PKK-Sympathisanten in Deutschland (AA Archive)
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von Murat Sofuoğlu

Während die EU die PKK offiziell als terroristische Vereinigung einstuft, gestatten viele europäische Länder wie Frankreich und Deutschland der Terrororganisation sowie deren Vertretern und Unterstützern nach wie vor, weitgehend unbehelligt in ihrem Hoheitsgebiet zu operieren.

Die europäischen Staaten haben seit langer Zeit verboten, was sie als linksterroristische Gruppen auf eigenem Territorium betrachteten. Von der Ächtung der Roten Armee Fraktion (RAF) in Deutschland über die Action Directe (AD) in Frankreich bis hin zu den Roten Brigaden (BR) in Italien ließen die europäischen Regierungen keinen Raum für Diskussionen und brandmarkten diese Gruppierungen ausnahmslos als terroristische Vereinigungen.

Zweierlei Maß im Umgang mit gewalttätigen Extremisten

Doch wenn es um die PKK geht, verschließen dieselben europäischen Länder die Augen vor dem blutigen Erbe und den Aktionen der Terrorgruppe. Während die PKK, die eine fast vier Jahrzehnte andauernde Terrorkampagne gegen Ankara geführt hat, die Zehntausende von Menschen das Leben gekostet hat, von der EU, den USA und Türkiye offiziell als Terrorgruppe anerkannt wird, dürfen ihre Ableger wie die YPG, der syrische Flügel der Terroristen, auf europäischem Boden frei operieren.

„Interessanterweise haben die westlichen Länder, die ihre eigenen Radikalen ausgeschaltet haben, weiterhin radikale Gruppen [wie die PKK und die DHKP-C] unterstützt und geliebt“, schreibt Aytekin Yılmaz, Autor und Experte für die Gewalt der PKK, der in seinem jüngsten Buch „Der letzte Diktator“ die Führung von Abdullah Öcalan, des Gründers und Führers der PKK, der 1999 von Türkiye inhaftiert wurde, scharf kritisiert.

„Die Gewalt der PKK fungiert als Spiegel für die westlichen Länder, und wir können anhand ihres Umgangs mit dieser Gewalt erkennen, wer zu wem gehört. Die westlichen Länder müssen diese heuchlerische Maske fallen lassen und sich der Realität stellen“, äußerte Yılmaz gegenüber TRT World.

Schweigen über Kindersoldaten in der YPG/PKK

Yılmaz, ein ehemaliges PKK-Mitglied, hat viele gewalttätige Aktionen der PKK mit eigenen Augen miterlebt. Seit er die Gruppe verlassen hat, hat er ausführlich über die Rekrutierung von Kindersoldaten durch die PKK geschrieben und mehrere Bücher veröffentlicht, darunter „They Were Just Children“. Nach Angaben des Autors hat die PKK in den letzten 35 Jahren fast 20.000 Menschen unter 18 Jahren rekrutiert – nicht selten durch List oder Zwang.

Obwohl Yılmaz viel Zeit in sein Buch investiert hatte, um das internationale Bewusstsein für die Rekrutierung von Kindersoldaten durch die PKK zu schärfen, fand es laut Yılmaz in der westlichen Presse und Wissenschaft keine Beachtung. Selbst Menschenrechtsgruppen in Europa und Nordamerika hätten ihn noch nicht auf die illegale Rekrutierung von Kindersoldaten durch die PKK angesprochen, sagt er.

„Westler, die über die Kindersoldaten in Afrika und Kambodscha klagen, können nicht anders, als die 14- bis 15-jährigen kurdischen Kinder in Syrien zu loben“, sagt Yılmaz und verweist auf die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten durch die YPG in den von ihr kontrollierten Gebieten im Nordwesten Syriens.

Verbindungen systematisch geleugnet

Trotz der illegalen Aktionen der YPG unterstützen die USA und ihre westlichen Verbündeten die Gruppe offen im Namen des Kampfes gegen Daesh und weigern sich, klare Verbindungen zwischen der PKK und der YPG anzuerkennen.

