15. Februar 2020 - München, Deutschland: Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev trifft beim Münchner Sicherheitskonferenz Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan. (Azertac)
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Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan verschärfte sich seit der Unabhängigkeit Ende 1991, bis es 1992 bis 1994 zu einem brutal ausgetragenen Krieg kam. Die schlecht ausgerüsteten aserbaidschanischen Milizen wurden geschlagen. Die gesamte aserbaidschanische Bevölkerung wurde nach brutalen Massakern aus den besetzten Gebieten Karabachs vertrieben. Es gab über eine Million Binnenflüchtlinge.

Der eingefrorene Konflikt

Nach dem Waffenstillstand von 1994 konzentrierte sich Aserbaidschan auf eine politische und wirtschaftliche Konsolidierung. Insbesondere wurden die Beziehungen zur Türkei, zu Iran, USA, Russland und EU-Staaten vertieft. Schließlich konnte mit der 2005 eröffneten Baku-Ceyhan-Pipeline Öl aus dem Kaspischen Meer über Georgien zur türkischen Mittelmeerregion und auf die Weltmärkte transportiert werden. Auch gibt es eine hierzu parallel verlaufende Erdgas-Pipeline (South Caucasus Pipeline).

Dass der Waffenstillstand in den besetzten Regionen Karabachs seit 1994 brüchig war und dieser „Frozen Conflict“ immer wieder heiß zu werden drohte, sollte spätestens seit den Gefechten vom April 2016 bekannt sein.

Tovuz als Lebensader Aserbaidschans

Als Armenien im Juli 2020 den strategischen Ort Tovuz angriff, ein Ort außerhalb der umstrittenen Region, sah sich Aserbaidschan gezwungen zu handeln. Denn dieser Ort liegt an der wichtigen Verbindungsstraße zu Georgien, wo die Erdöl- und Erdgas-Pipelines, die Bahnstrecke und eine Fernstraße über Georgien in die Türkei führen. Sie stellen für Aserbaidschan eine Lebensader dar und zementieren die wirtschaftliche sowie politische Unabhängigkeit.

Für Aserbaidschan drohte der Konflikt zu einer Katastrophe zu werden. Ob hinter der Eskalation Russland steckte, war unklar, aber als Aserbaidschan die Rückeroberung nach über 25 Jahren Besatzung einleitete, belieferte Russland Armenien massiv mit militärischem Material. Jedoch hielt sich Russland rhetorisch bedeckt, so dass die Truppen Aserbaidschans die Kontrolle über große Teile des besetzten Areals wiederherstellen konnten.

Nach der für beide Seiten sehr verlustreichen Rückeroberung von Schuscha, der historischen Hauptstadt des aserbaidschanischen Khanats von Karabach, schien der Druck Russlands sichtbar zu werden. Nach einem Abschuss eines russischen Militärhubschraubers über armenischem Territorium vom aserbaidschanischen Nakhtschiwan aus nahmen die Führungen beider Länder die Einladung Putins nach Moskau an.

Waffenstillstandsabkommen

Gemäß dem Waffenstillstandsabkommen von 10.11.2020 musste Armenien noch mehr besetztes Territorium nach einem zeitlich gestaffelten Plan zurückgeben. In den armenisch-kontrollierten Teilen der ehemaligen Autonomieregion sind russische Friedenstruppen hinzugekommen. Auch ein fünf Kilometer breiter Korridor über Latschin wird von diesen kontrolliert. Im Gegenzug sollte Aserbaidschan Verbindungsstraßen und eine Bahntrasse über armenisches Gebiet zur Exklave Nakhtschiwan bekommen.

Die aserbaidschanische Seite behält sich Schadensersatzforderungen für die lange Besatzungszeit, Zerstörungen und Ausbeutung von Bodenschätzen vor. Es kursiert derzeit ein Wert von 50 Milliarden US-Dollar.

Nichtsdestotrotz haben die Verwerfungen nach der Konfliktaustragung und dem Waffenstillstand zu neuen diplomatischen Chancen geführt. Zum einen hat die Bevölkerung Armeniens trotz der bitteren militärischen Niederlage und den herben Verlusten Ministerpräsident Paschinjan bei den vorgezogenen Neuwahlen am 20.07.2021 im Amt bestätigt. Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass die Bevölkerung maximalistische Positionen nicht mehr mitgeht. Denn der existierende Konflikt mit Aserbaidschan und auch indirekt mit der Türkei führt Armenien in eine immer größere wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von Russland. Der Preis sind bittere Armut und fehlende Perspektiven für jüngere Bevölkerungsgruppen, was bis dato zu einem Exodus aus Armenien geführt hat.

Die neue Diplomatie

Auch wenn der vermittelte Waffenstillstand brüchig ist, gibt es auf der diplomatischen Ebene Bewegung. Aserbaidschan und Armenien sprechen seit der Unabhängigkeit miteinander über die Festlegung der Staatsgrenzen. Die Vermessungsarbeiten in der bergigen Grenzregion dauern noch an. Ein dauerhafter Friedensvertrag wird anvisiert.

Der Vorschlag, Gespräche im Format 3+3 durchzuführen, fand Anklang. Damit sind Aserbaidschan und Armenien sowie Russland, zusätzlich Iran, Türkei und Georgien gemeint. Das erste Gespräch fand am 10.12.2021 in Sankt Petersburg statt, allerdings ohne Beteiligung Georgiens. Hieraus könnte sich eine regionale Kooperationsplattform etablieren.

Der Waffenstillstand hat auch Bewegung in die zerrütteten türkisch-armenischen Beziehungen gebracht. Es finden direkte und indirekte Gespräche zur Klärung von Streitfragen statt. Eine Öffnung der türkisch-armenischen Grenze ist angedacht und soll in Verbindung mit der angestrebten Friedenslösung Aserbaidschan, Armenien und die Türkei wirtschaftlich annähern. Der armenische Präsident Paschinjan, ehemals oppositioneller Journalist, hatte sich offen für Gespräche ohne Vorbedingungen gezeigt.

Rolle der EU

EU und Deutschland könnten den aufkeimenden Friedensprozess unterstützen. Ob sich daraus eine Südkaukasus-Konferenz nach dem Muster einer Libyen-Konferenz ergibt, ist ungewiss. Indessen kamen am 10.11.2021 der aserbaidschanische Außenminister Bayramov und sein armenischer Amtskollege Mirzoyan auf Einladung des französischen Außenministers in Paris zusammen. Etwa ein Monat später, am 2.12.2021, fand ein weiteres Treffen in Schweden unter Führung der OSZE statt.

Begleitet werden diese Gespräche von humanitären Aktionen wie der Freilassung von Kriegsgefangenen. Der Friedensprozess im Südkaukasus, der heute immer mehr in den Schatten des Konflikts in der Ukraine rückt, dürfte für die EU von vitalem Interesse sein. Die Versöhnung in der zerrütteten Region braucht massive Unterstützung einer dritten Kraft wie der EU. Gezielte finanzielle Instrumente könnten zunächst die Südkaukasus-Staaten stabilisieren und dabei helfen, die Verkehrsverbindungen aufzubauen. Hierzu braucht man jedoch allseits akzeptierte Staatsgrenzen. Bislang sind die Versuche der Europäer noch sehr zaghaft. Dies wird sich in den kommenden Monaten vermutlich ändern.

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