(dpa)
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Es gibt Bücher, die den Blick schärfen und den Leser viele Jahre begleiten. Eines davon ist für mich „Die Tyrannei der Kommunikation“ von Ignacio Ramonet aus dem Jahre 1998. Er beschreibt darin den Aufstieg der Kommunikationsbranche mit ihren Pressesprechern und Medienexperten infolge einer Lektion aus dem Vietnamkrieg: Kriegsberichterstattung, wie sie damals noch existierte, sollte fortan verhindert werden. Der Journalismus verschwand, die Kommunikation kam.

Es entstanden in den 1970er Jahren die Presseabteilungen, ob im Pentagon oder in Konzernen. Viele Journalisten wechselten von Redaktionen ins Marketing. Ich unterrichtete an Instituten, die den Lehrgang „Journalismus & Kommunikation“ anboten, und erklärte der Studienleitung, dass es sich hierbei um zwei völlig unterschiedliche Branchen handelte: Entweder man wird Journalist und erarbeitet eine Recherche oder man bewirbt ein Produkt bzw. eine Person und lässt die Kritik der Vernunft beiseite. Aufgrund meiner Weigerung, am Verkauf von Diplomen mitzuwirken, verlor ich so manchen Lehrauftrag.

Es geht um das „Bespielen“, nicht um das Lösen von Problemen

20 Jahre später ist Ramonet erschreckend aktuell. Der politische Wiener Mikrokosmos von Konservativen und Grünen sowie Resten einer Sozialdemokratie würde sich für eine Fallstudie zur Tyrannei der Kommunikation eignen, wäre die Lage nicht so brisant und der Ausgang noch ungewiss. Die mediale Kontrolle ist zentral, sie überschattet Gesetzgebung, Gesundheitswesen, Finanzverwaltung und Hilferufe der Künstler. Die Marketingbudgets wachsen, die Arbeitslosenzahlen ebenso. Als Ministerin reduzierte ich Regierungsinserate des Außenministeriums um 80 Prozent und zog mir damit die Wut der Redaktionen zu, die bis heute anhält. Derzeit lebt der österreichische Journalismus geradezu von der öffentlichen Hand.Bereits vor 15 Jahren gab es übrigens in Österreich mehr Pressesprecher als Journalisten. Die eigentlichen Baustellen, beispielsweise die Lage der Kleinunternehmer oder der Impfplan, werden ausgeblendet. Themen werden vielmehr „bespielt“, also mit bunten Bildern und Ankündigungen nett aufbereitet, doch die technische Umsetzung für Verwaltung und Bürger fehlt.

Die Tourismusindustrie und der Kosmos Tirol

Die Wirtschaft in Österreich ist im vierten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 7,8 Prozent geschrumpft. Schlechter steht nur Spanien da. Doch Österreich, wo man sich im Juni 2020 noch rühmte, unter den „Besten“ zu sein und vor Urlaub im „gefährlichen Ausland“ warnte, wartet nun mit sehr schlechten Daten auf: Die Wirtschaft bricht auf allen Ebenen ein, rund 30.000 Betriebe stehen vor der Pleite, die Arbeitslosigkeit könnte mit Ende der Kurzarbeit und den Konkursen im Tourismus auf bis zu 20 Prozent klettern.

In der Acht-Millionen-Bevölkerung zählt nur knapp die Hälfte zu den Erwerbstätigen. Die anderen sind in Rente, in Ausbildung oder für den Arbeitsmarkt nicht einsetzbar. Der Finanzminister führt diesen Trend auf die Rolle des Tourismus zurück. Dieser mache inklusive Freizeitwirtschaft über 15 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung aus. In Tirol steigt der Anteil nochmals, da viele Regionen vom Skifahren leben. Der Ort Ischgl machte im März als Virenschleuder Schlagzeilen. Nun rang man sich zu einer Reisewarnung für Tirol durch, die juristisch nichts bedeutet. Grund sind die aus Südafrika stammenden Mutationen. Waren es Tiroler Hoteliers, die zu Weihnachten dort Urlaub machten und das mutierte Virus mit nach Hause brachten? Die Behörden setzen ihre Beschwichtigungspolitik vom März 2020 fort. Der Bürger muss indes mit FFP2-Maske und Covid-Test in die Schule oder zum Friseur. Neben der Tatsache, dass 50 Prozent aller Winternächtigungen in Österreich stattfinden, geht es um rigide Lockdowns. Zwar blieben die Schulen in Österreich länger als in anderen EU-Staaten geschlossen, doch die Skilifte waren offen. Running Gag ist: Wer in eine Polizeikontrolle kommt, möge sagen, er sei auf dem Weg auf die Skipiste, denn dies ist erlaubt. Die Gondeln sind übervoll, doch vor dem Urlaub am Meer warnte die Regierung letzten Sommer. Der Balkan wurde im Herbst erneut als Ursprung der zweiten Welle stigmatisiert. Nun jedoch funktionieren die Impfungen in Serbien besser als in der EU.

Erdölstaaten müssen diversifizieren, um wegen des Rohstoffs nicht in Preisspiralen zu geraten. In Österreich ist dieser Rohstoff der Tourismus. Anstelle volkswirtschaftlicher Balance dreht sich alles um Wellness und Essen. Aus Dörfern wurden Hotelkonglomerate. Die Pandemie ist nicht Ursache der Krise, sie verstärkt diese nur. Lernen werden die Österreicher daraus kaum. Zu verlockend ist das schnell verdiente Geld mit Immobilien und Skiliften. Was im Nahen Osten „Big oil, big money“ ist, nennt sich in Tirol „Schifoan“.

Das Phlegma ist Teil österreichischer Mentalität. Auf die Barrikaden gehen die Menschen nicht so schnell wie in Frankreich oder Italien. Ein Historiker erklärte mir einst, die Erfahrung mit der Gegenreformation, als die Protestanten mit Gewalt wieder zum Katholizismus gezwungen wurden, hielte bis heute an. Besser ducken, nix sagen. Doch es brodelt für Wiener Verhältnisse heftig. Nicht mehr die Wut, sondern die Verzweiflung könnte für Aufruhr sorgen. Spätestens dann sollten Marketingteams echten Entscheidern das Feld überlassen.

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