„Der Westen ist offen heuchlerisch. Obwohl die PKK täglich Fotos von minderjährigen Kämpfern, die bei Kämpfen getötet wurden, in ihren eigenen Medien veröffentlicht, wollen die westlichen Länder – und natürlich auch die UN-Vertreter – diese nicht sehen“, sagt Yılmaz.
Nach den Grundsätzen der UNO ist es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein Kind in den Krieg zu schicken. Aber diejenigen, die wie die PKK/YPG dieses Verbrechen begingen, täten dies aus freien Stücken, und niemand im Westen habe etwas dagegen, sagt Yılmaz. Auch die europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft seien nicht anders, fügt er hinzu.

Ein Freifahrtschein für die YPG/PKK

In den europäischen Hauptstädten von Paris über Berlin bis nach Stockholm haben die westlichen Staaten der YPG erlaubt, ihre Büros zu eröffnen, und damit der PKK und ihrer Agenda eine Plattform geboten. Doch die Folgen der freundlichen Aufnahme solcher Gruppen sind in Türkiye, das seit 1984 von der PKK angegriffen wird, unmittelbar zu spüren.

Im Jahr 2018 hat die Tschechische Republik, ein weiterer EU-Staat, Salih Müslüm, den ehemaligen Führer der PYD, des politischen Flügels der YPG, aus der Auslieferungshaft freigelassen und damit Türkiye gegen sich aufgebracht. Ankara hat verschiedene Anklagen gegen Müslüm erhoben, darunter solche, die auf Störung der Einheit und territorialen Integrität des türkischen Staates, Mord, Beschädigung öffentlichen Eigentums und Verbreitung gefährlicher Informationen lauten.

Zu den zentralen Vertretern einer Appeasement-Politik gegenüber der PKK gehört auch Schweden, das ins westliche Verteidigungsbündnis strebt.

„Seit den 2000er Jahren ist Schweden zu einem Land geworden, in dem sich die PKK leicht organisieren konnte“, sagt Yılmaz. Aufgrund der Verbindungen Schwedens zu PKK-nahen Gruppen lehnt Türkiye derzeit den Antrag des nordischen Staates auf Mitgliedschaft in der NATO ab.

Kein Linksextremist aus Türkiye floh in sozialistische Länder

Laut dem jüngst veröffentlichten Jahresbericht des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) gibt es in Deutschland nach wie vor stabil etwa 14.500 Mitglieder oder Unterstützer der PKK. Allein in diesem Land nimmt die Terrororganisation dem gleichen Bericht zufolge jährlich 16,7 Millionen Euro an Finanzmitteln ein.

Aber auch Frankreich hat PKK-nahen Einzelpersonen und Gruppen lange Zeit erlaubt, in verschiedenen Teilen des Landes zu operieren.

„In Frankreich gab es immer Sympathien für die PKK, vor allem seit der Wahl von François Mitterrand im Jahr 1981“, sagt Yasser Louati, ein französischer Politologe und Leiter des Komitees für Gerechtigkeit und Freiheiten (CJL).

Die Beziehungen zwischen Frankreich und der PKK reichen bis in die 1980er Jahre zurück. Die Ehefrau des ehemaligen französischen Präsidenten Francois Mitterrand, Danielle Mitterrand, hatte sich während der Amtszeit ihres Mannes öffentlich für Öcalan ausgesprochen.

Seit 2012, als die YPG unter Ausnutzung der bürgerkriegsähnlichen Zustände in Syrien Gebiete im Nordosten des Landes erobern konnte, ist vor allem in der westlichen Welt eine zunehmende Tendenz festzustellen, die Präsenz der PKK zu ignorieren. Während westliche Staaten gegen alle Gruppen vorgehen, die angeblich oder tatsächlich mit Daesh in Verbindung stehen, lassen sie es zu, dass PKK-nahe Gruppen auf ihrem Territorium operieren.

Lange Zeit habe auch der türkische Linksradikalismus vor allem in Ländern wie Deutschland und Frankreich Zuflucht und Unterstützung gefunden, so Yılmaz. „Ich habe noch von keinem einzigen revolutionären Genossen gehört, der im sozialistischen Kuba oder in Nordkorea Zuflucht gesucht hat. In der Vergangenheit haben sie es auch vermieden, in die UdSSR zu gehen“, bemerkt er sarkastisch.

