverhandlungen, mit Albanien und Nordmazedonien wurde dieser Prozess in diesem Jahr gestartet. Für Bosnien-Herzegowina hat die EU-Kommission jüngst den Kandidatenstatus empfohlen. Das Kosovo ist bislang lediglich potenzieller Beitrittskandidat. Über die vergangenen Jahre ist der Annäherungsprozess grundsätzlich ins Stocken geraten. Der Zustand der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bereitet der EU Sorge. Vor allem Serbien gilt heute aus EU-SIcht als autokratischer, repressiver und für die Region destabilisierender als noch vor zehn Jahren. In Bosnien blockieren sich - unter dem destruktiven Einfluss Belgrads - die politischen Akteure und Montenegro droht ganz unter den Einfluss Serbiens zu geraten. Aber auch in den klar pro-westlichen Ländern Albanien und Kosovo fiel das politische Führungspersonal zuletzt durch autoritäre Tendenzen auf. Weil der Westbalkan-Gipfel in Tirana das erste Treffen dieser Art in der Region ist, sprach EU-Ratspräsident Charles Michel im Vorfeld von einem „sehr symbolischen“ Ereignis. Für Deutschland wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der albanischen Hauptstadt erwartet.

dpa