Verwundete Palästinenser verharren im Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt, nachdem sie nach einer Explosion aus dem Al-Ahli-Krankenhaus dorthin gebracht wurden, Dienstag, 17. Oktober 2023. / Foto: AP (AP)
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Von Shishi Rose

Im Schatten des anhaltenden Völkermords in Gaza haben viele Autoren und Aktivisten im Internet vor verheerenden Folgen für die Geburten von 50.000 schwangeren Palästinenserinnen gewarnt. Aber es müssen sich noch mehr Menschen zu Wort melden.

Die UN berichten, dass in Gaza jeden Tag mehr als 180 Frauen entbinden. Einige von ihnen unterziehen sich dabei Kaiserschnitten ohne Betäubung unter dem Licht eines Mobiltelefons. Frauen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser und Hygieneartikeln haben, nehmen Medikamente ein, um ihre Periode hinauszuzögern.

Die Geschichten und Bilder aus dem Gazastreifen sind erschütternd, besonders wenn wir an unsere Privilegien und den Komfort unserer Häuser denken. In diesem Sinne ist es für uns persönlich unvorstellbar das zu ertragen, was den Palästinensern jetzt Entsetzliches widerfährt. Und während die Kriegsverbrechen ohne Unterlass fortgesetzt werden, schweigen westliche Regierungen weiterhin zu den Massakern an der Zivilbevölkerung.

Niemand sollte sich damit abfinden, in einer Welt zu leben, in der jede Art von gewaltsamer Intervention möglich ist. Wir alle sollten versuchen, das Unrecht zu stoppen und unsere Regierungschefs auffordern, einen sofortigen Waffenstillstand zu erreichen.

Schwangere Frauen in Gaza sind mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Einige von ihnen sterben und hinterlassen Frühgeborene, die in Brutkästen überleben müssen. Die Krankenhäuser im Gazastreifen verfügen jedoch nicht mehr über Strom oder Treibstoff, um diese Geräte zu betreiben, da Israel die Zufuhr von Energie verhindert.

Das Leben von Frühgeborenen, Intensiv- und Dialysepatienten ist bedroht, nachdem das einzige Kraftwerk im Gazastreifen wegen des israelischen Einfuhrverbots für Brennstoffe seinen Betrieb eingestellt hat. / Foto: AA (AA)

In all dem von den Bombardierungen ausgelösten Chaos gebären die Frauen mit dem ständig allgegenwärtigen Tod und dem schrecklichen Anblick von Leichen vor Augen. Sie haben keine Privatsphäre, um ihre Babys zu versorgen und verfügen nicht über die nötige Nahrung, um ausreichend Muttermilch zu produzieren, damit ihr Baby sich entwickeln kann und auch ihre Körper regenerieren nicht richtig.

All dieses Leid führt unweigerlich zu schweren psychischen Problemen, die unbehandelt bleiben werden. Diese Auswirkungen auf die psychische Gesundheit erhöhen nicht nur das Risiko für postpartale Folgen, sondern es drohen auch in der Zukunft andere chronische Gesundheitsstörungen.

Viele dieser Frauen haben noch nie zuvor ein Kind zur Welt gebracht und haben ihre gesamte Familie durch den Krieg verloren, so dass ihnen die dringend benötigte Unterstützung durch die Angehörigen fehlt. Aufgrund dieser widrigen Umstände für die Schwangerschaft erleiden viele Frauen Fehlgeburten, verfrühte Wehen, Plazentaabbrüche, Präeklampsien, Totgeburten, Lungenembolien, Blutungen und viele von ihnen, auch weil sie bei den Bombardements verletzt wurden, müssen sogar Amputationen und weitere Operationen während der Geburt über sich ergehen lassen. Andere sind gezwungen, sich einer Hysterektomie zu unterziehen, weil die Ärzte kaum Möglichkeiten haben, anders ihr Leben zu retten.

Es gibt so viel Einzelschicksale bei Geburten, die der Öffentlichkeit verborgen bleiben, aber wir wissen, dass die Frauen und Familien unermesslich leiden. Dabei sind Geburten und Schwangerschaften nur ein Teil der Tragödie. Wenig wissen wir über die postpartalen Komplikationen, die viele Schwangere erleiden. Eine Mutter, die während der Geburt durch die Wehen und die Schmerzen ein schweres Trauma erleidet, hat ein erhöhtes Risiko für vaginale und rektale Risse, Unterleibsbrüche, Becken- und Hüftfrakturen, Steißbeinbrüche, Nervenschäden, Gebärmutterblutungen, Blutgerinnsel, postpartale Eklampsie und außerdem drohen Inkontinenz, Rückenschmerzen, ein erhöhtes Risiko für Diabetes, Dysautonomie, Herzstörungen, Sepsis und andere Infektionen.

Auch das Stillen und die Bindung der Mütter zu ihren Babys werden erschwert. Darüber hinaus werden viele dieser Frauen Mobilitätshilfen und andere Hilfsmittel benötigen, um mit diesen langfristigen Gesundheitsproblemen fertig zu werden, haben aber keinen Zugang zu solchen. Und wiederum werden sich viele von ihnen nie ganz von den Folgen ihrer Leiden erholen.

