Archivbild. 17.12.2021, Belgien, Brüssel: Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, spricht bei einer Pressekonferenz zum Abschluss eines EU-Gipfels. (dpa)
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Der niederländische Politologe und Schriftsteller Cas Mudde, bekannt für seine Studien zum Populismus, verwendet für die Zeit, in der wir leben, den Oberbegriff „populistischer Zeitgeist“. Dabei offenbart ein Blick in die Forschung, dass der Populismus inzwischen selbst vermeintliche ideologische Lager wie rechts und links und sogar geographisch unterschiedliche Regionen wie Lateinamerika, Europa beziehungsweise Fernost einschließt. Und obwohl er auf diesen Kontinenten und in den Ländern mit unterschiedlichen Konzepten Anwendung findet, ist das verbindende Instrument des Populismus besonders in Europa die Islamfeindlichkeit.

Populismus und politische Parteien

Mit der französischen und amerikanischen Revolution bzw. den Narodnikis (Freunde des Volkes), die in Russland als soziale und revolutionäre Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervortraten, vor allem aber in der Zeit nach dem Kalten Krieg, werden Definition, Rahmen und Wirkung des Populismus lebhaft diskutiert. Diese Debatte vollzieht sich unter Berücksichtigung von drei Hauptaspekten, nämlich ob der Populismus eine Strategie darstellt oder eher doch einen politischen Diskurs oder ob er gar eine Ideologie ist. Während die Unterstützung der Bevölkerung für populistische Bewegungen und Parteien weltweit, insbesondere aber in Europa bzw. USA und Fernost zunimmt, ist zu beobachten, dass sich inzwischen alle politischen Parteien einer immer populistischeren Politik bedienen. Dieser unaufhaltsame Aufstieg befeuert auch die Debatten um die Definition des Populismus. Die geschichtliche Debatte um den Begriff und seine Entwicklung, mit all den Unterschieden die er ideologisch, egal ob rechts oder links und auch regional aufweist, führt uns dabei zu folgender Frage: „Wie können so viele Ansätze und unterschiedliche Strömungen innerhalb eines einzigen Konzepts beschrieben werden?“

Konzeptionell wird Populismus als „der allgemeine Wille des Volkes“ (The General Will) und Opposition gegen die etablierte Ordnung (Anti-Establishment) definiert. In diesem Rahmen ist zunächst zu hinterfragen, was mit dem Volk gemeint ist und dann zu beantworten, wie populistische Parteien eine s.g. etablierte Ordnung definieren beziehungsweise was sie dieser entgegenstellen.

Die Instrumente ändern sich, aber der Geist des Populismus bleibt derselbe

Insbesondere in den Bereichen, wo im gesellschaftlichen Kontext eine Identität formuliert wird, bedient sich der Populismus des s.g. „Othering“, also eines „Wir und die Anderen“-Diskurses. Besonders in Europa wird im Schatten eines wachsenden Nationalismus bzw. Populismus versucht, Länder und Gesellschaften im Kontext einer vorgeblich überlegenen Rasse beziehungsweise Kultur neu zu definieren. Diesem nationalistisch verengten Ansatz entsprechend wird eine gesellschaftliche Zugehörigkeit mit Merkmalen definiert, die den Rahmen einer Staatsbürgerschaft übersteigt. Aus diesem Grund werden Menschen mit einem Migrationshintergrund, die zu einem unverzichtbaren Teil der Gesellschaft geworden sind, mit dieser neuen Definition aus selbiger ausgegrenzt.

Das heißt, selbst wenn es „Einheimische“ sind, machen ihre kulturellen oder ethnischen Unterschiede sie zu Anderen in der Gesellschaft. So sagte beispielsweise der ehemalige österreichische Ministerpräsident Sebastian Kurz: „Wer die Migration nicht hinter sich lässt, ist dazu verdammt, im eigenen Land ein Fremder zu bleiben“. Mit diesem Statement wendete sich Kurz an in Österreich lebende österreichische StaatsbürgerInnen mit Migrationshintergrund und forderte eigentlich ihre Assimilation.

