15.05.2024, Nordrhein-Westfalen, Köln: Blick auf ein Straßenschild in der Keupstraße. Am 09 Juni jährt sich das Nagelbombenattentat des NSU zum 20. Mal. / Photo: DPA (dpa)
Folgen

Meral Şahin, die Inhaberin von „Meral Deko“, ist seit elf Jahren Vorsitzende der Interessengemeinschaft Keupstraße, in der sich die ortsansässigen Geschäftsleute zusammengeschlossen haben. In ihren Augen hat der Erfolg der AfD ein Gutes: Es könne jetzt niemand mehr bestreiten, dass es auch in Deutschland ein Problem mit Rassismus gebe. „Viele deutsche Freunde haben das lange verleugnet. Jetzt ist es sichtbar. Für alle. Und das ist eine Chance für uns, gemeinsam dagegen zu agieren.“

Ein solches gemeinsames Agieren war vor zehn Jahren das Fest „Birlikte - Zusammenstehen“. Zehntausende kamen damals – nicht nur, um des Anschlags zu gedenken und über Rassismus zu diskutieren, sondern auch, um Toleranz und Offenheit zu feiern. „Wir haben dadurch gelernt, dass Begegnung das Wesentliche ist, was hilft“, sagt Şahin. „Wenn sich Mensch und Mensch gegenübersitzen und miteinander ins Gespräch kommen, dann ist das nachhaltig.“ Am 20. Jahrestag des Anschlags soll es eine Neuauflage des Kulturfestivals geben, auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will kommen.

Etwas Besonderes ist auch das gemeinsame Fastenbrechen am Ende des Ramadans: Dann stehen auf der Keupstraße Tische in einer unabsehbar langen Reihe aneinander, über Hunderte Meter, und etwa 2500 Besucher lassen sich zum Essen und Schwatzen nieder. Jeder und jede ist willkommen, man muss kein Muslim sein. Bezahlt wird dieses wohl größte Open-Air-Fastenbrechen in Nordrhein-Westfalen von den Geschäftsleuten der Keupstraße. „Das ist unsere Antwort auf den 9. Juni 2004“, sagt Meral Şahin nicht ohne Stolz.

In den Jahren nach dem Anschlag hätten die Anwohner auch gelernt, „mit dem eigenen Rassismus umzugehen“, sagt sie selbstkritisch. Gemeint sind „die kleinen feinen Ausgrenzungen im Alltag“, etwa gegenüber Nachbarn, die aus einer anderen Region in Türkiye stammen. „Man hat das nie ausgesprochen, aber man hat den anderen einfach gemieden, weil zum Beispiel jemand behauptet hat ‚Der Kurde mag den Türken nicht‘ oder ‚Der Türke mag den Kurden nicht‘. Heute haben wir ein viel besseres Miteinander.“

Wirtschaftlich hat sich die Straße vor allem in dem Punkt verändert, dass es heute mehr Juweliere gibt als vor 20 Jahren. Sie ist noch mehr zu einer Hochzeitsstraße geworden, wobei große Brautmodengeschäfte fehlen, weil die Geschäftsräume in den schmalen Gründerzeit- und Nachkriegshäusern dafür zu klein sind. Weit über die Grenzen von NRW hinaus bekannt ist die Restaurantszene. „Die Restaurants mit dem sehr authentischen Essen, dem Geschmack der Heimat sozusagen, sind unverändert geblieben, aber durch die Schmuckbranche ist die Straße immer heller, bunter, beleuchteter geworden“, sagt der Juwelier Muhammed Özkan.

Schade sei nur, dass das deutsche Kundenklientel immer noch überschaubar sei: „Viele Kölnerinnen und Kölner sind noch nie in der Keupstraße gewesen, dabei ist sie eine Attraktion. Es gibt in Deutschland viele Straßen, in denen sich türkische Geschäfte konzentrieren. Aber so etwas wie die Keupstraße, das findet man nicht noch einmal.“

dpa