Westliche Heuchelei und Doppelmoral

Wie Yılmaz sieht auch Louati in der Haltung der westlichen Staaten gegenüber der PKK Anzeichen von Heuchelei und Doppelmoral.

„Die Heuchelei besteht darin, dass westliche sogenannte Demokratien vom Rest der Welt verlangen können, sie in ihrem Kampf gegen Organisationen zu unterstützen, die sie als Terroristen bezeichnet haben, ohne erstens klar zu definieren, unter welchen Bedingungen, und zweitens ohne darauf zu verzichten, Organisationen zu unterstützen, die von ihren eigenen Verbündeten als Terroristen bezeichnet werden“, so Louati gegenüber TRT World.

Auf der offiziellen Liste der EU wird die PKK als terroristische Organisation eingestuft, doch der Chef der führenden französischen kommunistischen Zeitung „L'Humanité“ und José Bové, Mitglied des Europäischen Parlaments, veröffentlichten 2016 einen Aufruf, die PKK von der EU-Liste der terroristischen Organisationen zu streichen, so Louati.

„Die Initiatoren wurden weder von den EU-Institutionen noch von der französischen Regierung wegen der Unterstützung der PKK verfolgt. Dieser Aufruf wurde weniger als ein Jahr nach den blutigen Terroranschlägen in Paris veröffentlicht", sagt Louati und bezieht sich dabei auf die Anschläge des Daesh in der französischen Hauptstadt.

Trotz der Angriffe der PKK auf türkische Zivilisten weist Louati darauf hin, dass es in Paris und Marseille eine Reihe von Pro-PKK-Demonstrationen gab, die von nationalen Persönlichkeiten wie Jean-Luc Mélenchon, einem Führer der extremen Linken, unterstützt wurden, der in der ersten Runde der letzten französischen Präsidentschaftswahlen den dritten Platz belegte.

Die französische Regierung unter Emmanuel Macron habe keine rechtlichen Schritte gegen solche Pro-PKK-Demonstrationen unternommen, sagt er. „Es scheint also terroristische Organisationen zu geben, die von der Zivilgesellschaft unterstützt werden können, während man bei anderen im Gefängnis landen würde, wenn man jemals seine Unterstützung für sie zum Ausdruck brächte“, sagt er und verweist darauf, wie unterschiedlich das französische Establishment auf verschiedene Gruppen reagiert.

Kein Verständnis für linksextreme Separatisten im eigenen Land

Während Paris PKK-nahe Gruppen willkommen heißt, zeigt es große Härte, wenn es um Gruppen wie die Nationale Befreiungsfront Korsikas (FLNC) geht, die für die Abspaltung der Mittelmeerinsel von Frankreich zum Zwecke der Bildung eines unabhängigen Staates eintritt.

„Ich bezweifle, dass die französische Regierung ausländische Unterstützung für die FLNC auf Korsika, den MIM auf Martinique, den MDES in Guyana oder die FLNKS in Neukaledonien begrüßen würde", sagt Louati und bezieht sich dabei auf antifranzösische Unabhängigkeitsbewegungen in verschiedenen französisch geführten Gebieten.

Als der französische Inlandsgeheimdienst Maßnahmen gegen die Finanzierung der PKK ergriff, erklärten die Vertreter der Gruppe in Frankreich sogar, sie seien schockiert, „wie Terroristen behandelt zu werden“, so Louati, was zeige, wie selbstverständlich die der PKK nahestehenden Gruppen ihre Präsenz in dem westeuropäischen Staat betrachten.

„Unter Macron ist es keine Überraschung, dass an allen Fronten gespielt werde“, betonte der Wissenschaftler. Einerseits werde der Terrorismus angeprangert, andererseits aber Organisationen wie die PKK unterstützt, obwohl diese auch auf NATO-Ebene als Terrorgruppe eingestuft würden, sagt er.

„Da Türkiye als Rivale angesehen wird, kann die PKK aus Gründen unterstützt werden, die die französische Regierung erklären und dann im so genannten ‚Krieg gegen den Terrorismus‘ relativieren muss."

TRT Deutsch