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Historische Rivalität

Die offizielle Aufnahme der französischen-deutschen Freundschaft wird seit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags 1963 jährlich gefeiert. Historisch betrachtet ist die Harmonie zwischen Paris und Berlin jedoch ein neueres Phänomen, dem Jahrhunderte von Konflikten vorausgehen.

Die von Rivalität und militärischen Konfrontationen geprägte deutsch-französische Geschichte war lange als “Erbfeindschaft” bekannt. Gegenseitige Feindseligkeiten prägten auch den im neunzehnten Jahrhundert entstehenden Nationalismus. Abwertende Ansichten über Franzosen waren ein zentraler Faktor in der Entwicklung des deutschen Nationalismus. Tatsächlich erfolgte die Gründung des Deutschen Reiches 1871 nach dem Sieg der deutschen Staaten im deutsch-französischen Krieg und fand im Spiegelsaal des Schlosses Versailles statt, als Paris unter deutscher Belagerung stand. Die deutsche Annexion von Elsass-Lothringen fand im gleichen Jahr statt.

Die Rivalität zeigte sich auch außerhalb Europas. Beide Länder verfolgten eine aggressive Kolonialisierung. Frankreich war dabei um einiges erfolgreicher, doch ging Deutschland in seiner kurzen Kolonialzeit äußerst brutal vor, etwa bei den Völkermorden an den Herero und Nama.

Nach zwei Weltkriegen ging es in der neueren Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich nie nur um die Aussöhnung der beiden Länder. Auch internationale Dimensionen spielten stets eine Rolle.

Deutsch-französische Freundschaft und europäische Einigung

Dies wurde auch im Élysée-Vertrag deutlich, der von Bundeskanzler Adenauer und dem französischen Staatspräsidenten de Gaulle initiiert wurde. Das ursprüngliche Ziel war, dass Deutschland und Frankreich sich in wichtigen politischen Entscheidungen, inklusive Außenpolitik, abstimmen. Zwei Monate nach der Unterzeichnung fügte der Bundestag eine Präambel hinzu, die Frankreich und Deutschland auch zu einer engen Zusammenarbeit mit den USA sowie zur Integration Westeuropas in eine US-geführte NATO aufrief. Dies wurde von de Gaulle scharf kritisiert. “Die deutschen Politiker haben Angst, dass sie nicht tief genug vor den Angelsachsen kriechen! Sie benehmen sich wie die Schweine!”,sagtedieser.

Für de Gaulle war eine zunehmende Kooperation mit Deutschland und eine stabile Position Frankreich innerhalb der entstehenden Idee der europäischen Einigkeit ein wichtiger Schritt, um die internationale Position Frankreichs zu stärken. Für Westdeutschland war diese Allianz wichtig, um zentrale Ziele, etwa die Aufnahme in die internationale Gemeinschaft, zu erreichen.

Deutsch-französische Solidarität

Die deutsch-französische Allianz hat zur Stabilität innerhalb der Europäischen Union beigetragen. Die Solidarität zwischen Berlin und Paris ist nicht immer unbedingt eine Solidarität zwischen den Menschen, aber in jedem Fall eine Dynamik, die im kapitalistischen Interesse im Rahmen einer euro-atlantischen Hegemonie steht.

Die deutsch-französische Allianz nimmt auch innerhalb der EU eine Vormachtstellung ein. Doch stehen die beiden Länder auch in einem Spannungsfeld. Deutschland hat, vor allem unter Kanzlerin Merkel, seine Position als politische und wirtschaftliche Triebkraft der Europäischen Union ausgebaut.

Macron und Merkel sind stets bemüht, gemeinsame Stärke und Einigkeit zu demonstrieren. Bei einem Treffen im Juni 2020 pries Merkel die deutsch-französische Einigkeit und mahnte, “wenn Deutschland und Frankreich sich uneinig sind, dann ist es mit der Einigkeit Europas nicht besonders gut bestellt.”

Auch bei Unstimmigkeiten wird die enge Zusammenarbeit rhetorisch in den Vordergrund gestellt. Uneinigkeiten, wie z.B. Macrons Veto gegen die von Deutschland angestrebte EU-Erweiterung auf dem sogenannten Westbalkan oder Macrons verbaler Angriff auf die NATO, der er den „Hirntod“ bescheinigte, lösten kritische Kommentare und Widerstand aus. Macron äußerte in diesem Zusammenhang, Europa stehe am Rande des Abgrunds und laufe Gefahr, nicht mehr selbst über sein Schicksal bestimmen zu können. Doch weder Macrons Infragestellung der EU-Erweiterungspolitik noch seine Zweifel an der NATO haben größere Probleme ausgelöst.

