16.08.2022, Mecklenburg-Vorpommern, Rostock: Blick auf das Sonnenblumenhaus im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen. Unter dem Beifall von Schaulustigen kam es 1992 mehrere Tage lang vor dem damaligen Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen zu schweren Ausschreitungen Rechtsradikaler. Angegriffen wurden auch ehemalige vietnamesische DDR-Vertragsarbeiter, die in dem Wohnblock lebten. (dpa)
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Die Bilder vom „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen gingen vor 30 Jahren um die Welt: Im August 1992 versuchte ein Mob von Randalierern und Rechtsextremen teils unter dem Applaus von Schaulustigen vier Nächte lang, die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (Zast) und eine Unterkunft für vietnamesische Arbeiter in dem Plattenbauviertel zu stürmen. Die Polizei war völlig überfordert. Das Pogrom begann am Abend des 22. Augusts. Unter „Deutschland den Deutschen“-Rufen attackierten die Angreifer den elfgeschossigen langgezogenen Plattenbau. Die Erstaufnahme war damals völlig überfüllt, zahlreiche Asylbewerber mussten vor dem Haus campieren. Zwei Abende später war die Zahl der Randalierer wie die der Schaulustigen auf mehrere tausend Menschen angewachsen. Zwar war die Zast kurz vorher evakuiert worden, aber nicht die Unterkunft der Vietnamesen im selben Gebäude. Mit Molotowcocktails setzten Randalierer mehrere Wohnungen in Brand. Geflüchtete und Pressevertreter mussten Schutz suchen Etwa 120 Bewohner und ein ZDF-Kamerateam konnten sich nur über das Dach in Sicherheit bringen. In der vierten Nacht lieferten sich die Krawallmacher mit den schlecht ausgerüsteten und schlecht geführten Polizisten ein brutales Katz-und-Maus-Spiel durch die Straßen und Hinterhöfe des Viertels. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern stellte später die Versäumnisse der Politiker auf den verschiedenen Ebenen sowie die der Polizei fest. Der Vorwurf, man habe die Situation eskalieren lassen, um die Geflüchteten los zu werden und letztlich bundesweit das Asylrecht zu verschärfen, konnte dadurch nicht vollständig entkräftet werden. 30 Jahre später will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag kommender Woche bei einer Gedenkstunde im Rostocker Rathaus an die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in der Hansestadt vor 30 Jahren erinnern. Vorher will er im Stadtteil Lichtenhagen mit Anwohnerinnen und Anwohnern sprechen sowie einen buddhistisch-vietnamesischen Tempel besuchen. „Das Pogrom ist Teil unserer Stadtgeschichte“ „Das Pogrom ist Teil unserer Stadtgeschichte“, erklärt Chris von Wrycz Rekowski (SPD), erster Stellvertreter des Rostocker Oberbürgermeisters. „Für uns und alle nachfolgenden Generationen bleibt die wichtige Aufgabe, Rassismus und Hetze gegen nationale, religiöse oder ethnische Minderheiten zu verurteilen.“ Mit mehreren Ausstellungen und Veranstaltungen will Rostock sich in diesen Tagen dieser Aufgabe erneut stellen. Bereits seit dem Jahr 2017 erinnern fünf Stelen an verschiedenen Orten der Stadt an die ausländerfeindlichen Ausschreitungen und deren Ursachen. Die Rasenfläche vor dem Sonnenblumenhaus, wo im August 1992 die Brandsätze geworfen wurden, ist allerdings längst mit einem Supermarkt bebaut. Einem Bündnis aus 38 Vereinen und Organisationen, viele aus dem linken politischen Spektrum, reicht das Gedenken jedoch nicht. Sie wollen am Samstag kommender Woche in Lichtenhagen demonstrieren. „Denn rassistische Gewalt und institutioneller Rassismus gehen bis heute Hand in Hand“, erklärt der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern, der den Aufruf unterstützt. Dem Erinnern „muss ein Handeln folgen“.

AFP