Fatih Zingal im Dlf. / Photo: DPA (dpa)
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Im zweiten Teil des Exklusivinterviews mit Fatih Zingal, dem Spitzenkandidaten der Demokratischen Allianz für Vielfalt und Aufbruch (DAVA), geht es neben innenpolitischen Fragen auch um europa- und außenpolitische Standpunkte der DAVA.

TRT Deutsch: Herr Zingal, der wachsende Populismus und Nationalismus bereitet große Sorgen. Wie ernst ist die Gefahr, die von diesen Bewegungen in Europa ausgeht, wenn sie sich durchsetzen können?

Fatih Zingal: Wir müssen leider nüchtern konstatieren, dass diese Bewegungen sich in Europa bereits durchgesetzt haben. Die Alternative für Deutschland (AfD) liegt in den Umfragewerten stets weit vorne. Tendenziell erkennt man sogar ein Stimmenwachstum.

Die etablierten Parteien sind nicht unschuldig daran, dass Nationalisten und Populisten politisch erstarken konnten. Sie haben keine klaren Akzente gegen rechts gesetzt, sondern haben anfangs sogar versucht, Inhalte zu kopieren oder sich sogar der Sprache dieser Nationalisten bedient, um Wählerstimmen zu konsolidieren.

Die Menschen erkennen, wenn jemand versucht, ein Original zu imitieren, und wählen dann das Original anstelle des Nachahmers. Eine klare Positionierung gegen rechts wäre besser gewesen, was von den etablierten Parteien teilweise verpasst wurde. Einige erkennen nun die Notwendigkeit und versuchen, gegen den erschreckenden Nationalismus vorzugehen. Es bleibt abzuwarten, ob dies erfolgreich sein wird.

Es ist unsere Aufgabe, die Gefahren dieser nationalistischen und identitären Bewegungen immer wieder deutlich zu machen und ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Die Demonstrationen gegen rechts, die in zahlreichen deutschen Städten stattfanden, sind in diesem Zusammenhang sehr zu begrüßen.

TRT-Deutsch: Was halten Sie von den Aussagen mancher Politiker, die den Multikulturalismus für „gescheitert“ oder „tot“ erklärt haben?

Fatih Zingal: Diejenigen, die Multi-Kulti für tot erklären, haben eine stark verzerrte Wahrnehmung der Realität. Die Vielfalt ist in Deutschland Fakt, mit Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Realität zu ignorieren, bedeutet nicht, dass sie nicht existiert.

Politische Parteien, die eine Leitkultur propagieren, streben eine „unrealistische Realität“ an, in der Menschen mit Migrationshintergrund nicht existieren. Diese verzerrte Wahrnehmung führt zu unrealistischen politischen Vorstellungen und Forderungen.

Menschen mit Migrationshintergrund sind genauso Teil der Gesellschaft wie jeder andere Deutsche. Politische Parteien, die auf dieser Ebene operieren, werden es schwer haben, ganzheitliche Konzepte für alle zu entwickeln und werden stattdessen die Spannungen in der Gesellschaft verstärken, um mehr Wählerstimmen zu gewinnen. Dies ist unverantwortlich, da sie Muslime dämonisieren, eine große Minderheit ausschließen und die Gesellschaft weiter spalten.

TRT-Deutsch: Was sagen Sie dazu, dass manche Parteipolitiker vor den Wahlen plötzlich die türkische Community, Muslime und Moscheegemeinden in Deutschland für sich entdecken?

Fatih Zingal: In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, dass Politiker kurz vor den Wahlen von ihren hohen Rossen absteigen und den Menschen die Gnade erweisen, sich beispielsweise in türkische Cafés zu begeben. Doch nach den Wahlen sind sie für Jahre nicht mehr präsent, bis die nächste Wahl näher rückt.

Die Gründung unserer politischen Vereinigung hat eine Dynamik in die etablierten Parteien gebracht, die nun wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen besorgt sind, Wähler zu verlieren. Unsere Präsenz auf der politischen Bühne hat sie aufgeschreckt, denn wir waren schon immer in den Gemeinschaften, Moscheen und Teehäusern präsent und haben erkannt, dass diese Politiker uns nicht repräsentieren.