„Die Situation ist extrem schrecklich. Es gibt keine Menschlichkeit. Es gibt keine Menschlichkeit für das Personal, für die Patienten und für alle anderen“, sagte Dr. Shireen Abed, eine Spezialistin für Neugeborene in Gaza, kürzlich bei NBC News.

Als Hebamme in den Vereinigten Staaten sehe ich postpartale Komplikationen am häufigsten bei meinen afro-amerikanischen Patienten, die weniger Zugang zu Ressourcen, Bildung und Nachsorge haben. Trotz aller Privilegien, die US-Amerikaner genießen, erleiden afro-amerikanische Frauen immer noch die meisten Komplikationen vor und nach der Geburt und diese haben auch die höchste Sterblichkeitsrate bei Müttern und Föten, was auf die Auswirkungen des Rassismus sowohl im medizinischen System als auch auf gesellschaftlicher Ebene bei den Patienten zurückzuführen ist.

Das Leben in einem rassistischen System kann den Körper einer Person zermürben und sie anfälliger für medizinische Komplikationen machen. Für Frauen in Gaza, die ihr ganzes Leben lang unter der Besatzung gelebt haben und kaum Kontrolle über ihre eigene reproduktive Gesundheit und Regeneration haben, wiegt dieser Umstand noch extremer.

Um überhaupt zu einer medizinischen Einrichtung zu gelangen, müssen palästinensische Frauen zahlreiche israelische Kontrollpunkte passieren. In der Vergangenheit hat dies dazu geführt, dass Geburten an diesen Kontrollpunkten stattfanden und in einigen Fällen der Tod des Fötus oder der Mutter auf Grund von Verzögerungen zu beklagen war.

Aufgrund des Lebens unter der Besatzung erleiden viele Frauen im Gazastreifen Probleme mit der reproduktiven Gesundheit. Die Müttersterblichkeit und die Zahl der Komplikationen steigen seit Jahren an. Einige Frauen leiden unter Unfruchtbarkeit und versuchen mit Behandlungen Kinder zu bekommen, nur damit dann viele von ihnen ihren Nachwuchs durch israelische Bomben verlieren.

Nach der Geburt sollten sich die Mütter auf die Regeneration, die Bindung zu ihren Babys und die Produktion von Milch konzentrieren. Stattdessen trauern die meisten von ihnen um geliebte Angehörige und Kinder, leiden unter Hunger, Dehydrierung, fehlender postnataler medizinischer Versorgung sowie Trauerbegleitung. Sie sind gezwungen, aus dem Krankenhaus oder dem Haus, in dem sie entbunden haben, zu fliehen und stundenlang zu laufen, um den israelischen Angriffen zu entkommen.

Eine Frau trägt ein Kind, während Palästinenser am 10. November 2023 aus dem nördlichen Gazastreifen fliehen. REUTERS/Ibraheem Abu Mustafa (Reuters)

Diese Art von körperlicher Anstrengung kann die Wahrscheinlichkeit für Langzeitfolgen erhöhen, wenn die Frauen überhaupt überleben. Lange Fußmärsche, unebenes Gelände, ungeeignetes Schuhwerk, kein Zugang zu Mobilitätshilfen, geschwächte Rumpfmuskeln, keine Ruhepausen, das Tragen eines Babys und schwerer Gegenstände über weite Strecken und extreme Schmerzen: Das sind enorme Belastungen für einen Körper, der erst frisch entbunden hat.

Im ersten Jahr nach der Geburt ist das Verletzungsrisiko selbst an den privilegiertesten Orten der Welt hoch. Dieses Risiko ist für die Frauen im Gazastreifen astronomisch hoch. So sind normalerweise in den ersten Wochen Nahrung, Ruhe, Flüssigkeitszufuhr, Unterstützung und angemessene sanitäre Bedingungen sowie Produkte für die grundlegende Heilung erforderlich.

Mütter, Eltern, Geburtshelfer und Ärzte sollten sich weltweit lautstark gegen den laufenden Völkermord zu Wort melden. Wir werden täglich Zeuge von Kriegsverbrechen und dennoch sagen viele Menschen lapidar, dass dieses Thema zu kompliziert wäre, um „Partei“ zu ergreifen.

Die einzig gerechte „Seite“, auf der man stehen sollte, ist jedoch die, die besagt, dass Frauen und Familien die Kontrolle über ihr eigenes Land, ihr Wasser und ihren Strom haben sollten. Sie sollten vor militärischen Bombardements und vor Besatzungstruppen sicher sein, die ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Wirtschaft, ihre Bildung und ihre Fähigkeit, ihre Kinder in einer sicheren und gerechten Umgebung zu gebären, zu versorgen und aufzuziehen, bedrohen.

Der Völkermord im Gazastreifen ist nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern stellt auch eine schwere Verletzung der Rechte der Frauen dar. Es ist eine Frage der Unversehrtheit der Körper von Frauen und auch eine Frage der Rechte von Menschen mit Behinderungen, die jeden, der dies bezeugt, dazu bewegen sollte, sich an die Seite dieser Familien zu stellen und ein Ende der Belagerung in Gaza zu fordern. Ein Waffenstillstand, ein Ende der Besatzung und weltweite Unterstützung für den Wiederaufbau des Gazastreifens sind die einzigen Antworten, um die Überlebenden dieses Völkermordes und ihre Babys zu unterstützen.

TRT Deutsch