16.07.2018, Hessen, Frankfurt/Main: Seda Basay-Yildiz, Rechtsanwältin, steht in ihrem Büro. (dpa)
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von Ali Özkök Illusionslos zeigt sich Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız im Gespräch mit TRT Deutsch anlässlich des zehnten Jahrestages der Selbstenttarnung der NSU-Terrorzelle. Sie bezweifelt, dass die deutschen Sicherheitsbehörden jemals von sich aus in Richtung eines rassistischen Hintergrundes der Mordserie in den 2000er Jahren ermittelt hätten.

Außerdem sieht sie nach wie vor eine unzureichende Aufarbeitung der Ermittlungsfehler zu den NSU-Morden. Die fehlende Bereitschaft zum Umdenken lasse es als wenig überraschend erscheinen, wenn immer noch regelmäßig rechtsextreme Umtriebe zum Vorschein kämen, die bis in den Staatsapparat reichten.

Mehr oder minder durch Zufall flog vor zehn Jahren auf, dass hinter der langjährigen Mordserie eine neonazistische Terrorzelle steckte. Könnte es sein, dass die Terroristen ohne die Ereignisse rund um das Wohnmobil in Eisenach noch bis heute unentdeckt hätten weitermachen können?

Davon kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgehen. Die Ermittlungsbehörden waren weit davon entfernt, anzunehmen, dass Rechtsterroristen für die Taten verantwortlich sind. Die Täter haben sich selbst dazu bekannt und so ist die Sache aufgeflogen.

Wo sehen Sie die gravierendsten Versäumnisse der Ermittlungsbehörden? Wann hätte es nach Ihrem Erkenntnisstand aufgrund des jahrelangen Aktenstudiums aus Ihrer Sicht erstmals konkret einen Moment gegeben, an dem Ermittler hätte sagen können oder müssen: „Das Ganze sieht viel eher nach einer gezielten rassistischen Mordserie aus“?

Das sogenannte Trio ist Anfang 1998 untergetaucht. Nach ihnen wurde per Haftbefehl gesucht. Es gab bereits zu diesem Zeitpunkt Hinweise auf ihren Aufenthaltsort. Wenn man dem nachgegangen wäre, hätten sie gefasst werden können, noch bevor ein Mord geschieht.

Bereits zu Beginn der Mord-Serie – dem Mord an Enver Şimşek – hätten sie darauf kommen können, dass es ein rassistisch motivierter Mord war. Wie die anderen Opfer auch, war auch Enver Şimşek in seiner Vergangenheit weder mit Drogendelikten noch mit organisierter Kriminalität auffällig geworden. Er war ein einfacher Blumenhändler und Familienvater. Es lag viel näher, anzunehmen, dass es ein rassistisch motivierter Mord war, als anzunehmen, dass das Opfer ein „Krimineller“ war.

Wie tiefgreifend waren nach Ihrer Einschätzung die Auswirkungen der Enttarnung des NSU, der Ermittlungsfehler und des Gebarens der Verfassungsschutzbehörden auf das Grundvertrauen der türkischen Einwanderercommunity in die deutsche Polizei?

Die Auswirkungen und der Vertrauensverlust waren und sind gravierend. Der Staat war nicht in der Lage, diese Menschen zu schützen. Und nicht nur das: Er hat sie auch noch selbst dafür verantwortlich gemacht, dass sie getötet wurden, indem er sagte, dass sie in kriminelle Machenschaften verwickelt sind.

Hat es Ihrer Einschätzung nach eine Veränderung des rechtsterroristischen Bedrohungspotenzials infolge eines Wandels der extremen Rechten gegeben? Immerhin war das NSU-Trio dem eindeutig neonazistischen Spektrum zuzuordnen, während rassistische Terroristen jüngeren Datums wie in Oslo, Halle, Hanau oder Christchurch oft Einzelgänger sind.

Ich glaube nicht, dass es Einzeltäter sind. Auch diese Täter sind beispielsweise im Netz sehr gut in einschlägigen Foren vernetzt und radikalisieren sich in einer Gruppe von Gleichgesinnten. Sie teilen die Ideologie und tauschen sich aus. Ich glaube, noch nie war die Bedrohung von rechts so aktuell und der Staat nimmt diese Gefahr nach wie vor nicht ernst genug.

Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern, damit rechtsterroristische Strukturen dieser Art nicht mehr so lange unentdeckt bleiben?

Es muss sich viel ändern, aber es wird sich nichts ändern. Beispielsweise müssen die Ermittlungsbehörden ihre Fehler und Versäumnisse aufarbeiten. Dies geschieht nicht, weil sie nach wie vor der Meinung sind, dass sie in der Vergangenheit alles richtig gemacht haben. Dieselben Personen, die die Opfer kriminalisiert haben, sitzen noch an denselben Stellen bzw. wurden auch noch befördert. Ein Umdenken hat nach wie vor nicht stattgefunden. Hinzu kommt, dass in der Vergangenheit innerhalb staatlicher Stellen Rechtsextremisten enttarnt wurden. Und das zufällig. Wenn der Staat nicht mit aller Konsequenz dagegen vorgeht, ist unsere Demokratie gefährdet. Heute haben wir es mit rechtsterroristischen Strukturen innerhalb der Sicherheitsbehörden zu tun. Diese gilt es zu bekämpfen. Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch