02.03.2022, Bayern, München: Demonstranten protestieren auf dem Königsplatz unter dem Motto „Frieden in Europa, Solidarität mit der Ukraine“ gegen den Krieg in der Ukraine und halten dabei Schilder mit der Flagge der Ukraine und den Länderkennzeichen von Deutschland und der Ukraine in die Höhe. (dpa)
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Der EU-Beschluss vom März 2022 sorgt für neue Diskussionen: Denn geflüchteten Menschen aus der Ukraine soll schnellstmöglich und unbürokratisch bei der Aufnahme geholfen werden. Und das, obwohl sich die EU jahrelang gegen schnellere Aufnahmeabwicklungen sträubte. Ein Beschluss, der einerseits glücklich macht – da vielen Ukrainern schnell geholfen werden kann – und andererseits bei anderen Frust auslöst. Denn die Solidarität mit den ukrainischen Schutzsuchenden differenziert zwischen Flüchtlingen. Rassismus hat viele Gesichter, und eines wird uns nun durch die neue Aufnahmepolitik vorgeführt.

Schnelle Hilfe für Ukrainer

Schon bevor die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine einreisten, bekam man in den deutschen Medien die Willkommenskultur zu spüren. Man hörte Experten sagen: „Ukrainer sehen aus wie unsere Mehrheitsgesellschaft, sie sind uns kulturell und ethnisch näher, sie sind eine christliche Gemeinschaft, anders als Syrer, die islamisch geprägt sind und nicht ausschauen wie wir.“

Wenn wir an die bosnischen Flüchtlinge denken, kommen wir aber zu dem Schluss, dass das Aussehen (blond, blaue Augen) wohl kein so großes Gewicht hat – sondern vielmehr die Religion. Denn Bosnier wurden auch nicht mit leuchtenden Augen empfangen – sie waren zwar Europäer, aber Muslime.

Einige Politiker aus europäischen Ländern, die nun mit offenen Armen ukrainische Schutzsuchende empfangen, fürchten heute noch die Islamisierung Europas durch die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen. Immer wieder hört man Parolen wie „Ukrainer ja, Muslime nein“.

In Deutschland sind seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs (Februar 2022) bereits 372.543 geflüchtete Ukrainer eingereist (Stand 23. April 2022 laut Bundespolizei). Im ersten Moment freut man sich über die große Aufnahme in so kurzer Zeit – bis man die Zahlen mit den syrischen Flüchtlingen vergleicht. Seit Kriegsbeginn in Syrien (2011) hat Deutschland ca. 820.000 Syrer aufgenommen. Ja, richtig: nur fast doppelt so viele, und das in elf Jahren.

Die Flüchtlingshilfe

Seit 2015 ist mir bewusst – da ich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe tätig bin – dass die Flüchtlingspolitik in Deutschland ohne ehrenamtliche Hilfe gescheitert wäre. Denn die Behörden sind weder nachgekommen, noch gab es einheitliche Regeln. Trotz so vielen ehrenamtlichen Helfern und der Hilfsbereitschaft während der Flüchtlingsbewegung 2015 sind wir nun alle erstaunt, wie viel Hilfe von Einheimischen im Fall Ukraine angeboten wird: Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen im eigenen Haus, Kostenübernahmen und vieles mehr. Alle möglichen Hilfsangebote, von denen wir im Jahr 2015 nur geträumt haben. Bei Flüchtlingen aus Afrika und Syrien haben manche schon die Straßenseite gewechselt. Berichte über besorgte Bürger in Bezug auf Ukrainer gibt es in den Medien auch nicht mehr.

Frust auslösende Abwicklungsänderungen

Schutzsuchende aus der Ukraine benötigen bis Ende August keine Aufenthaltserlaubnis, eine Registrierung im Land ist erst ab Ende Mai nötig. Sie müssen lediglich bis zum 31. August 2022 einen Aufenthaltsantrag bei der Ausländerbehörde stellen. Danach wird eine unbefristete Fiktionsbescheinigung ausgestellt, damit belegt werden kann, dass sie sich rechtmäßig im Land aufhalten. Flüchtlinge aus den Vorjahren mussten sich sofort bei der Einreise registrieren und alle Anträge unverzüglich stellen. Fiktionsbescheinigungen waren befristet.