Ein weiteres Beispiel ist der Prozess des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Im Ausland geborene britische Staatsbürger wurden während des Brexit-Prozesses zur Zielscheibe gemacht, und insbesondere die rechtsextreme UKIP bediente sich hauptsächlich einer „anti-türkischen“ Rhetorik, die vor einer Zukunft warnte, in der „Fremde“ die Mehrheit stellen würden, wenn das Vereinigte Königreich die Europäische Union nicht verließe. Mit Trumps Machtübernahme in den USA wurden im Ausland geborene US-Bürger ausgegrenzt, der Präsident höchstpersönlich nahm insbesondere Muslime und Menschen mit mexikanischen beziehungsweise hispanischen Wurzeln ins Visier.

In Lateinamerika hingegen verfolgen linke Parteien, obwohl sie öffentlich mit einem antiimperialistischen Habitus Migration und Völkerverständigung propagieren, aber eben auch „populistisch“ die Ausgrenzung allen voran derer, die nicht zu den Ureinwohnern (Indianer) gehören. Evo Morales in Bolivien und Hugo Chavez in Venezuela etwa stellten die Ureinwohner selbst ins Zentrum ihrer Politik und marginalisierten mit einem vermeintlich antiimperialen Diskurs ihre Bürger und Eliten europäischer Herkunft.

Im Zeitalter des Populismus definieren sich Staaten neu, und wir erleben dabei auch den Wandel in der Politik. Die Lega Nord beispielsweise, die in Italien als Partei gegründet wurde, um die Unabhängigkeit der Region „Padanya“ im Norden des Landes herbeizuführen, hat ihre Parteipolitik, die zunächst vom Hass auf den eigenen Süden geprägt war, in eine migrations- und islamfeindliche Richtung abgeändert und bedient sich nunmehr auch einer Rhetorik eines „Wir“ gegen die „Anderen“. Die Partei, die aus wirtschaftlichen Gründen und mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit unter dem Namen Lega Nord zunächst eine Anti-Süden-Politik betrieb, bekam auch ihren Teil vom Geist des Populismus (populistischer Zeitgeist) ab, änderte sogar ihren Namen in Lega-Partei um und richtete nunmehr ihre Wut auf Migranten.

Populismus erreicht seinen Höhepunkt in Frankreich

Menschen mit Migrationshintergrund, die trotz französischer Staatsbürgerschaft weder ethnisch noch kulturell einen Platz in der Neudefinition von „Volk“ finden können, haben sich aktiv an den s.g. „Gelbwesten“-Protesten beteiligt und stellten sich damit gegen Macrons elitäre Politik. Mit dem Beginn des Wahlmarathons in Frankreich erreicht auch der Populismus in Frankreich seinen vorläufigen Höhepunkt.

Dabei kämpft bei den französischen Wahlen die extreme Rechte quasi gegen die extreme Rechte. Eric Zemmour, der in der Vergangenheit wegen seiner rassistischen Rhetorik und Hassverbrechen gegen Muslime bereits verurteilt worden war, verkündete mit einem Video, gespickt mit einwanderungsfeindlicher Rhetorik und dem Anspruch, „den Niedergang Frankreichs zu beenden“, seine Kandidatur für die Präsidentschaft gegen Präsident Macron mit den Worten: „Ich kandidiere für die nächsten Wahlen, damit unsere Mädchen kein Kopftuch tragen und unsere Söhne sich nicht unterwerfen müssen.“

Zemmour ist nicht der einzige populistische Name in Frankreich. Seine Kandidatur zielt voraussichtlich auf die Stimmen der Nationalen Sammlungsbewegung ab, die ebenfalls für ihre Ausfälle bei den Themen Migration und Sicherheit bekannt ist. In früheren Umfragen war entsprechend Marine Le Pen Macrons stärkste Gegnerin. Nun dominieren in Frankreich zwei rechtsextreme Führer den Wahlkampf.

Zusammenfassend sind wohl die Zeiten, in denen die Menschen in Europa die wieder aufkommenden faschistischen Ideen der Rechten dumm fanden und belächelten, ein für alle Mal vorbei.

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