Flagge von Bosnien und Herzegowina (AA)
Folgen

Am 25. Oktober protestierten in Sarajevo Bürger vor dem Gebäude des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina (OHR). Grund für die Aktion war die jüngste politische Krise in Bosnien und Herzegowina, und ihr Ziel war es, das OHR und damit den Hohen Vertreter Christian Schmidt aufzurütteln.

Wer die Lage auf dem Balkan und in Bosnien und Herzegowina verfolgt, weiß, dass es insbesondere in Bosnien wiederholt ernste und beunruhigende politische Krisen gab. So boykottieren das serbische Mitglied des Präsidentenrates von Bosnien und Herzegowina, Milorad Dodik, und andere serbische Politiker seit einiger Zeit den Staat. Sie nehmen zwar an den Sitzungen teil, sagen aber zu allen Vorschlägen einfach „nein“. Auf diese Weise behindern sie die Funktionsfähigkeit des Staates. Es ist jedoch nicht dieser Boykott alleine, der die Bürger beunruhigt.

Aufspaltung von Bosnien und Herzegowina ist Dodiks Traum

Was die Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich der jüngsten, ungerechtfertigten Angriffe auf die Integrität Bosnien und Herzegowinas eigentlich beunruhigt, ist, dass Milorad Dodik so intensiv wie nie zuvor von der „Unabhängigkeit der serbischen Region“ fabuliert. Mit anderen Worten geht es ihm um die Aufspaltung von Bosnien und Herzegowina. Milorad Dodik wiederholt diese Drohungen seit Jahren, aber jetzt ist es das erste Mal, dass er dies in dieser Intensität und Ernsthaftigkeit zur Sprache bringt. Diesbezüglich belegen von ihm ergriffene Maßnahmen, die als Vorläufer einer Teilung gedeutet werden können, den Ernst der Lage. So hat beispielsweise das Parlament der serbischen Region am 20. Oktober ein Gesetz zur Einrichtung der Agentur für Arzneimittel und medizinische Geräte verabschiedet. In Bosnien und Herzegowina, also damit auch in der serbischen Region, existiert aber bereits eine solche Institution auf staatlicher Ebene. Ein solcher Schritt ist dementsprechend als Signal für den angestrebten Zerfall Bosnien und Herzegowinas zu werten, von dem die Serben immer wieder sprechen.

Nur wenige Tage nach der Verabschiedung dieses Gesetzes führte die Polizei der serbischen Region an zwei verschiedenen Orten in Bosnien und Herzegowina Anti-Terror-Übungen durch. Auch wenn die serbischen Behörden behaupten, diese Übungen seien routinemäßig durchgeführt worden, ist eine solche „Demonstration“ in dieser für den Staat sehr kritischen Zeit nur als weitere Provokation zu sehen. Diese Schritte verstoßen nicht nur gegen das Dayton-Abkommen, sondern auch gegen die Verfassung von Bosnien und Herzegowina und zielen auf die Integrität des Staates. Und Milorad Dodik hört hier noch nicht auf. Er stellt sogar in den Raum, dass die serbische Region eine eigene Armee aufstellen wird.

Bosniens Bürger sind besorgt

Diese Rhetorik verunsichert die Bürger von Bosnien und Herzegowina zu Recht. Obwohl die serbischen Behörden versichern, dass „es keinen Krieg geben wird“, bedeuten diese Worte den Menschen im Land nichts. Denn bekanntlich haben wir schon in den 90er Jahren die gleichen Sprüche vernommen. Und trotz des Versprechens, es würde keinen Krieg geben, wurden die Bosnier Opfer eines der größten Völkermorde in Europa. Gerade deshalb erwarten die Bürgerinnen und Bürger klarere Ansagen vom Hohen Vertreter Schmidt und ebenso von der Europäischen Union.

Da das Amt des Hohen Repräsentanten die Befugnis hat, die vorgenannten gegen Dayton gerichteten Gesetze aufzuheben, erwartet die bosnische Seite, dass Herr Schmidt diese Befugnisse auch nutzt.

Leider hatten die Bosnier mit den Hohen Vertretern bisher nicht viel Glück. So sind die häufigsten aus dem Büro zu vernehmenden Zitate der Vorjahre: „Wir sind beunruhigt“ oder „Wir verfolgen die Entwicklungen“. Während seiner alles in allem passiven Amtszeit traf der Vorgänger des jetzigen Hohen Repräsentanten, Valentin Inzko, mit dem Gesetz zum Verbot der Leugnung des Völkermords in Bosnien und Herzegowina eine der wenigen richtigen Entscheidungen. Die oben beschriebene politische Krise nahm nach der Verabschiedung dieses Gesetzes ihren Lauf. Milorad Dodik, der den Völkermord von Srebrenica bei jeder Gelegenheit leugnet, wollte dieses Gesetz nicht akzeptieren und beschloss, den Staat zu boykottieren.

Europa muss zeigen, dass es seine Lehren gezogen hat

Wichtiger als die Haltung Milorad Dodiks ist in diesem Zusammenhang die Antwort des Hohen Vertreters und der Europäischen Union. Mit der in lokalen Medien geäußerten Ansicht, dass Bosnien-Herzegowinas Institutionen ihren eigenen Pflichten nachzukommen hätten, deutet Schmidt wohl darauf hin, dass man die gesamte Krise quasi von der Seitenlinie aus beobachten wird. Dabei ist einer der Vorzüge des Dayton-Abkommens, dass es den Krieg in Bosnien und Herzegowina und damit das Massaker an den Bosniaken beendete. Darüber hinaus weiß aber auch Schmidt, dass mit diesem Abkommen ebenso die Unabhängigkeit von Bosnien und Herzegowina besiegelt wurde. In dieser Situation brauchen wir eine klarere Haltung des Hohen Vertreters und, auch wenn es schmerzt, sogar seine ihm zugewiesene Autorität. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Hohe Repräsentant die ihm eingeräumten Möglichkeiten nutzen würde.

Während Schmidt in derselben Sendung das größere Problem im Exodus der jungen Menschen aus dem Land verortete, übersieht er allem Anschein nach, dass sich vor allem Deutschland bemüht, diese jungen Menschen als Arbeitskräfte anzuwerben.

Im Krieg zwischen 1992 und 1995 in Bosnien und Herzegowina wurde die bosnische Nation massakriert, und die meisten Überlebenden wurden obdachlos. Die westliche Welt hat gebetsmühlenartig wiederholt, sie habe „Lehren aus Bosnien und Herzegowina gezogen“ und auch betont, dass sich „Ähnliches niemals wiederholen darf“.

Auch aus diesem Grund und aus Respekt vor den Überlebenden ist nun die Zeit gekommen, um zu beweisen, dass man tatsächlich die notwendigen Lehren gezogen hat. Milorad Dodik muss gestoppt und die territoriale Integrität von Bosnien und Herzegowina für eine Zukunft in Frieden gewahrt werden.

Meinungsbeiträge geben die Ansichten des jeweiligen Autors und nicht die der Redaktion wieder. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an: meinung@trtdeutsch.com