SPD-Bundestagsabgeordneter Karamba Diaby im Interview mit TRT Deutsch. (Foto: Niklas Gerlach)
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von Ali Özkök Der 1961 im Senegal geborene Karamba Diaby ist 1986 über ein Stipendium nach Halle an der Saale gekommen, hat dort Chemie studiert und zum Doktor der Naturwissenschaften promoviert. Sein Schwerpunktfach ist die Geoökologie. Im Jahr 2008 trat er in die SPD ein, im Jahr 2013 schaffte er als einer von zwei afrodeutschen Abgeordneten neben Charles Muhamed Huber (CSU) über die Landesliste Sachsen-Anhalt den Einzug in den Bundestag.

Im Interview mit TRT Deutsch äußert sich Diaby, der wiederholt zum Ziel von Drohungen und sogar Schüssen auf sein Wahlkreisbüro geworden war, über Rassismus in Deutschland, aber auch zu Themen wie der doppelten Staatsbürgerschaft, der Teilhabe von Einwanderern und den Zielen der SPD für die kommende Legislaturperiode.

Was sind die Kernpunkte der SPD-Integrationspolitik und welchen Stellenwert nimmt die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft bei Ihnen im Programm ein?

Für uns ist die Integration eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb wollen wir das, was wir in dieser Wahlperiode auch schon angefangen haben, nämlich allen Menschen, die neu zu uns kommen, den Anspruch auf Integrations- und Beteiligungsangebote gewährleisten. Das heißt, von der Kita bis zur Schule und von der Schule bis zur Ausbildung wollen wir das Miteinander stärken. Alle Kinder müssen unmittelbar die Möglichkeit erhalten, eine Kita zu besuchen; auch die Schulpflicht gilt unmittelbar für alle Kinder.

Gut integrierten Menschen ohne gesicherten Aufenthalt wollen wir ein dauerhaftes Bleiberecht ermöglichen. Auch die Integration klappt am besten mit der Familie. Die Regelungen für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wollen wir daher wieder an die Flüchtlinge angleichen. Dabei werden wir auch Regelungen für den Geschwisternachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen schaffen.
Jeder, der bei uns lebt, soll das Recht haben, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Arbeitsverbote werden wir daher abschaffen. Auch der Zustand jahrelanger Kettenduldungen ist ein Integrationshemmnis und muss durch eine Stichtagsregelung beendet werden, um Menschen eine Perspektive zu geben. Die zwangsweise Rückführung von Menschen in Länder, in denen ihnen Gefahr für Leib und Leben droht, lehnen wir ab.

Das Thema doppelte Staatsbürgerschaft ist auch unheimlich wichtig, weil wir immer wieder feststellen, dass viele die deutsche Staatsbürgerschaft nicht annehmen. Das ist natürlich ein Hindernis für die Demokratie, wenn ein großer Teil der Bevölkerung von der demokratischen Teilhabe ausgeschlossen ist, weil sie nicht passiv oder aktiv wählen können.

Rund ein Viertel der Menschen in Deutschland haben Migrationshintergrund. Welche Herausforderungen einerseits und welche Chancen andererseits birgt das für das gesellschaftliche Miteinander Ihrer Meinung nach?

Wir haben einen Migrationsanteil von ca. 25 Prozent in der Bevölkerung. Das ist natürlich eine riesengroße Chance für Deutschland, denn wir können die Potenziale dieser Menschen nutzen. Ich denke, eine große Herausforderung ist, allen die Möglichkeit zu geben, teilzuhaben im Kernbereich des gesellschaftlichen Lebens. Das ist einmal der Bereich Sprache, dann Bildung und Soziales. Das sind wesentliche Teile. Wenn es uns gelingt, dass wir das als eine gesellschaftliche Aufgabe sehen, dann ist der Zusammenhalt der Gesellschaft auch gestärkt.

Natürlich müssen wir uns mit dem Thema Rassismus im Alltag, mit Ausgrenzung und rechtspopulistischen Tendenzen befassen, die wir in Deutschland haben. Wir stellen fest, dass in den letzten Jahren der Ton rauer geworden ist. Spaltungstendenzen sind da. Es gibt Social-Media-Gruppen, die Hass und Hetze verbreiten. Auch Menschen mit Migrationshintergrund sind Opfer. Dieser Hass und die Hetze treffen nicht nur ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker. THW oder Feuerwehrleute, Polizistinnen und Polizisten sind auch häufig Opfer davon.

Ich denke, das sind Tendenzen, denen entgegenzuwirken ist, weil sie Hindernisse sind für die Teilhabe in der Gesellschaft. Insofern haben wir große Herausforderungen und die müssen wir in den nächsten Jahren auch angehen. Dafür hatte die Bundesregierung in dieser Wahlperiode im Kabinettsausschuss gegen Rassismus und Rechtsextremismus 89 Maßnahmen beschlossen. Initiativen von Menschen mit Migrationshintergrund waren einbezogen in die Diskussionen. Diese Maßnahmen werden mit einer Milliarde Euro finanziert – ressortübergreifend. Das sind gute Entwicklungen und die richtige Herangehensweise. Die Sozialdemokratie hat dafür gesorgt, dass diese Maßnahmen nicht nur benannt werden, sondern dass sie auch kräftig finanziert werden, damit auch wirklich etwas passiert.