TRT-Deutsch: Wie sieht eigentlich die Türkiye-Politik der DAVA aus?

Fatih Zingal: Es gibt Millionen Menschen in Deutschland, die türkiyestämmig sind und einen großen Bezug zu Türkiye haben. Sie besuchen dort regelmäßig Verwandte, besitzen in Türkiye Immobilien oder sind geschäftlich mit dem Land verbunden. Diese Verbundenheit mit Türkiye wird nicht abklingen.

Daher kann es nur in unserem Interesse sein, dass wir die Beziehungen zu Türkiye weiter intensivieren. Wir müssen Türkiye auf Augenhöhe begegnen, Belehrungen vermeiden und uns klar darüber sein, dass eine gute Beziehung im Interesse von Türkiye und Deutschlands ist.

Wir dürfen außerdem nicht zulassen, dass die türkiyestämmigen Menschen in Deutschland infolge außenpolitischer Irritationen beider Länder zum politischen Spielball werden. Es kann nicht sein, dass diese Menschen hier in Deutschland darunter leiden müssen.

Wir sprechen uns klar für eine uneingeschränkte Reisefreiheit türkischer Bürger aus. Der Politik, Menschen aus Türkiye nur eingeschränkte Reisefreiheit zu gewähren, ist veraltet und gehört in die historischen Archive. Die Angst der deutschen, dass die Türken massenhaft nach Deutschland kommen, um die Sozialsysteme auszunutzen, ist total unbegründet und veraltet.

Was das Flüchtlingsabkommen anbelangt, muss man sagen, dass Europa und Deutschland sich von ihrer politischen Verantwortung den Flüchtlingen gegenüber freigekauft haben. Es gab Geld dafür, dass Türkiye Flüchtlinge nicht nach Europa lässt. Sofern Deutschland und Europa diese Politik weiter betreiben möchten, müssen sie bereit sein, Türkiye weiterhin Geld zu überweisen.

TRT-Deutsch: Gibt es auch Punkte, die Sie an der türkischen Regierung kritisieren würden?

Fatih Zingal: Selbstverständlich gibt es Punkte, die ich an der türkischen Regierung kritisieren würde. Es gibt aber auch Punkte, die ich ausdrücklich loben würde. Ich war in zahlreichen Talkshows und habe meine Position stets klar dargelegt. Unsere politische Bewegung allerdings möchte sich mit den Problemen innerhalb Deutschlands beschäftigen. Sie hat sich nicht dazu gegründet, um Türkiye politische Fragen zu platzieren.

Wir werden uns nicht dafür hergeben, dass wir die alten, spannungsgeladen Debatten über Türkiye weiter austragen. Diese Debatten führen nicht weiter und lenken von den eigentlichen Problemen in Deutschland ab. Wir müssen uns über den erstarkten Rechtsextremismus und über die immer gewaltbereiter werdenden Nazis unterhalten. Wir müssen uns über Angriffe auf Muslime und Anschläge auf Moscheen unterhalten. Scheindebatten um Türkiye sind hier fehl am Platz.

TRT-Deutsch: Sehen Sie sich als politische Bewegung einer Stigmatisierung ausgesetzt?

Fatih Zingal: Die Stigmatisierungsversuche sind ein Zeichen der Furcht der Politiker der etablierten Parteien, Stimmen zu verlieren. Statt sich mit uns inhaltlich auseinanderzusetzen, versuchen sie, uns zu kriminalisieren und zu dämonisieren, um von ihrem eigenen politischen Unvermögen abzulenken.

Der Kabarettist Volker Pispers hat mal gesagt: „Ist der Feind erst mal klar benannt, hat der Tag Struktur“. Und das ist genau das, was die Politiker der althergebrachten Parteien tun. Sie erklären uns zum Feindbild und versuchen, uns in eine kriminelle Ecke zu drängen, ohne Beweise vorzulegen.

