TV-Debatte zwischen Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) vor der Wahl (AFP)
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Seit dem 8. Dezember steht mit Ernennung von Olaf Scholz zum neuen Bundeskanzler die neue Regierung Deutschlands fest. Vor allem in der Außenpolitik besteht jedoch sehr großes Konfliktpotential in der Koalitionsregierung. Meinungsverschiedenheiten zwischen der Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock und Kanzler Olaf Scholz sind vorprogrammiert. Es steht zu erwarten, dass sich Scholz mit seiner Linie durchsetzen und Baerbock nur eine Randfigur bleiben wird. Die Spannungen in den außenpolitischen Fragen werden sich generell auf die Koalitionsregierung auswirken, und vor allem die Grünen als Partei werden die Leidtragenden sein.

Transatlantische Politik vs. Realpolitik

Deutschland ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs den USA sehr stark verbunden, und es ist mittlerweile Staatsräson, dass die USA immer ein enger Verbündeter Deutschlands bleiben. Deswegen liegt es auch im nationalen Interesse, dass Deutschland die Beziehungen zu den USA stabil hält. Vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges wurde Deutschland jedoch immer mehr zu einem unabhängigeren Akteur. Vor allem bei der Irak-Krise 2003 kam es unter der Schröder-Fischer-Regierung zu einem Bruch mit den USA.

Auch wenn die Grünen Teil der damaligen Regierung waren, verfolgen sie als Partei eine grundlegend transatlantische Agenda. Baerbock ist eine große Verfechterin dieser Linie und hat sich als Ziel gesetzt, ein engeres Verhältnis vor allem mit den USA aufzubauen. Im Gegensatz zu Donald Trump ist Joe Biden zudem ein geeigneter Partner für Baerbocks Außenpolitik. Eine härtere Einstellung gegenüber Russland und China sind zwei bedeutende Faktoren, die die amerikanische und die Außenpolitik der Grünen gemeinsam haben.

Auf der anderen Seite verfolgt Kanzler Olaf Scholz gemeinsam mit seiner Partei eine Außenpolitikstrategie, die auf Kontinuität, Stabilität und nationalen Interessen basiert. Zusammengefasst: Realpolitik. Scholz möchte Angela Merkels 16-jährige Außenpolitik, die auf maximale Ausschöpfung der deutschen Interessen fußte, fortsetzen. Das bedeutet, dass man als einer der einflussreichsten Handelsstaaten in der internationalen Politik seine Spitzenposition beibehalten und deswegen auch die Beziehungen zu wichtigen Handelspartnern wie China aufrechterhalten möchte. Auch wenn China mit dem Kommunismus ein anderes Weltbild repräsentiert und ein autoritär geführtes Land ist, ist es als Handelspartner doch zu wichtig, um die Beziehungen aufgrund unterschiedlicher Wertevorstellungen entscheidend zu schädigen.

Das gleiche gilt für die Beziehungen zu Russland. In diesem Fall ist Russland als Energielieferant ein viel zu wichtiges Land, als dass Deutschland die Beziehungen zu Moskau schädigen kann. Mit dem Nord Stream 2-Projekt würde Deutschland die Beziehungen zu Russland noch einmal vertiefen. Deutschland und Europa sind zu stark vom russischen Erdgas abhängig, als dass man bei jeder Meinungsverschiedenheit die deutsch-russischen Beziehungen riskiert.

Wer wird sich durchsetzen?

Es stellt sich nun die Frage, wer die deutsche Außenpolitikstrategie in der kommenden Periode gestalten wird. In der 16-jährigen Merkel-Ära stand diese Frage nie wirklich zur Debatte. Zum einen, weil Merkel und die CDU generell die Tradition fortsetzten, dass die Außenpolitik des Kanzlers durchgesetzt wird. Zum anderen aber auch, weil die Koalitionsregierungen (dreimal jeweils mit der SPD und einmal mit der FDP) aus traditionellen Parteien bestanden, die nach Staatsinteressen handelten. Mit den Grünen gibt es nun eine marginale Partei in der Koalitionsregierung, wie zuvor schon in der Schröder-Fischer-Regierung von 1998 bis 2005. Auch damals gab es schon Streit zwischen Schröder und Fischer.