In den Medien erscheint Ihr Name oft im Kontext mit rassistischen Drohungen, Anfeindungen und Hasstiraden, die gegen Ihre Person gerichtet werden. Haben Sie den Eindruck, dass das Rassismusproblem in Deutschland in den letzten zehn Jahren größer geworden ist?

Ja, in den letzten vier Jahren mussten wir feststellen, dass der Ton rau geworden ist in den Parlamenten. Sowohl im Bundestag als auch in den Landesparlamenten ist eine Partei vertreten, die Hass und Hetze in ihren Redebeiträgen verbreitet. Wenn man sich die Redebeiträge der Abgeordneten dieser Partei anhört, sind sie voller Herabwürdigungen, Beleidigungen und unwürdiger Äußerungen in Richtung Minderheiten. Ich denke, das sind Aspekte, die zur Spaltung in der Gesellschaft beitragen.

Und jeder Abgeordnete, der in diese Richtung Redebeiträge hält, muss sich natürlich Gedanken darüber machen, wie er den Boden nährt für Trittbrettfahrer, für Menschen, die diese mit Hass beladenen Worte dann in Taten umsetzen. Das motiviert natürlich radikale Gruppen. Wir hatten ja viele Ereignisse in Deutschland in den letzten Jahren, die sehr, sehr bitter sind. Halle und Hanau, aber auch die NSU-Morde sowie der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Das alles darf nicht Normalität sein in diesem Land.

Die Corona-Pandemie hat die Ausbreitung einer neuen Form des Rechtsextremismus begünstigt. Zu bekannten rassistischen Denkmustern treten dabei nun auch Verschwörungs-Erzählungen. Befürchten Sie auch in diesem Bereich eine Radikalisierung? Und wenn ja, womit müssen wir als Gesellschaft rechnen?
Wir sehen, dass sehr viele Gruppierungen solche Krisen nutzen, um die Gesellschaft zu spalten, Verschwörungstheorien und Mythen zu verbreiten. Ich denke, die überwiegende Mehrheit steht zu den Entscheidungen im Zusammenhang mit der Corona-Politik. Ich freue mich auch, dass eine gewisse Solidarität in der Gesellschaft da ist, dass man sich in öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch beim Einkaufen in an die Regeln hält.

Aber auch da ist die Gesamtgesellschaft gefragt. Wir müssen uns die Frage stellen: In welcher Gesellschaft wollen wir denn leben? Einer Gesellschaft der Solidarität, in der wir gemeinsam zusammenhalten und die Gesundheit von schwächeren Leuten schützen? Oder wollen wir das Wort denjenigen überlassen, die keine Vorschläge haben, sondern nur versuchen, laut und präsent zu sein mit Theorien, die nicht begründet sind?

Die jüngsten Umfragen machen der SPD Hoffnung auf ein besseres Bundestagswahlergebnis als 2017. Sie werden demnach wahrscheinlich auch wieder dem nächsten Bundestag angehören. Welche Regierungskonstellation wünschen Sie sich und welche politischen Vorhaben halten Sie für die dringlichsten in der nächsten Legislaturperiode?

Nun ja, es ist erfreulich, dass die Zustimmung zur Sozialdemokratie in den letzten Wochen sehr groß geworden ist, dass der Kanzlerkandidat Olaf Scholz einen deutlichen Vorsprung hat vor den anderen Kandidatinnen und Kandidaten. Ich denke, viele Bürger haben angefangen, sich mit dem Programm auseinanderzusetzen und sehen, dass die SPD geliefert hatte in dieser Koalition. Das ist gut so. Natürlich wäre es am schönsten, wenn wir als SPD-Bundestagsfraktion so stark wären, dass wir allein regieren könnten. Ansonsten wünsche ich mir eine Koalition mit den Grünen. Aber darüber sprechen wir dann nach dem 26. September.

In der nächsten Wahlperiode gibt es viele Herausforderungen, die vor uns stehen. Die erste ist: Wir müssen Respekt in den Mittelpunkt stellen. Respekt vor den Leistungen der Menschen in diesem Land. Erst jüngst trat die Grundrente in Kraft für Menschen, die über 30 Jahre gearbeitet haben, damit sie eine Rente bekommen, die über der Grundsicherung ist. Das reicht aber nicht. Wir wollen in der nächsten Wahlperiode den 12-Euro-Mindestlohn einführen.

Wir haben auch ein Klimaschutzpaket, das muss konsequent umgesetzt werden. Und es ist auch eine Chance für Deutschland, dass wir ein Jobmotor werden in der Welt, dass wir klimafreundliche Technik und Technologie produzieren mit unseren innovativen Unternehmen, die wir in diesem Land haben. Arbeitsplätze zu sichern, Renten zu sichern und internationaler Jobmotor in diesem Land zu werden, das sind die Herausforderungen, die vor uns stehen. Dafür steht die Sozialdemokratie.

Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch