Recep Tayyip Erdoğan; Präsident der Republik Türkei und Wladimir Putin; Präsident der Russischen Föderation (AA)
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Die Spannungen an der russisch-ukrainischen Grenzen nehmen zu. Die Türkei bringt sich als Vermittler in den Konflikt zwischen Kiew und Moskau ein. Die ukrainische Regierung fordert nun Hilfe von Europa und der NATO. Eine Krise wie 2014 soll sich nicht wiederholen. Die Türkei zeigt in diesem neu aufkommenden Konflikt ihre Ambitionen als einflussreicher Akteur in der internationalen Politik.

Ukraine fordert Unterstützung vom Westen

Der ukrainische Geheimdienst berichtet, dass 92.000 russische Soldaten und schwere Panzer in der Stadt Jelnja, 250 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, zusammengezogen wurden. Der ukrainische Außenminister meint gar, dass 115.000 russische Soldaten an der ukrainisch-russischen Grenze zusammengezogen wurden. Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj fürchtet sogar einen Putsch seitens Russlands. Die ukrainische Seite ist besorgt über diese Entwicklungen und fordert Unterstützung von Europa und der NATO. Die Ukraine befürchtet, dass sich ein ähnliches Szenario wie 2014 ereignen wird. Damals hatte der Westen nicht gehandelt, und die Krim wurde von Russland annektiert.

Seit der Annexion der Krim 2014 ist das Vertrauen der Ukraine vor allem in Europa beschädigt. Hierbei sollte auch die Energiekomponente in diesem Konflikt betrachtet werden. Deutschland und Russland haben sich auf das Nord-Stream 2 Erdgaspipelineprojekt geeinigt, wodurch die Abhängigkeit Europas von Russland noch einmal stärker wurde. In der internationalen Politik ist Energie eines der wichtigsten Elemente, wie man es beispielsweise vor kurzem auch im östlichen Mittelmeer gesehen hat. Die Ukraine ist sich dieses Problems bewusst und hatte sich klar gegen das Nord Stream 2 Projekt gestellt, da Europa sich dadurch erpressbar machen würde.

Angesichts der seitens der Ukraine eingeforderten Unterstützung haben sich mehrere westliche Minister zur Situation in Osteuropa geäußert. Ehemaliger Außenminister der Bundesrepublik Deutschland Heiko Maas sagte, Russland müsse “für jegliche Form von Aggression einen hohen Preis zahlen”. Auch US-Außenminister Antony Blinken meinte, dass “jede neue Aggression schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen” würde. Auch der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verlautbarte, das Handeln Russlands sei “aggressiv”. Trotzdem erklärten sich die westlichen Politiker dazu bereit, das Problem auf diplomatischem Weg zu lösen.

Westen provoziert

Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Westen und Russland waren schon zuvor stark beschädigt. Die NATO entzog acht russischen Diplomaten die Akkreditierung, da sie beim russischen Geheimdienst arbeiten würden, und reduzierte die russische Vertretung bei der NATO um die Hälfte. Daraufhin suspendierte Russland die NATO-Militärmission in Moskau und beendete damit offiziell den Dialog mit der NATO.

Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte, der Westen habe eine „rote Linie“ überschritten. Putin fordert einen Dialog, der die Sicherheit Russlands garantiert. Neue Gefechtssysteme in der Ukraine seien Schritte, um die Präsenz der NATO im Osten noch weiter zu verstärken, so Putin. Der Aufbau von Raketenabwehrsystemen in Polen und Rumänien wurde schon zuvor von Russland kritisiert. Die Tatsache, dass der NATO-Gipfel in einem Land (Lettland, Riga) stattfindet, das an Russland grenzt, verschärft die Situation nur noch weiter.

Neuer Bündnispartner der Ukraine: die Türkei

Die Ukraine hat aufgrund des Konflikts 2014 und dem Nord Stream 2 Projekt einen großen Vertrauensverlust gegenüber dem Westen erlitten. Diese Ereignisse haben dazu geführt, dass sich die Ukraine nach weiteren Bündnispartnern umschauen musste. Die Türkei und die Ukraine pflegen seit 2019 sehr gute Beziehungen. Die guten bilateralen Beziehungen gehen vor allem darauf zurück, dass die Ukraine seitdem angefangen hat, sechs Bayraktar TB2 Drohnen zu erwerben. Des Weiteren plant die Ukraine, im Jahr 2022 weitere Bayraktar TB2 Drohnen für ihre Armee zu kaufen.

Neben ihrem Export von Drohnen in die Ukraine war die Türkei neben den USA, dem Vereinigten Königreich, Kanada und Moldawien einer der ersten Staaten, die ihren Vertreter nach Kiew anlässlich der „Crimean Platform“ im August entsandten. Dabei sollte unterstrichen werden, dass sich unter diesen Ländern kein EU-Mitgliedsstaat befand. Die „Crimean Platform“ wurde seitens der Ukraine gegründet, um die annektierte Krim auf diplomatischem Wege wieder zurückzubekommen.

Die Unterstützung der „Crimean Platform“ und der Export von modernen türkischen Drohnen in die Ukraine sind wichtige Faktoren, die das Vertrauen der Ukraine gegenüber der Türkei deutlich verstärkt haben. Obwohl die Türkei mit Russland bei mehreren geopolitischen Themen, etwa Syrien, Libyen oder Berg-Karabakh, hochsensible Verhandlungen führt, sichert die Türkei der Ukraine in wichtigen Themen, die sich klar gegen Russland wenden, ihre Unterstützung zu.

Türkei als einflussreicher Akteur in der internationalen Politik

Die Türkei will nun in diesem aufkommenden Konflikt die Vermittlerrolle übernehmen und die Krise auf diplomatischem Weg lösen. Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums machte geltend, die Türkei könne sich nicht in diesen Konflikt einmischen. Jedoch führte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Freitag mit dem russischen Staatspräsidenten ein Telefongespräch. Dabei erörterten beide Staatsoberhäupter auch die Krise an der russisch-ukrainischen Grenze. Der russische Außenminister Lawrow hatte schon zuvor angekündigt, beide Staatsmänner würden über die Krise am Donbass sprechen und die Türkei wolle die Vermittlerrolle übernehmen.

Die Türkei bringt sich mit ihrem aktiven Handeln immer stärker in die internationale Politik ein. In Libyen und in Berg-Karabakh hat die Türkei bewiesen, dass sie ein wichtiger und einflussreicher Akteur im internationalen System ist und dass vor allem Europa bzw. die EU immer mehr an Einfluss verliert. Auch bei der neu aufkommenden Krise in der Ukraine vernimmt man von den europäischen Ländern nur verbale Aufforderungen, sieht aber keinerlei aktiven Handlungen, die in die Praxis umgesetzt werden. Auf der anderen Seite gewinnt die Türkei das Vertrauen der Ukraine, indem sie Kiew bei wichtigen Themen unterstützt. Während sich die europäischen Länder mit Nord Stream 2 immer weiter von Russland abhängig machen, unterstützt die Türkei die Ukraine auf militärischer Ebene und bei wichtigen geopolitischen Themen wie der Krim. Und dies, obwohl die Türkei selbst auch sensible Reibungspunkte mit Russland hat.

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