Nun besteht Streit zwischen den beiden Parteien. Ausgelöst hat ihn Rolf Mützenich, der wiedergewählte SPD-Bundestagsfraktionschef. Er äußerte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, die Außenpolitik Deutschlands werde vom Kanzleramt und nicht vom Auswärtigen Amt gesteuert. Daraufhin antwortete der Grünen-Außenpolitiker und potentielle Kandidat auf den Parteivorsitz der Grünen, Omid Nouripour, dass man das Auswärtige Amt nicht so herabsetzen könne und dies dem sogenannten „Koch-Kellner-Prinzip“ entspräche.

Altkanzler Schröder äußerte sich ebenfalls und meinte, dass sehr wohl der Bundeskanzler die Außenpolitik bestimme. Es sollte an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass Schröder einer der hauptverantwortlichen Personen dafür war, dass das Nord Stream 2-Projekt realisiert werden konnte, und Außenministerin Baerbock eine Hauptgegnerin dieses Projekts ist. Ein entscheidender Punkt dafür, dass Olaf Scholz die Außenpolitik bestimmen wird, liegt in der Personalie Jens Plötner. Plötner war in den letzten zwei Jahren als Politischer Direktor im Auswärtigen Amt tätig und für wichtige Bereiche wie NATO, Europapolitik, transatlantische Beziehungen, Beziehungen zu China, Russland und der Türkei sowie Sicherheitspolitik zuständig. Nun hat Scholz die wohl wichtigste Person in der deutschen Außenpolitik der letzten Jahre in die Regierungszentrale berufen. Diese Personalentscheidung kann als deutliches Zeichen dafür gewertet werden, dass die wichtigen außenpolitischen Fragen im Kanzleramt getroffen werden und Baerbock mit ihrer Partei nicht die gewünschten Ziele erreichen wird.

Grüne können Glaubwürdigkeit verlieren

Russland und China hatten betont, man freue sich auf einen verlässlichen Partner aus Deutschland, mit dem man konstruktive Gespräche führen könne. Damit meinen diese beiden Länder nichts anderes, als dass man trotz unterschiedlicher Wertevorstellungen eine stabile Beziehung aufrechterhalten und dabei die Interessen auf beiden Seiten maximieren möchte.

Mit ihrem idealistischen und wertebasierten Ansatz wird Baerbock wohl brechen müssen. Während sie eigentlich die autoritäre Regierung Chinas kritisierte und vor allem die Unterdrückung der Uiguren immer wieder anprangerte, wird Baerbock nach Peking reisen, um dort die wichtigen deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen zu besprechen. Auch bei Russland kritisiert Baerbock immer wieder das Vorgehen Moskaus gegen die Ukraine und wehrt sich gegen das oben genannte Nord Stream 2-Projekt. Es wird sich zeigen, ob sich die Außenministerin zügeln müssen wird und sich nach den Vorgaben des Kanzleramts richten muss, um die diplomatischen Beziehungen nicht zu gefährden.

Auf der anderen Seite wird Baerbock versuchen, sich durchzusetzen, damit ihre Partei in der Öffentlichkeit und vor allem bei ihren Wählern nicht an Glaubwürdigkeit verliert. Ihre harten Aussagen gegenüber Russland und die Erklärung zweier russischer Diplomaten zu Personae non gratae zeigen, dass sie in den Vordergrund möchte. Sollte diese Strategie nicht erfolgreich sein, werden sich wahrscheinlich viele Wähler von der Partei abwenden, und die Öffentlichkeit würde sich bei dem Thema bestätigt fühlen, dass internationale Politik keinen Platz für idealistische Ansätze hat. Falls Baerbock jedoch ihre Linie durchsetzen möchte, wird sie mit dem Kanzler aneinandergeraten. Das Nord Stream 2-Projekt wäre nur der Anfang. Der Konflikt zwischen beiden Seiten würde zu Behäbigkeit in der deutschen Außenpolitik führen. Auch diesmal würden die Grünen viele Wähler verlieren, weil dadurch der Eindruck erweckt werden würde, die grüne Linie sei nicht geschaffen für die internationale Politik. Beide Szenarien wären eine Lose-Lose-Situation für die Grünen.

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