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Die Kontrolle sozialer Medien ist wie ein zweischneidiges Schwert. Oftmals steht der Vorwurf der Überwachungsgesellschaft im Raum. Andererseits ist es ohne Regulierung nicht möglich, Hass und Hetze beizukommen.

Wem ist es nicht selbst aufgefallen? Im Netz stößt man auf immer mehr Hassbotschaften und Hetze. Auffallend sind Verschwörungsmythen und verschiedenste Formen von Menschenfeindlichkeit. Besonders die sozialen Onlinenetzwerke wie Facebook, Twitter oder Instagram, aber auch Messenger-Dienste wie WhatsApp und Telegram sind Plattformen, auf denen Lügen und Drohungen bis hin zu Mordaufrufen unkontrolliert verbreitet werden können.

Wie wichtig die Funktion der sozialen Medien geworden ist, lässt sich in diesen Tagen besonders deutlich an der Person des scheidenden Präsidenten der USA nachverfolgen.

Die Macht von Twitter & Co.

Der Kurznachrichtendienst Twitter gehörte während seiner Regierungszeit zum bedeutendsten Kommunikationsmedium von Donald Trump. Wie die Social-Media-Plattform mitteilte, wurde Trumps Konto nun „aufgrund des Risikos einer weiteren Anstiftung zu Gewalt dauerhaft gesperrt“. Die Betreiber sozialer Medien wie Facebook und Twitter werfen dem Noch-Präsidenten vor, mit seinen Beiträgen die Menschen aufzuwiegeln und für Unruhe zu sorgen. Deshalb wurden die Beiträge von Trump schon seit mehreren Monaten mit Warnhinweisen versehen.

Konto von US-Präsident Trump dauerhaft gesperrt. (AFP)

Im Netz tobt nun eine Debatte über das Für und Wider der Entscheidung der Social-Media-Giganten. Nutzer streiten sich über die Grenzen der Meinungsfreiheit, die Ausübung der freien Rede und überhaupt über die Freiheitsrechte. Viele User werfen den Betreibern der Internetdienste die Einschränkung der Freiheitsrechte, Willkür sowie Zensur vor.

Justizministerin: „Schutz der Demokratie vor Hetzern, Hass und Gewalt“

Nach der Erstürmung des Kapitols und den jüngsten Unruhen in den USA hatte auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) eine schärfere Überwachung von Internetplattformen gefordert. „Wir werden in Europa verbindliche Pflichten für Internetplattformen schaffen, um Wahlen zu schützen, Hetze zu löschen und gegen Lügen und Verschwörungsmythen konsequent vorzugehen", sagte die Sozialdemokratin gegenüber dem „Handelsblatt“. Ziel sei es, die Demokratien vor Hetzern zu schützen, die im Netz zu Hass und Gewalt aufstachelten. Weitere Bundestagsabgeordnete sprachen sich dafür aus, Polizei und Justiz für die Bekämpfung demokratiefeindlicher Tendenzen im Internet besser auszustatten. Wie das Handelsblatt weiter berichtet, weise eine kürzlich veröffentlichte Studie der Landesanstalt für Medien NRW darauf hin, dass auf Messengerdiensten eine „starke Aktivität in den Feldern Desinformation, Verschwörungstheorien und Extremismus“ festzustellen sei. Da diese staatsgefährdenden Aktivitäten vor außereuropäischen Grenzen nicht Halt machen, darf die Frage gestellt werden, ob Polizei und Justiz in nichteuropäischen Staaten die gleichen Befugnisse bekommen dürfen.

Es ist konsequent, dass die Forcierung der Überwachung und Kontrolle von sozialen Medien in Deutschland weiter voranschreiten soll. So forderte Bundesjustizministerin Lambrecht laut der französischen Nachrichtenagentur AFP vor einigen Tagen, alle Demokraten müssten sich „Lügen und Hetze entgegenstellen“ und der Rechtsstaat müsse die staatlichen Institutionen konsequent schützen. Rassismus, Antisemitismus sowie Hass auf Demokratie und Medien müssten „mit aller Kraft“ bekämpft werden. Ziel sei es, die Demokratien vor Hetzern zu schützen, die im Internet zu Hass und Gewalt aufstachelten, so Lambrecht. Die Ministerin erklärte, es sei deutlich geworden, „wozu ungehemmter Populismus, Hass und Hetze führen können“. Viel zu lange seien „Wut, Hass und Aggression“ Teil des Geschäftsmodells gewesen, mit dem Technologieunternehmen und Betreiber sozialer Medien reich geworden seien.

