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Morgen jährt sich der rassistische Terroranschlag in Hanau, bei dem neun Menschen mit (familiärer) Migrationsgeschichte von einem Rechtsterroristen ermordet wurden. Wie wirkte sich die AfD auf diesen Attentäter aus?

Der Täter tötete anschließend seine Mutter und dann sich selbst.
Die Familien der Opfer fühlen sich von der Polizei bis heute nicht gut über die Tatnacht informiert. In dieser Kolumne möchte ich der Frage nachgehen, welchen Einfluss Parteien wie die AfD auf potenzielle Täter wie den Attentäter von Hanau haben. Ein Exkurs in die nähere Vergangenheit lässt Parallelen erkennen.

Rassistische Asylanten-Rhetorik in den 1990ern

Dafür muss man vor allem auf die Zeit nach dem deutschen Mauerfall blicken. Die rechtsextremen Brandanschläge in Mölln und Solingen auf Familienhäuser von Menschen aus der Türkei und Flüchtlingsheime waren Resultat des vergifteten Klimas in der Gesellschaft, das durch die rassistische Asylanten-Rhetorik von einflussreichen Medien und Politikern befeuert wurde.
Und selbst nach den Brandanschlägen war sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl zu schade, um an der Beerdigungszeremonie der Opfer teilzunehmen. Er wolle nicht am „Beileidstourismus“ teilhaben, ließ er ausrichten.
Diese zutiefst apathische Haltung brannte sich nicht nur in die ohnehin schon verletzten Herzen der Opferfamilien ein. Damit fühlten sich Rechte in ihrer Denkweise bestärkt, Menschen mit Migrationsgeschichte und deren von ihnen verachtete Kultur seien nicht Teil von Deutschland.
Auch das NSU-Kerntrio um Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe formierte sich Mitte der 1990er, obwohl sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz als auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr genug Informationen und Anhaltspunkte über ihre Aktivitäten in der rechten Szene hatten. Uwe Mundlos durfte trotz seiner bekannten rechten Ideologie weiterhin in der Bundeswehr an Waffen ausgebildet werden und wurde sogar zweimal befördert. Der strukturelle Rassismus trat auch hier zutage. (siehe dazu: Dirk Laabs – Staatsfeinde in Uniform (2021), S. 56ff)

Radikalisierung auf AfD-Demos

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf seiner Terrasse im Sommer 2019 erschütterte das ganze Land, zumindest jenen Teil, der für eine offene Gesellschaft steht. Lübcke engagierte sich für eine humane Flüchtlingspolitik. In einer Rede in einer Bürgerversammlung von 2015, die von seinem späteren Mörder im Netz verbreitet wurde, fiel der folgende Satz, der ihn aus Sicht der Rechten zum Staatsfeind machte: „Ich würde sagen, es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen.
Nach dieser emotionalen Rede wurde er von AfD-Politikern, rechten Bloggern und Medien zur Zielscheibe gemacht. Der Hauptangeklagte Stephan E., der vor zwei Wochen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, gab im Prozess zu, dass er sich vor allem auf AfD-Demonstrationen radikalisiert hatte und den Entschluss, Lübcke etwas anzutun, nach der Demonstration der AfD in Chemnitz im September 2018 gefasst hatte.

Björn Höcke, Vorsitzender der AfD Thüringen, der keinen Hehl aus seiner rechten Ideologie macht, war einer seiner Vorbilder. Daran sieht man auch, wie emotional inszenierte Reden und Demonstrationen zum Brandbeschleuniger für rechtsextremistische Taten werden können.

AfD und die Kriminalisierung von Shisha-Bars

Der Attentäter von Hanau, Tobias R., ermordete kaltblütig in und vor Shisha-Bars neun Menschen mit Migrationsgeschichte. Warum suchte sich der Attentäter, dem in einem Gutachten psychische Labilität und völkischer Fanatismus attestiert wurden, ausgerechnet Shisha-Bars für seine geplante und professionell ausgeführte Tat aus? Es existiert wahrscheinlich ein Zusammenhang zwischen der Hetze der AfD gegen Shisha-Bars und dem Anschlag in Hanau. In den sozialen Medien wurden Einzelfälle in Shisha-Bars instrumentalisiert, um Stimmung gegen deren Gäste zu erzeugen. Es liegt nahe, dass der Attentäter diese Lokale deshalb bewusst als Ziele für seinen mörderischen Plan ausgesucht hatte.


Sein Bekennerschreiben liest sich übrigens wie die Propagandaschriften von AfD-Politikern. Wie Björn Höcke glaubt er an einen angeblichen "Volkstod" und an die rechte Verschwörungstheorie von einem "Bevölkerungsaustausch". Dabei fokussiert er sich wie die AfD auf „kriminelle Clans“ und bezeichnet Geflüchtete und Migranten als „Sozialschmarotzer“. Er habe schon in jungen Jahren die Meinung entwickelt, dass das „schlechte Verhalten bestimmter Volksgruppen“ ein Problem sei, und behauptet, dass der Islam „destruktiv“ sei.

Dieser in ihm gestaute Hass fand seinen Höhepunkt im rassistisch motivierten Anschlag in Hanau. Gewisse Zeitungen hatten zudem monatelang Shisha-Bars als Orte von organisierter Kriminalität dargestellt. Neun unschuldige Menschen mussten sterben, weil sie zu potenziellen Tätern erklärt wurden. Lokale und Shisha-Bars waren wie ein Schutzraum für sie, wo sie die Zeit mit ihren Freundinnen genossen und eine Ausflucht aus dem Alltag suchten.
Und wie begründet die Polizei Hanau ihre Entscheidung, Notausgänge in bestimmten Lokalen versperren zu lassen? Ist das auch in Restaurants üblich, wo die Mehrheit der Stammgäste nicht der Klientel in Shisha-Bars entspricht? Vor wenigen Wochen wurde festgestellt, dass die Notausgänge auf Anordnung der Sicherheitsbehörden versperrt wurden, damitGäste bei einer Polizeikontrolle das Lokal nicht verlassen konnten.
Polizeiliche Stereotype und Vorurteile können zum Verhängnis werden, wie man in diesem Fall wieder deutlich erkennen kann.
Jene, die kein Problem mit rechten Netzwerken in Polizei und Bundeswehr haben, sehen Shisha-Bars als Horte von Kriminellen an. Das gesellschaftliche Klima wird immer wieder zur Bedrohung für die Minderheiten in diesem Land und ihre Unterstützer aus der Mehrheitsgesellschaft.

Im Gedenken an:

Ferhat Unvar
Mercedes Kierpacz
Sedat Gürbüz
Gökhan Gültekin
Hamza Kurtović
Kaloyan Velkov
Vili Viorel Păun
Said Nesar Hashemi
Fatih Saraçoğlu und alle Opfer rechter Gewalt.

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