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Im Dezember 2023 stellte die CDU ihren Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm, das nach langen Debatten im Parteipräsidium angenommen wurde, der Öffentlichkeit vor. Bisher haben die Christdemokraten in ihrer Parteigeschichte nur drei Grundsatzprogramme verabschiedet: 1978, 1994 und 2007.

Bei dem Entwurf vom Dezember sorgte vor allem ein Satz für große Diskussionen: „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“. Außerdem hatten die Autoren das Thema „Leitkultur“, welches zu Zeiten der Kanzlerschaft von Angela Merkel diskret im Hintergrund blieb, wieder aus der Mottenkiste geholt. In dem Programmentwurf, der endgültig auf dem Bundesparteitag vom 6. bis 8. Mai in Berlin beschlossen werden soll, hieß es dazu: „Alle, die hier leben wollen, müssen unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen.“ Zur Leitkultur zählte der Entwurf unter anderem die Achtung der Würde jedes Menschen, die Grund- und Menschenrechte, den Rechtsstaat oder das Existenzrecht Israels. Zudem wurde erwähnt: „Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden.“ Allein die Exhumierung des Begriffs „Leitkultur“ stieß nicht nur bei Vertretern der muslimischen Community in Deutschland auf Kritik.

Fischen am rechten Rand könnte sich noch rächen

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), kritisierte den Entwurf damals scharf. Er warf der CDU vor, am rechten Wählerrand fischen zu wollen. „Spicken bei der AfD war schon in der Schule nicht besonders klug“, sagte der 55-Jährige. Zudem wies der Deutsch-Syrer darauf hin, dass das Wahlvolk am Ende erfahrungsgemäß das Original statt die Kopie wählen werde. Damit wollte der Politikwissenschaftler und Ökonom die CDU darauf hinweisen, dass sich die Partei mit ihrem antimuslimischen Ansatz nicht allzu große Hoffnungen auf die Stimmen aus dem rechten Rand machen sollte. Für die CDU könnte sich dieses riskante Spiel des „Fischens am rechten Rand“ noch rächen. Denn, wenn auf der einen Seite die mit Ressentiments gegenüber Muslimen behafteten Menschen das Original, also die AfD, wählen und auf der anderen Seite die Muslime sich gerade aufgrund solcher exkludierenden Formulierungen von der Partei abwenden, wird die CDU entgegen derzeitiger Umfragewerten womöglich noch ihr blaues Wunder erleben dürfen.

Auch von Seiten des deutschen Islamrats kam damals deutliche Kritik an den CDU-Passagen über Muslime. „Solche Aussagen erschweren die Identifikation der Muslime mit Deutschland“, sagte der Vorsitzende Burhan Kesici. Die Aussagen suggerierten, „dass Muslime die Werte in Deutschland ablehnen würden.“ All das wirke ausgrenzend und stifte Verwirrung in der islamischen Gemeinschaft.

Zudem erklärte der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), Ali Mete, in einer Pressemitteilung, dass sich die CDU mit dem Entwurf des Grundsatzprogramms weiter weg von den rund sechs Millionen Muslimen in Deutschland bewege. Das Papier bediene und schüre Ängste vor der muslimischen Bevölkerung und sei „Wasser auf die Mühlen der AfD“, so Mete. Die IGMG appellierte damals an die CDU, den Entwurf „kritisch zu hinterfragen und in Teilen grundlegend zu überarbeiten“.

Was ist mit dem Christen- oder Judentum, die unsere Werte nicht teilen?

Nun ist der Entwurf überarbeitet worden. Aus dem ursprünglichen Satz „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“ wurde „Muslime sind Teil der religiösen Vielfalt Deutschlands und unserer Gesellschaft.“ Allerdings wurde in den folgenden Absatz dieser Passus hinzugefügt: „Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.“ Auch in diesem neu formulierten Satz wird suggeriert, dass nicht nur die Muslime als Menschen, sondern der Islam als Religion die Werte in Deutschland ablehne. Diese Suggestion ist unverantwortlich, um nicht zu sagen islamfeindlich. Was ist eigentlich mit dem Christentum oder dem Judentum, die unsere Werte nicht teilen? Gehören die zu Deutschland? Gehören die FC-Bayern-Fans oder der Taubenzuchtverein, die unsere Werte nicht teilen, zu Deutschland? Unsere Werte, zu denen das Grundgesetz, unsere Grundrechte sowie die Prinzipien von Rechtstaat und Demokratie gehören, sind nicht nur für eine bestimmte Menschengruppe verbindlich, sondern für jede Person, die sich in den Grenzen von Deutschland aufhält. Dass sich die CDU hier nur auf die Muslime und den Islam fokussiert, zeigt, dass sich innerhalb der Partei destruktive Kräfte gegen die konstruktiven durchsetzen können.