Gilt der „Schutz der Demokratie“ nur für Europa?

Die deutsche Öffentlichkeit hat die Worte der Justizministerin zur Kenntnis genommen. Eine breite Debatte über ihre Überwachungsforderungen fand bisher jedoch nicht statt. Interessant wäre zu wissen, wie die deutsche Öffentlichkeit, Medien und Politiker wohl reagiert hätten, wären diese Forderungen aus der Türkei oder einem anderen Staat gekommen. Angenommen, der türkische PräsidentRecep Tayyip Erdoğanoder sein Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun hätten diese begründeten Erwartungen geäußert: Wie hätten unsere Medien, die in der Pflicht sind, zumindest in der Theorie, neutral zu berichten und objektiv zu informieren, reagiert? Ich möchte die Worte „Doppelmoral“, „Heuchelei“, „Opportunismus“, „Scheinheiligkeit“ usw. nicht in den Mund nehmen. Diejenigen, die der Türkei noch letztes Jahr in populistischer Manier ein hartes Vorgehen gegenüber den sozialen Medien vorwarfen, fordern nun selbst ein entschiedeneres Vorgehen und eine harte „Regulierung“ eben jener Medien.

Ein universelles Problem

Der Missbrauch der Meinungsfreiheit in den sozialen Medien ist ein grenzübergreifendes, ein universelles Problem. Die Türkei hat genau wie Deutschland mit der Entsolidarisierung und der Hetze im Netz zu kämpfen. Deshalb ist es vollkommen nachvollziehbar, dass sich auch in der Türkei Onlineplattformen einer stärkeren juristischen Kontrolle unterziehen müssen. Das türkische Parlament hat diesbezüglich im Juli letzten Jahres ein Gesetz verabschiedet. Interessant dabei: Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) diente der neuen Verordnung in der Türkei als Beispiel. Mit der Änderung des Telemediengesetzes hatte die schwarz-rote Bundesregierung 2017 unter Führung des damaligen Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD) ein neues Gesetz geschaffen, das Anbietern von sozialen Netzwerken im Anwendungsbereich des NetzDG Pflichten auferlegt. Neben der Türkei sollen auch andere Staaten, etwa Russland, Indien, Malaysia, Venezuela, Australien, Kenia oder die Philippinen, das deutsche Gesetz in Teilen als Modell für entsprechende Gesetze verwendet haben.

Die Nationalstaaten arbeiten seit Jahren mit größter Mühe und Geduld auf eine Einigung mit den Social-Media-Unternehmen hin, um eine einheitliche Regelung für die sich schnell wandelnde soziale Kommunikation zu finden. Auf der einen Seite stehen die globalen Betreiber dieser Netzwerke, die vorgeben, für universelle Rechte wie Meinungsfreiheit einzustehen. Auf der anderen Seite befinden sich die Regierungen, die argumentieren, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sein dürfe, weshalb bestimmte Regeln nötig seien, so wie im wirklichen Leben auch.

Sozialen Medien Grenzen auferlegen

Für Twitter, Facebook und Co. darf es keine Privilegien geben, nur weil sie virtuell agieren. Nicht erst seit den rechtsterroristischen Schandtaten in Christchurch, Halle oder Hanau mussten wir mitansehen, wie kurz der Weg zwischen einer virtuellen Drohung und einem realen Mord sein kann. Oft nimmt die stufenweise Radikalisierung in den sozialen Netzwerken ihren Lauf. Deshalb müssen nicht nur staatliche Ermittlungsbehörden präventiv tätig werden. Auch und gerade Betreiber der sozialen Medien, die mit ihren Plattformen ein Vermögen verdienen, sind in die Pflicht zu nehmen. Die Onlinenetzwerke müssen deutliche Grenzen auferlegt bekommen. Die Urheber von volksverhetzenden Aussagen, Bedrohungen und Belästigungen sollten sich für ihre Taten verantworten müssen.

Demokratien und freiheitliche Systeme sind empfindlicher bzw. weniger immun gegenüber Angriffen von Desinformationskampagnen. Darüber hinaus informieren sich heutzutage gerade jüngere Menschen immer mehr über Onlineplattformen anstatt wie früher über klassische Nachrichtenquellen. Nicht ohne Grund hat die EU-Kommission vor wenigen Wochen die Regulierung der sozialen Medien verstärkt.

Im Zeitalter der sich schnell wandelnden Kommunikationsformen müssen alle Staaten dieser Welt eine effektive Antwort darauf finden, wie sie sich selbst und ihre Gesellschaften vor Manipulation und Radikalisierung schützen können.

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