01.04.2022, Ukraine, Kiew: In diesem Bild aus einem Video, das vom Pressebüro des ukrainischen Präsidenten zur Verfügung gestellt wurde, geht Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, vor dem Treffen mit der EU-Parlamentspräsidentin, spazieren. (Ukrainian Presidential Press Office/dpa)
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Viele mögen den ukrainischen Präsidenten Selenskyj für sehr gutgläubig oder gar nicht reif für die Politik ansehen, doch die russische Invasion hat ihn in den Mittelpunkt der medialen Berichterstattung international gerückt. Durch die Macht der sozialen Medien ist Selenskyj innerhalb kurzer Zeit zum Trend geworden. Sein Auftreten auf den sozialen Medien hat ihm dazu verholfen, dass es fast niemand mehr auf der Welt gibt, der ihn nicht kennt. Dank der sozialen Medien und der großen Unterstützung genießt Selenskyj nicht nur die Zustimmung der Menschen auf der ganzen Welt, sondern er hat es geschafft, in die A-Liga der Politiker international aufzusteigen.

Die geheime Macht der sozialen Medien

Viele unterschätzen die Manipulationskraft der sozialen Medien. Doch Fragen wie „Lebt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj noch?“ werden heutzutage auf Twitter beantwortet. Je nachdem, wie lange seine letzte Meldung dort her ist, desto größer oder kleiner die Sorge. Ist die ukrainische Hauptstadt Kiew gerade unter Beschuss? Wieder ein Blick in ein soziales Netzwerk, ob jemand eine Fliegeralarm-Meldung abgesetzt hat oder nicht. Gleiches gilt für allerlei Fragen bezüglich des Ukrainekonflikts. Seit Tag 1 nimmt die ganze Welt teil an der russischen Invasion. Und dank der Macht der sozialen Medien hat die Ukraine, die militärisch weit unter dem Niveau der russischen Armee liegt, bis heute nicht aufgegeben.

Dieser Krieg findet nicht mehr erst nach Feierabend in der Tagesschau statt, von Journalisten gut dosiert aufbereitet, von einer gefassten Moderatorin präsentiert und konsumiert mit Abstand zum Fernsehbildschirm. Nicht einmal die Eilmeldungen der Online-Newsportale zeigen den Krieg so, wie es aktuell in sozialen Medien wie Twitter geschieht.

Seit Beginn des Krieges lässt sich feststellen, dass Selenskyjs Volk sehr aktiv auf Twitter über diesen Krieg berichtet. Die Ukrainer posten Videos aus Kellern, von Balkonen mit Blick auf Rauchfahnen, sie zeigen die neuesten Beschädigungen an Gebäuden, und das alles natürlich live. Ob der russische Präsident nicht vorher geahnt hat, dass heutzutage jeder eine Handykamera besitzt, damit zu jeder beliebigen Zeit live gehen und der Welt alles zeigen kann, weiß man zwar nicht, doch selbst wenn Putin das vorher geahnt hätte, hätte ihn dieser Aspekt sicherlich nicht davon abgehalten, die Ukraine anzugreifen.

Passend zu dem Krieg wurden geschickt Hashtags erfunden, etwa #StopWar, #Ukraine, #StopPutin etc. Durch diese Hashtags hat jeder Nutzer auf der ganzen Welt die Möglichkeit, die Ereignisse in der Ukraine innerhalb kürzester Zeit medial zu verteilen. Das Verteilen dieser Inhalte hat letztendlich dafür gesorgt, dass das ukrainische Volk innerhalb kurzer Zeit sehr viel Aufmerksamkeit bekommen hat und die russische Seite sehr viel Hass.

Außerdem ist dieser Krieg ein Krieg, in dem nicht nur gehört wird, was staatliche Stellen und Medienschaffende transportieren. Dieser Krieg hat eine dritte Ebene hervorgerufen, und zwar die Berichterstattung der betroffenen Menschen in den jeweiligen Kriegsgebieten. In einer Nacht ist jeder zum Kriegsberichterstatter geworden, selbst der Präsident des Landes verwittert derweil den Verhandlungserfolg mit jedem einzelnen europäischen Land und wiederholt damit eigentlich nur eine Nachricht: „Die Welt verbündet sich mit der Ukraine, nicht mit Russland.“ Während Selenskyj diesen Erfolg teilt, nutzt er geschickt die sozialen Medien, um von ihrer Macht Gebrauch zu machen, denn nur durch die sozialen Medien kann er innerhalb kürzester Zeit so viel Aufmerksamkeit erzielen, wie er sie niemals mit einem Fernsehauftritt erzielt hätte.

Selenskyj, der perfekte Frontmann

Viele Sicherheitsexperten sind sich sicher: Selenskyj ist der perfekte Frontmann, denn er gibt den Menschen in der Ukraine ein Gesicht. Das funktioniert über die sozialen Medien besonders gut, weil diese darauf abzielen, dass der Nutzer denkt, er sei dichter an einer Person dran, als dies tatsächlich der Fall ist.

Führt man sich die Statements von Selenskyj vor Augen, erkennt man sofort das Ziel dieser Auftritte. Selenskyj wehrte sich gegen die Behauptungen Russlands, er ließe die pro-russischen Gebiete in der Ukraine bombardieren, und fragte seinerseits: „Donetsk? Wo ich dutzende Male war? Ich habe ihre Gesichter und Augen gesehen. Artema? Wo ich mit Freunden spazieren gegangen bin? Die Donbass Arena? Wo ich mit den Einheimischen für unsere Jungs gefiebert habe während der EM? Lugansk? Die Heimat der Mutter meines besten Freundes? Der Ort, wo sein Vater begraben liegt? (...) Das alles ist für euch fremd, unbekannt. Das ist unser Land. Unsere Geschichte. Wofür werdet ihr kämpfen? Und gegen wen?“ Mit dieser Aussage versuchte Selenskyj klar und deutlich zu erklären, dass er sein Land verteidige und nicht, wie von Russland behauptet, angreife.

Der amerikanische Fernsehsender CNN brachte Ausschnitte davon. Ein Youtuber postete das ganze Video mit englischen Untertiteln, und auch viele Schauspieler twitterten Selenskyjs Aussage. Seither ist sie überall. Auch Selenskyjs Satz: „Im Krieg verlieren Leute ihr Geld, ihren Ruf, die Lebensqualität, Frieden und das Wichtigste: Die Leute verlieren ihre Liebsten. Und sich selbst.“

Seit Kriegsbeginn hört man im Gegensatz zu Selenskyj sehr wenig über den russischen Präsidenten Putin. Lediglich ein Konzert wurde im Namen der russischen Regierung organisiert, bei dem Putin auch selbst anwesend war. Diese Veranstaltung sollte dazu dienen, das Volk aufzumuntern. Ob das Volk durch das Konzert aufgemuntert wurde oder nicht, steht in den Sternen, doch eines ist klar geworden: Wer in Zeiten eines Notstandes nicht auf die Macht der sozialen Medien zurückgreift und diese nicht für seine eigene Propaganda nutzt, wird und bleibt der Verlierer.

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