In Deutschland und anderen europäischen Ländern ist „einvernehmlicher“ Geschlechtsverkehr eines Erwachsenen mit einem Kind undenkbar – das Schutzalter schiebt dem einen rechtlichen Riegel vor, in Deutschland liegt es bei 14 Jahren. Auch Frankreich will nun explizit ein solches Schutzalter gesetzlich festschreiben, am Donnerstagabend stimmte dafür das Unterhaus des Parlaments. Anlass ist eine Serie von Missbrauchsvorwürfen gegen Prominente.
In Frankreich tobt seit dem Jahresbeginn eine zweite #MeToo-Debatte. Dabei steht nicht mehr Missbrauch in der Filmbranche im Mittelpunkt, sondern Pädophilie, Inzest und sexuelle Gewalt in Familien. Eine Reihe bekannter Persönlichkeiten stehen am Pranger – Politikwissenschaftler, Schauspieler und Vertreter der Film- und Fernsehbranche. Ihre Kinder oder andere Schutzbefohlene werfen ihnen sexuellen Missbrauch oder zumindest seine stillschweigende Duldung vor.
„Wir hören euch zu, wir glauben euch“, hatte Präsident Emmanuel Macron Ende Januar in einer Videobotschaft an die Opfer gesagt. Nach dem Willen des Staatschefs soll nun ein reguläres Schutzalter eingeführt werden, bis zu dem es keinen einvernehmlichen Sex mit Minderjährigen geben kann. Zwar gibt es auch in Frankreich viele Schutzparagraphen, aber nach Ansicht von Kinderrechtsverbänden klafft eine Rechtslücke.
Laut dem Gesetzesantrag, den die Pariser Nationalversammlung nun in erster Lesung billigte, soll das Schutzalter 15 Jahre betragen und bei Fällen von Inzest sogar bei 18 Jahren liegen. Auf die „sexuelle Penetration“ sowie Oral-Sex bis zu diesem Schutzalter sollen demnach künftig 20 Jahre Haft stehen, bei Inzest zwischen Blutsverwandten sogar 30 Jahre.
Bereits 2018 hatte die Regierung den Straftatbestand der Vergewaltigung erweitert, um Kinder besser zu schützen – auf ein explizites Schutzalter aber verzichtet. Zuvor hatte der Fall eines erwachsenen Franzosen Wellen geschlagen, der nach angeblich „einvernehmlichem“ Sex mit einer Elfjährigen freigesprochen wurde.
Inzest- und Pädophilie-Debatte seit Buchveröffentlichung
Die neue #MeToo-Debatte kam zu Jahresbeginn durch ein Buch ins Rollen: Verfasst hat es die Juristin Camille Kouchner, die Tochter des Ärzte-ohne-Grenzen-Gründers und früheren Außenministers Bernard Kouchner.
Sie erhebt schwere Vorwürfe gegen ihren Stiefvater, den bekannten Politikwissenschaftler Olivier Duhamel. Laut dem Werk „La Familia grande“ (Die große Familie) soll Duhamel den Zwillingsbruder von Camille Kouchner im Alter von 14 Jahren sexuell missbraucht haben. Die Pariser Intellektuellen-Familie deckte demnach den Mantel des Schweigens über die Taten.
Nach Veröffentlichung des Buches musste Duhamel alle Posten an der Pariser Elite-Universität Sciences Po niederlegen. Auch Uni-Direktor Frédéric Mion stürzte nach wochenlangen Studierenden-Protesten über den Vorwurf der Mitwisserschaft.
Das Kouchner-Buch führte zu einem Dammbruch: Tausende Franzosen berichteten unter Hashtags wie #Metooinceste und #scienceporcs („Wissenschaftsschweine“, ein Wortspiel auf Sciences Po) von sexueller Nötigung in Familien oder an Hochschulen. Auch Prominente gerieten unter Missbrauchsverdacht.
20 Feb. 2021
AFP
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