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Die türkisch-griechischen Beziehungen erleben die schwerste Krise seit 1996. Doch das Kräfteverhältnis hat sich seitdem stark gewandelt. Dennoch tut sich Griechenland schwer, sich von den Gewohnheiten dieser Zeit zu trennen.

Die türkisch-griechischen Beziehungen, die nach der zyprischen Friedensoperation abgebrochen worden waren, wurden 1986 wieder aufgenommen, als sich der damalige türkische Ministerpräsident Turgut Özal und sein griechischer Amtskollege Andreas Papandreu zu Gesprächen in Davos durchringen konnten. Die aufgenommenen Beziehungen führten jedoch zu einem Prozess gegenseitiger Reibungen, von dem die Innenpolitik in beiden Ländern profitierte.

Die 90er Jahre waren durch Griechenlands Bestrebungen zur internationalen Anerkennung der Ägäis als eigenes Seegebiet gekennzeichnet – mit dem Ziel der Erhöhung der Hoheitsgewässer auf zwölf Meilen. Das Vorhaben wurde von endlosen Luft-Geplänkeln in der Ägäis begleitet. Die Türkei und Griechenland standen sogar 1995 und 1996 zweimal am Rande eines Krieges. In der Krise von 1995 bezeichnete das türkische Parlament die Entscheidung Griechenlands, seine Hoheitsgewässer auf zwölf Meilen zu erweitern, als Kriegsgrund. Doch die wachsende Krise konnte letztendlich mit Diplomatie gelöst werden. Die Krise um die Kardak-Insel in der Ägäis 1996 brachte die beiden Lände erneut an den Rand eines Krieges. Der spannungsgeladene Prozess war weitgehend im Interesse Griechenlands. Denn in dieser Zeit konzentrierte sich die Türkei vorrangig auf den Kampf gegen den PKK-Terror. Aufgrund von Krisen in der Ägäis hatte die Türkei ihre Kräfte in zwei getrennte Zentren aufgliedern müssen. Das bedeutete eine Überlastung für die türkische Militärkapazität. Denn die Türkei hatte in jenen Jahren mit Wirtschaftskrisen zu kämpfen; und die Verteidigungsindustrie war vom Ausland abhängig. Griechenland hingegen nutzte die wirtschaftlichen Vorteile seiner EU-Mitgliedschaft und maximierte seine Militärausgaben.

Die Krisen in den 90er Jahren

In der Krise der 90er-Jahre haben beide Seiten die Spannungen befeuert, um den Status quo zu festigen. Sie standen sich zwar gegenüber. Der Machtdemonstration folgten aber keine Kampfhandlung. Alle Krisen, die den Status quo weiter festigten, verliefen zugunsten Athens. Die Gewohnheiten, die in dieser Zeit Gestalt annahmen, prägten die aktuelle Ägäis-Strategie Griechenlands. Die griechische Politik hat sich seit den 90er Jahren nicht weiterentwickelt. Im Gegenteil: Heute wird das Land von einer rückgewandten Politik dominiert.

In den letzten 30 Jahren hat sich vieles verändert - auch die Türkei und Griechenland durchliefen drastische Veränderungen. Trotzdem glauben die politischen Köpfe in Athen, dass sich Probleme mit den Rezepten der 90er Jahre lösen lassen. Daher wird Griechenland von der Türkei nicht als verlässlicher Gesprächspartner betrachtet. Alle aktuellen Praktiken Griechenlands bestätigen die historischen Erfahrungen mit dem Land. Griechenland folgt dieser Strategie nicht ohne Grund: In Vergangenheit hat es sehr oft davon profitiert.

Es hat sich viel verändert

Griechenland muss seine Position überdenken und begreifen, dass die Lösungsmethoden der Vergangenheit heute keine Ergebnisse mehr bringen. Die aktuelle Situation äußert sich wie folgt:

Erstens: Die Krise zwischen der Türkei und Griechenland hat derzeit eine andere Struktur als die Konflikte in den 90er Jahren. Die Türkei ist sich ihrer günstigen Konjunktur bewusst und will vor diesem Hintergrund in der Ägäis und im Mittelmeerraum Ergebnisse erzielen. Es geht um die Aufteilung der Ägäis- und Mittelmeergebiete. Mit der türkischen Marine in Konflikt zu geraten, könnte schmerzhafte Folgen für Griechenland mit sich bringen. Dies ist die wichtigste Tatsache, die Griechenland begreifen muss.

Zweitens: Griechenland ist ein Land, in dem sich die Wirtschaftskrise von Tag zu Tag verschärft. Dass die eigenen Häfen, Autobahnen und Flughäfen von anderen Staaten verwaltet werden, hat die größte Demütigung verursacht, die ein souveränes Land erleben kann. In dieser Hinsicht ist Griechenland ein Symbol des Zusammenbruchs. Während Griechenland mit jedem Tag schwächer wird, steigt das militärische Potenzial der Türkei: in Libyen, in Syrien, im östlichen Mittelmeerraum, in Somalia und in Aserbaidschan. In dieser Hinsicht hat sich das türkisch-griechische Kräfteverhältnis im Vergleich zu den 90er Jahren stark gewandelt.

Drittens: In den 90er Jahren vertrat die griechische Außenpolitik eine zu den westlichen Großstaaten gewandte Ausrichtung. Trotzdem war es ein unabhängiges Land, das seine eigenen Entscheidungen traf. Das heutige Griechenland hat sich zu einem Land entwickelt, das von Deutschland und Frankreich regiert wird. Im Gegensatz dazu hat sich die Türkei in den letzten Jahren von der Hegemonie des Westens herausbewegt und eine selbstbestimmende Haltung eingenommen. Die aktuellen Spannungen in der Ägäis sind daher auch unter dem Aspekt der jüngsten türkisch-französischen Zerwürfnisse zu betrachten.

Die Türkei hat sich zu einer regionalen Macht entwickelt, die zur Beilegung von Krisen in anderen Ländern beiträgt. Griechenland hingegen wartet darauf, ähnlich wie bei den vorangegangenen Krisen, durch die EU-Staaten gerettet zu werden. Angesichts der aktuellen Situation warnte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu: „Treten Sie uns nicht als Instrument Frankreichs gegenüber“. Die Lösung der Krise ist einfach: Griechenland muss die in den 90er Jahren erworbenen Gewohnheiten aufgeben, sich an einen Tisch setzen und realistische Vorschläge machen. Andere Ansätze werden Griechenland nicht zugutekommen.

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