11.11.2021, Belarus, Grodno: Auf diesem vom Staatlichen Grenzkomitee Belarus veröffentlichten Foto wärmen sich Migranten aus dem Nahen Osten und anderen Ländern an einem Feuer an der belarussisch-polnischen Grenze. An der östlichen EU-Außengrenze zu Belarus haben Tausende Migranten eine weitere Nacht in provisorischen Camps in der Kälte verbracht. (Uncredited/The State Border Committee of the Republic of Belarus GPK.GOV.BY/AP/dpa)
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Mit der Entscheidung, der Ukraine den Gashahn abzudrehen, nutzte Russland die Energieabhängigkeit des Landes als politische Waffe. Und angesichts der Unsicherheiten durch die Krisen im Nahen Osten und wachsender Instabilität in weiteren Regionen werden nunmehr sogar die auch durch die Klimakrise verursachten Migrantenströme als Mittel in der politischen Auseinandersetzung instrumentalisiert. Der Konflikt zwischen der belarussischen Regierung und der EU nahm ihren Anfang im Mai mit der Wiederwahl von Alexander Lukaschenko bei den Präsidentschaftswahlen. Die EU hat die Wahlen nicht anerkannt und den Vorwurf in den Raum gestellt, diese seien manipuliert worden. Es folgten Straßendemonstrationen gegen das Wahlergebnis und die harte Gegenreaktion der belarussischen Regierung gegen die Proteste. Neben einer scharfen Verurteilung der staatlichen Übergriffe verhängte die EU Sanktionen gegen die Regierung in Minsk. Daraufhin offenbarte Lukaschenko seine mögliche Gegenreaktion, indem er erklärte, man werde den Zustrom von Migranten nach Europa nicht mehr aufhalten.

Reaktionen der Konfliktparteien auf die Migrantenkrise

Russlands Präsident Wladimir Putin sieht die Verantwortung für die aktuelle Migrantenkrise an der EU-Ostgrenze beim Westen. Bei seinem Treffen mit Lukaschenko kritisierte er das Vorgehen Polens und äußerte sich sowohl über den harten Umgang des Landes mit den Migranten und als auch über die Stationierung von weiteren Streitkräften an der belarussischen Grenze besorgt.

Polen setzt über 10.000 Soldaten ein, um das Eindringen von Flüchtlingen zu verhindern. Obwohl die Europäische Kommission anbot, Polen bei der Gewährleistung der Grenzsicherung zu unterstützen, erklärte die polnische Regierung, man verfüge über genügend Soldaten und Grenzpolizisten verfüge und brauche eine Unterstützung durch die EU-Grenzagentur Frontex nicht

Für den polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki steckt Russland hinter dem Flüchtlingsstrom nach Polen. Es soll Putin gewesen sein, der die belarussische Regierung ermunterte, den Zustrom von Migranten zuzulassen. Morawiecki zielte bei einer Rede im Parlament sogar direkt auf Putin und warf ihm vor, er missbrauche die Flüchtlingsproblematik als Schutzschild, um Polen und damit die EU zu destabilisieren. Demnach sind die Stabilität und die Sicherheit der gesamten EU in Gefahr. Für ihn richtet sich der hybride Angriff des Lukaschenko-Regimes gegen die gesamte Gemeinschaft, und er kündigte auf Twitter an, man werde es selbigem nicht erlauben, den Frieden in Europa mit den Partnern in der NATO und der EU zu gefährden. In gewisser Weise war diese Aussage des Premierministers auch ein Hinweis auf den schwelenden Konflikt zwischen dem Westen und Russland.

Das Thema Migration als politisches Instrument

Tausende Flüchtlinge aus Ländern des Nahen Ostens verharren derzeit an der Grenze zwischen Polen und Belarus. Wobei Belarus in den Raum stellt, die NATO missbrauche diesen Migrantenstrom gegen das eigene Land und Russland. Tatsächlich werfen russische Medien dem Westen vor, Leopard-Panzer gegen Flüchtlinge einzusetzen. Regierungsnahe belarussische Medien berichten sogar von Schüssen in der Grenzregion und rufen die internationale Öffentlichkeit zu mehr Sensibilität auf. Während Lukaschenko überdies behauptet, mafiaähnliche Strukturen aus der EU organisierten die Migrantenströme, indem sie Flüchtlinge in Flugzeuge setzten, ermahnt er gleichzeitig seine eigenen Soldaten, sich vor Provokationen zu hüten. Darüber hinaus verweist er darauf, dass Polen keine Asylbewerber durchließe und damit eine eklatante Menschenrechtsverletzung begehe.

