17. Februar 2022, Hessen, Frankfurt/Main: Der Angeklagte (r) und mutmaßliche Verfasser der „NSU 2.0“-Drohschreiben wird in Handschellen in den Verhandlungssaal geführt. Dem Berliner werden unter anderem Beleidigung, versuchte Nötigung und Bedrohung vorgeworfen. (dpa)
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Das Kürzel NSU steht für eine Terrororganisation mit nationalsozialistischer Ideologie, die für tödliche Attentate verantwortlich war, denen 8 Türken, ein Grieche und eine Polizistin in Deutschland zum Opfer fielen. Das letzte bekannte aktive Mitglied dieser Organisation wurde 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt. In dem jetzt zur Verhandlung stehenden Fall, in dem neben dem bereits vorbestraften Alexander M. auch vier Polizisten auf der Anklagebank sitzen, geht es um zwischen 2018 und 2021 versandte Briefe, E-Mails, SMS und Faxe, die Morddrohungen, verbunden mit rassistischen und rechtsextremen Botschaften, zum Inhalt hatten. Unter den Adressaten bzw. Opfern dieser Drohungen befanden sich auch türkischstämmige Rechtsanwälte und Künstler. Auch gehörte Nancy Faeser, die für ihre offene Haltung und konstruktive Ausländerpolitik bekannte Innenministerin, zu den Adressaten dieser Botschaften.

Im vergangenen Jahr waren in der Wohnung des Hauptverdächtigen, einem arbeitslosen IT-Techniker, dem neben Drohungen und Beleidigungen auch Hassverbrechen, Aufstachelung zu Hass und Feindschaft sowie Ruhestörung und Behinderung der Arbeit von Strafverfolgungsbehörden vorgeworfen werden, bei einer Durchsuchung im Mai in Berlin Verstöße gegen das Waffengesetz festgestellt sowie Beweismittel mit Symbolen verfassungswidriger Organisationen sichergestellt worden. Ebenso wurden bei den Durchsuchungen die elektronischen Geräte des Angeklagten beschlagnahmt sowie digitale Identitäten mit Bezug zum Angeklagten aufgedeckt und Beweise für die oben aufgeführten Vorwürfe gesammelt. Dabei konnte bereits festgestellt werden, dass die Art und Weise der verwendeten Sprache sowie die verwendeten Symbole und ideologischen Inhalte bei der vom Angeklagten offensichtlich verwendeten digitalen Identität in Sachen rassistischem Motiv in auffallender Weise übereinstimmten. Darüber hinaus ergaben die Ermittlungen, dass sich die von ihm unter seinem Profil auf dem für seine islamfeindlichen Inhalte bekannten und vom deutschen Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften Blog PI-News formulierten Inhalte mit denen der verschickten Morddrohungen deckten. In diesem Zusammenhang kam ebenso zutage, dass dort auch gegen Juden, Einwanderer und Menschen mit dunkler Hautfarbe gehetzt wurde.

Wo steht die deutsche Polizei in diesem Fall?

Von Beginn der Ermittlungen an widersprachen die betroffenen Rechtsanwälte, Journalisten, Intellektuellen und Künstler der vorgetragenen Version eines Einzeltäters. Zweifellos haben die von den Ermittlungsbehörden damals angeführten Gründe zu diesen Einwänden geführt.

Bei der Prüfung der Vorstrafen von Alexander M. wurde beispielsweise klar, dass er sich bereits 1992 als Polizeibeamter ausgegeben und sich der Amtsanmaßung schuldig gemacht hatte. So gesehen überzeugt es die Öffentlichkeit nicht, wenn nunmehr wieder auf eine mögliche Täuschung öffentlicher Behörden verwiesen wird, bei der diese Person durch die Vorspiegelung einer Identität als Polizist Zugang zu gespeicherten persönlichen Informationen von Personen erlangt haben soll. In Frankfurt, wo dem Angeklagten der Prozess gemacht wird, kam es entsprechend zu Protesten, um den Vorfall im Hinblick auf die Täter vollumfänglich aufzuklären und darauf zu drängen, die Ermittlungen in Hinsicht auf die Beteiligung von Polizisten bei den im Raum stehenden Straftaten zu erweitern. Folglich wurden bei der Aufarbeitung des Falls, der auch international Beachtung findet, Ermittlungen gegen 40 Polizeibeamte in Hessen angestrengt und in deren Folge zunächst 5 Polizisten vom Dienst suspendiert, da personenbezogene Daten von den Betroffenen irrtümlich herausgegeben wurden. Vier der Beamten müssen sich als Angeklagte verantworten. Bei der Auswertung der Computer der betroffenen Beamten wurde festgestellt, dass auf illegale Weise personenbezogene Daten der Opfer eingesehen wurden.

Die Symbolik im Fall des NSU 2.0

Abgesehen von diesem Aufsehen erregenden Prozess in Deutschland werden wir fast täglich Zeuge rassistischer und rechtsextremer Übergriffe. Betrachtet man dann noch den stabilen Stimmenanteil und das Wählerprofil der AfD, wird sowohl die sich im ganzen Land ausbreitende rechtsextreme Welle als auch deren wachsender Einfluss in der öffentlichen Bürokratie, insbesondere in den Sicherheitsbehörden, auch mit Bezug auf die Partei immanent.

Ebenso wird deutlich, dass Muslime, Juden und Zuwanderer in einem heterogenen Deutschland gemeinsame Sorgen um ihre Sicherheit formulieren. In diesem Sinne kommen Angriffe auf Türken nunmehr islamfeindlichen Angriffen gleich. So steigt europaweit die Besorgnis über die rechtsextreme Welle, die mit Deutschland als treibender Kraft von Tag zu Tag größere Ausmaße annimmt.

Der NSU 2.0 hat Symbolkraft für rassistische und rechtsextreme Gruppierungen, die versuchen, sich in Sicherheitsbehörden festzusetzen, was auch an den immer wieder öffentlich aufgedeckten Skandalen deutlich wird.

Die Polizei als ausführendes Organ des Staates, das in das persönliche Leben eingreift, hat gesetzlich festgelegte Befugnisse. Sie sorgt für die öffentliche Ordnung und unterstützt Staatsanwaltschaften bei der Aufklärung von Verbrechen. Die Tatsache, dass es potentiell auch Täter aus den Sicherheitsbehörden gibt, insbesondere in einem Land wie Deutschland, wo rechtsextreme Bewegungen den Marsch durch die Institutionen angetreten haben, hätte globale Auswirkungen und möglicherweise wiederholt gewalttätige Zwischenfälle zur Folge und birgt darüber hinaus die Gefahr, aus ideologischen Erwägungen gar Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu manipulieren bzw. zu verzögern und zu verschleiern. In diesem Fall wäre das Ansehen der Staatsanwaltschaft so geschädigt, dass sie sogar ihrer Pflicht hinsichtlich einer effektiven Verbrechensaufklärung nicht nachkommen könnte.

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