Aiman Mazyek bezeichnet die Änderung des Programmentwurfs als „ein weiterer Versuch der Christlich Demokratischen Union, in trüben Gewässern zu fischen, um Muslime zu stigmatisieren“. Mazyek sagt berechtigterweise: „Wenn überhaupt, wäre eine Formulierung, die alle Weltanschauungen und religiösen Gemeinschaften anspricht, akzeptabel, anstatt nur eine bestimmte herauszugreifen und negativ zu markieren.“ Diese selektive Vorgehensweise bediene anti-muslimische Ressentiments und Stereotypen, abseits der breiteren Debatte über eine sogenannte Leitkultur, so der Zentralratsvorsitzender.

CDU unter Friedrich Merz hat sich von Mitte verabschiedet

Der neu verfasste Satz im Entwurf des CDU-Grundsatzprogramms über den Islam zeigt ferner, dass sich die CDU unter der Führung von Friedrich Merz von der Mitte der Gesellschaft immer mehr distanziert. Die CDU-Führung, ihr Generalsekretär Carsten Linnemann sowie ihre Programmkommission und die Fachkommissionen bedienen auch mit dem neuen Wortlaut weiterhin teilweise anti-muslimische Vorurteile und marginalisieren, stigmatisieren und dämonisieren somit eine bedeutende religiöse Gemeinschaft in Deutschland. Sie stellen Muslime unter Generalverdacht. Die neue Formulierung der CDU fördert Muslim- und Islamfeindlichkeit. Die Partei betrachtet den Islam und die Muslime stets aus einer sicherheitspolitischen Perspektive. Ob diese ideologische Verblendung die Integration fördern wird?

Zunehmend populistisches Vorgehen in der Partei

Die Parteiführung wäre gut beraten, sich dem Einfluss antimuslimischer Populisten innerhalb der eigenen Reihen zu entziehen. Dass in letzter Zeit immer mehr Politikerinnen und Politiker mit vermeintlich türkischem oder muslimischem Hintergrund in der CDU in den Vordergrund treten, zeigt offenbar überhaupt keine Wirkung. Die ideologische und immer mehr populistische Herangehensweise der Partei gegenüber Muslimen ist ein Beleg dafür. Somit erweckt die CDU beim Thema „Islam und Muslime“ den Eindruck, sich in einem Wettbewerb mit der rechtsextremistischen und islamfeindlichen AfD zu befinden. Beispielsweise werden die Aussagen über den Islam in dem neuen Programmentwurf der CDU auch von einigen sogenannten Experten vom Ex-„Expertenkreis Politischer Islamismus“, der 2022 auch aufgrund der teilweise polemischen, destruktiven und partiell antimuslimischen Ideologie einiger ihrer Mitglieder aufgelöst wurde, verteidigt.

Seit dem Ausscheiden von Christian Wulff, Angela Merkel, Armin Laschet oder Ruprecht Polenz aus dem CDU-Führungszirkel hat sich die Partei, die sich als „christlich“ bezeichnet, in eine bedenkliche Lage manövriert. Die Partei hat mit der Merkel-Ära gänzlich gebrochen. Die Berater der Führungsebene, die Experten im ideologischen Grabenkampf sind und deren Vokabular mit Kampfbegriffen wie „politischer Islam“, „Islamismus“, „islamistischer Terror“, „Leitkultur“, „Scharia“, „Dschihad“ etc. gefüllt ist, schaden der Partei nachhaltig. Die übrig gebliebenen Parteien der Mitte oder neu gegründete politische Vereinigungen wie die Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (DAVA) oder das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) könnten diese Versäumnisse der CDU für sich nutzen.

Die CDU verpasst eine große Gelegenheit

Eigentlich wäre die CDU eine adäquate politische Heimat für die Mehrheit der Muslime in Deutschland. Denn die Werte, die Muslimen wichtig sind, wie zum Beispiel Familie, Soziales, Bildung und Erziehung, aber auch innere Sicherheit werden auch von den Christen in der CDU geteilt. Juden, Christen und Muslime haben im Grunde mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Die CDU verpasst eine große Chance. Die Stimmen am rechten Rand scheinen ihr wichtiger zu sein. Schade.

Die Passagen über den Islam im Programmentwurf sollten gestrichen werden. Andernfalls wird die CDU wahrscheinlich für die Mehrheit der Muslime in Deutschland und damit auch für mich vorerst nicht mehr wählbar.

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