Ganz frisch hat die bayerische Integrationsbeauftragte den Bund dazu aufgerufen, Ukrainern schneller Zugang zu Sprachkursen zu gewähren, denn den Ukrainern müsse man nicht erklären, wie eine Waschmaschine funktioniert oder dass nicht auf dem Boden gekocht wird.

Wie sollen wir Außenstehende jetzt auf die Bezeichnung „Rassismus“ verzichten, wenn schon eine Integrationsbeauftragte zwischen Flüchtlingen differenziert und klassifiziert? Die Sprache ist einer der wichtigsten Bestandteile beim Einleben – und das nicht nur für Ukrainer, sondern für alle Flüchtlinge.

Zudem gab es für Flüchtlinge aus den Vorjahren nur teils kostenlose Fahrkarten. Meistens nur für bestimmte Strecken. Ukrainer durften bis vor kurzem kostenlos durchs ganze Land reisen.

Der erste Gedanke ist: „Das sind doch Kleinigkeiten“, doch für schutzsuchende Familien, die mit einem Mindestbudget den Monat überbrücken müssen, können diese Kleinigkeiten schon die Kirsche auf der Sahne sein.

In das herrschende Diskussions-Feuer wurde nun auch noch Öl gegossen: Denn ukrainische Flüchtlinge, die durch den Krieg ihr Abitur nicht beenden konnten, sollen nun einfach die Universität besuchen dürfen. Für viele Akademiker, Ärzte und Universitätsabsolventen aus Syrien und weiteren islamischen Ländern ist diese Neuigkeit reiner Rassismus.

Denn Ärzten aus Syrien hat man bei Behörden statt dem Gleichwertigkeitsantrag geraten, sie sollten doch putzen gehen oder im Lager arbeiten. Ärzten aus Afghanistan wurde ihr Medizinstudium mit einem deutschen Realabschluss gleichgestellt. Andere Akademiker bekamen bei Behörden Aussagen zu hören wie „die Gefahr, dass Ihre Abschlüsse erkauft sind, ist zu groß“. Für Abiturienten oder Studenten aus islamischen Ländern war weiter zu studieren oder einfach ohne absolviertes Abitur die Uni besuchen zu dürfen nicht einmal im Traum möglich. Man hat also systematisch Menschen das Recht auf das Fortführen ihrer Berufe und Bildung verweigert, indem die Qualifikationen nicht anerkannt wurden. Wie will man einer syrischen Reinigungskraft, die eigentlich Ärztin war, diese Doppelmoral erklären?

Die vereinfachte und schnellere Abwicklung für die Ukrainer stellt nun das Gefühlsleben der anderen Flüchtlinge auf den Kopf; Enttäuschung, Frust, Ungerechtigkeit und Diskriminierung.

Armutszeugnis der EU

Auch wenn wir uns alle für die ukrainischen Flüchtlinge freuen, führt die bevorzugte Behandlung der unterschiedlichen Flüchtlingen zu Frust. Schutzsuchende, vor allem aus islamisch geprägten Ländern, fühlen sich nun erneut wie Menschen zweiter Klasse.

Es ist erbitternd, dass Politiker Rassismus und Diskriminierung so schön verpackt vorführen, während Träume, Lebensstandards und Ziele der Flüchtlinge aus Syrien und anderen islamischen Ländern einfach ignoriert wurden. Die allbekannte Doppelmoral-Politik der EU hat es erneut geschafft, Mauern zwischen eigentlich gleichgestellten Menschen zu schaffen. Ukrainer, die für all das nichts können, werden nun pauschal gegen andere Flüchtlinge, die rassistisch abgewertet werden, ausgespielt. Für die Politik spielt dies natürlich keine Rolle.

Rassismus, mit dem wir alle in allen Lebensabschnitten zu kämpfen haben, wird uns nun als Hilfsbereitschaft und großes Herz verkauft. Zumindest versucht man uns davon zu überzeugen. Ein Armutszeugnis für die EU, Rassismus, Diskriminierung und Doppelmoral erneut derart zu verharmlosen. Denn man hat damit nicht nur den Flüchtlingen aus den Vorjahren geschadet, sondern auf unzählige Ärzte, Akademiker und viele andere Absolventen verzichtet und somit dem eigenen Land viele Fachkräfte „erspart“.

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