Die Brüchigkeit innerhalb der EU wurde vor allem durch die Pandemie deutlich. Viele Europäer sind mit der Bewältigung der Covid-Krise unzufrieden. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich finden viele, dass die Pandemie die EU geschwächt hat.

Das öffentliche Beharren auf einer deutsch-französischen Zusammenarbeit ist somit wohl auch psychologisch ein wichtiger Faktor um europäische Einigung aufrechtzuerhalten.

Zwischen Krisen und Stille

Die Solidarität zwischen der französischen und deutschen politischen Elite bedeutet auch, dass Menschenrechtsverletzungen im anderen Land nicht kommentiert werden.

Macron hat Frankreich in eine schwierige Lage gebracht. Während seiner Amtszeit kam es zu neuen Kulminationen einer gefährlichen anti-islamischen Politik. Fundamentale Rechte muslimischer Bürger werden zunehmend eingeschränkt. Die hassgeprägte Rhetorik hat solche neue Höhen erreicht, dass Macrons Innenminister sich nun sogar beklagt, dass nicht genug Moscheen geschlossen werden.

Muslime unter Generalverdacht zu stellen, scheint Macrons Versuch zu sein, politisch zu überleben. In aktuellen Umfragen schneidet er schlecht ab. Selbst bei den Wahlen 2017 stimmten manche Wähler nicht für Macron, weil sie ihn unterstützen, sondern um einen Sieg der Rechtsradikalen Marine Le Pen zu verhindern. Macron selbst ist mit seinen populistischen und autoritären Tendenzen weiter nach rechts gerückt.

Und trotz anhaltender Massendemonstrationen gegen ihn kommt aus Berlin keine Kritik. Während Demonstrationen andernorts, z.B. in Weißrussland oder Russland, dazu führen, dass Deutschland und Frankreich Sanktionen verhängen, werden mutmaßliche Menschenrechtsverletzungen untereinander nicht thematisiert – selbst wenn Menschenrechtsorganisationen das brutale Vorgehen der französischen Polizei gegen unbewaffnete Demonstranten seit Jahren anprangern. Aber genau das ist auch deutsch-französische Solidarität.

Aggressive deutsch-französische Außenpolitik

Während die Anliegen der einheimischen Demonstranten eher ignoriert werden, äußert Macron sich gern zu politischen Ereignissen andernorts. Dies mag wohl eine Taktik sein, um von den eigenen innenpolitischen Unruhen abzulenken.

Es ist aber auch offensichtlich, dass Macron gern im Mittelpunkt steht. Durch sein konstantes Streben, bei diplomatischen Problemen zu intervenieren, versucht Macron sich als Vermittler oder Friedensmacher zu inszenieren – vielleicht in der Hoffnung, dass sich ein Moment ergibt, in dem er Geschichte schreiben kann. Dies steht in starkem Kontrast zum eher nicht-kontroversen Charakter der international wohl beliebteren deutschen Kanzlerin.

Dieser Vergleich ist fast metaphorisch für die Differenz in der Außenpolitik von Berlin und Paris.

Während Merkel eher versucht, im europäischen Einklang unter Einbeziehung Frankreichs zu agieren, versucht Macron gern, persönlich hervorzustechen. Dies wurde allein in den letzten Monaten anhand seiner Kommentare zu Libyen, Zypern, Libanon, Türkei, Griechenland, Armenien, Aserbaidschan, oder Weißrussland deutlich.

Dabei kommt es zu viel Aufmerksamkeit und wenig Resultaten, z.B. als Macron unbedingt ein Treffen zwischen dem iranischen Präsidenten Hassan Rouhani und dem ehemaligen US-Präsidenten Trump arrangieren wollte, das jedoch nicht zustande kam.

Macron schlug kürzlich auch eine Annäherung an Russland vor. Dies hätte vielleicht sogar einen produktiven Kontrast zur anti-russischen Linie der EU und der NATO und vor allem der osteuropäischen Mitgliedstaaten darstellen und damit einen Ausgleich schaffen können. Doch auch hier folgte seinen Worten keine Strategie.

Es ist auch ein Kampf um Relevanz. Frankreich ist ein besiegtes Kolonialreich, das um Anerkennung außerhalb Europas kämpft. Das ist Deutschland auch. Doch ist Berlin eine größere wirtschaftliche und politische Macht, die ihre Ziele subtiler durchsetzen kann, dadurch aber auch, im Rahmen der historischen Rivalität, heutzutage einen Schatten über Frankreich wirft.

Aber auch auf internationaler Ebene agieren Deutschland und Frankreich dennoch im Einklang. Beide unterstützen kategorisch ihre strukturelle Bindung an die USA und Washingtons Verbündete. Im Einklang mit der EU unterstützen sie menschenrechtsverachtende Diktaturen, wenn sie davon profitieren können. Auch das ist deutsch-französische Solidarität.

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