Die Europäische Union hat Sanktionen gegen die Beteiligten verhängt und zunächst Visaerleichterungen für Mitglieder der belarussischen Regierung bzw. deren Mitarbeiter aufgehoben. Zudem kündigte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, an, Sanktionen gegen Fluggesellschaften zu erwägen, die bei der Beförderung von Flüchtlingen an die EU-Außengrenze eine Rolle spielen. Auch Sanktionen gegen Personen und Institutionen, die an der Schleusung von Migranten beteiligt sind, werden seitens der Kommission erwogen. Ebenso warnt Bundesaußenminister Heiko Maas, die EU werde neue Sanktionen gegen Belarus verhängen. Insbesondere plädiert er für Sanktionen gegen jeden, der am Menschenhandel beteiligt ist.

Westliche Medien widersprechen den Vorwürfen der belarussischen Führung und berichten ihrerseits, für die Flüchtlinge, die jüngst nach Belarus eingereist sind, seien vielfach Touristenvisa ausgestellt worden. Überdies unterstreicht man, Belarus sei für den Flughafen Minsk verantwortlich und dann eben auch dafür, dass sich Flüchtlinge aus dem Nahen Osten dank diesem Flugverkehr nun vor der polnischen Grenze versammeln. Lukaschenko wies diese Vorwürfe zurück und erwiderte in einem Interview, die Flüchtlinge seien legal ins Land eingereist. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hingegen sieht Parallelen mit der Situation in der Türkei und forderte, die EU solle für Belarus die gleichen Mittel bereitstellen wie für die Türkei. Zudem warf er dem Westen vor, das Bündnis habe jahrelang im Nahen Osten bzw. Nordafrika Chaos angerichtet und die Menschen zur Migration gezwungen.

Humanitäres Drama an den Grenzen des Westens

Es ist bekannt, dass es im Oktober 11.300 illegale Einreisen von Belarus nach Polen gab. Im Jahr 2021 sollen bis jetzt insgesamt 23.000 Flüchtlinge auf diese Weise polnischen Boden erreicht haben. Das Hauptziel der Flüchtlinge ist die Durchreise über Polen nach Deutschland und eben nicht der Besuch von Belarus. Allein im Oktober sind nach Angaben der deutschen Polizei 4.889 Asylbewerber über Polen nach Deutschland eingereist.

Tausende Flüchtlinge, viele aus Afghanistan und dem Irak, kämpfen derzeit in der eisigen Kälte an der polnischen Grenze ums Überleben. Die Situation spitzt sich zu, insbesondere da die Warschauer Regierung die Grenzübergänge schließt. Etwa 3.000 bis 4.000 Flüchtlinge verharren an der belarussischen Grenze und sind in provisorischen Zelten untergebracht. In diesen Zelten befinden sich auch viele Schwangere und Kinder. Diese Menschen, psychisch und physisch ohnehin schon schwer angeschlagen, leiden überdies auch noch unter Nahrungsmittelknappheit.

Abgesehen davon, wie wir Einwanderung, Asylbewerber oder Flüchtlinge definieren, erleben wir ein Drama, das Menschen durchleiden. Die Migrantenkrise in Belarus ist eben auch ein Feld des Wettstreits zwischen den Akteuren. Diese Krise verdeutlicht einmal mehr, dass das Thema Migration als ein politisches Instrument von Staaten im neuen Zeitalter gesehen wird. Mal ist es Afghanistan, mal Belarus oder auch die mexikanische Grenze: Überall bietet sich sowohl der Stoff für populistische Politiker als auch für Konflikte von global widerstreitenden Akteuren.

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