Die Wählerinnen und Wähler werden letztendlich entscheiden, wie fruchtbar diese Kriminalisierungsversuche gewesen sind. Die Politiker der etablierten Parteien handeln wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen, der keine Antworten auf politische Fragen hat und daher nur versucht, unsere Bewegung zu kriminalisieren. Wir lassen sie einfach schreien.

TRT-Deutsch: Wie sehen Sie die Zukunft der Europäischen Union?

Fatih Zingal: Wir beobachten, dass die Menschen immer weniger Vertrauen in die Institutionen der Europäischen Union haben. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Es ist daher im Interesse aller, dass das Vertrauen in die europäischen Institutionen gestärkt wird. Es muss den Menschen immer wieder ins Bewusstsein gerückt werden, welche wichtige Errungenschaft die Europäische Union ist.

Die Europäische Union hingegen muss sich klar daran orientieren, weswegen sie gegründet wurde. Ihr Handeln darf nicht zur Folge haben, dass die Menschen das Vertrauen in ihre Institutionen verlieren. Hier gilt es, ein ausgewogenes Gleichgewicht herzustellen.

TRT-Deutsch: Wie bewerten Sie die Nahost- und Gaza-Politik Deutschlands? Gibt es überhaupt eine Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden?

Fatih Zingal: Die Gaza-Politik Deutschlands ist falsch. Die Politik Deutschlands ist durchzogen von Doppelmoral und ideologischer Eigenständigkeit. Das, was zurecht im Russland-Ukraine-Krieg kritisiert wird, wird im Israel-Gaza-Krieg nicht kritisiert.

Beispielsweise wurde zurecht verlautbart, dass das Abstellen von Strom und das Abschneiden der Menschen von Nahrungsmitteln ein Kriegsverbrechen darstellt. Aber wenn genau dies die israelische Regierung tut, wird das nicht kritisiert. Dies empfinden die Menschen als Doppelmoral und haben kein Verständnis dafür.

Selbstverständlich hat Israel das Recht, sich zu verteidigen und gegen Terroristen vorzugehen. Das stellt niemand in Abrede. Es ist aber nicht klar, warum bei einem Krieg gegen Terroristen, Zehntausende Frauen und Kinder sterben müssen, die mit Terror überhaupt nichts zu tun haben.

Wieso dies nicht lautstark von der deutschen Bundesregierung kritisiert wird, ist nicht verständlich. Die Menschen merken, dass die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands gegenüber der israelischen Regierung falsch ist. Auch Deutschland, das gegenüber Israel eine besondere Verantwortung trägt, sollte Kriegsverbrechen, wenn es denn welche gibt, klar benennen.

Es ist lächerlich, wenn Deutschland auf der einen Seite Hilfsgüter über dem Gazastreifen abwerfen lässt, aber gleichzeitig der israelischen Regierung Munition in Millionenhöhe liefert. Der Globale Süden beispielsweise hat keinerlei Verständnis für Deutschlands uneingeschränkte Solidarität mit der israelischen Regierung und versteht nicht, warum Deutschland nicht in der Lage ist, Israels Regierung auch zu kritisieren.

Ein dauerhafter Frieden ist nur möglich, wenn eine Zwei-Staaten-Lösung ernsthaft in Angriff genommen wird. Problematisch ist allerdings, dass die derzeitige Regierung Israels an einer Zwei-Staaten-Lösung nicht interessiert ist. Ebenso ist die Hamas gegen eine Zwei-Staaten-Lösung. Vor diesem Hintergrund schwindet die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden.

Es kann aber nicht sein, dass Millionen Menschen in Gaza Richtung Süden gedrängt werden. Diese Menschen haben keinerlei Hoffnung und wissen nicht, was mit ihnen geschehen wird. Wir können diese Situation nicht einfach so hinnehmen. Wir müssen auf die fatale humanitäre Situation immer wieder hinweisen und fordern einen sofortigen Waffenstillstand. Mehr als 33.000 Menschen sind bereits zu Tode gekommen, der überwiegende Anteil unter diesen verstorbenen sind Frauen und Kinder. Dieses Leid muss aufhören!

TRT Deutsch: Herr Zingal, vielen Dank für das Interview.

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