04.09.2020, Slowenien, Ljubljana: Ein Artz arbeitet in einem temporär eingerichteten Corona-Testzentrum und untersucht eine Probe aus einem Abstrich. (dpa)
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Seit Beginn der Corona-Pandemie sind alle etwas verwirrt. In den Köpfen schwirren viele Fragen zur Krankheit – aber auch zu den Umständen, unter denen wir Covid-19 begegnen. Viele versuchen, sich in der weiten Welt der Medien zu informieren. Aktuelle Statistiken, neue Forschungsergebnisse, Berichte von Genesenen sowie neue Auflagen und Maßnahmen der Länder zur Corona-Bekämpfung stehen dann meist im Fokus. Der Aufschrei des Gesundheitspersonals während der Corona-Krise und der Unmut seitens der Bürger kommen hinzu. All das wird dann – verflochten in einem Ländervergleich – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Zufall oder Medienpolitik?

Die weitläufige Berichterstattung während der Pandemie ist natürlich wertvoll und unabdingbar. Schließlich ist das die Aufgabe der Medien. Doch was seit einiger Zeit in den westlichen Medien so ganz nebenher passiert, macht viele stutzig – vor allem die Muslime. So liest man zum Beispiel einen Artikel über neue wissenschaftliche Erkenntnisse und das Auge bleibt am verwendeten Foto hängen: eine kopftuchtragende Frau mit Mundschutz als Symbolfigur für eine Katastrophe, die alle auf der Welt angeht. Am Anfang wirkt sich die Darstellung gar nicht negativ aus, man nimmt die Muslima wahr und denkt sich: „Schließlich sind wir Muslime ein Teil des Landes, gehören also auch auf Fotos. Das sollte Normalität sein.“ Doch dann fällt auf, dass immer mehr Berichte zur Corona-Lage mit Abbildungen von Frauen mit Kopftuch oder muslimischen Gebetsstätten veröffentlicht werden – obwohl diese ausgewählten Bilder in keinem relevanten Zusammenhang zum Textinhalt stehen. Die Auswahl dieser Darstellungen jede Mal als Zufall zu bewerten, wäre sicherlich naiv oder ignorant. Die mediale Verzerrung erfolgt nämlich nicht in wenigen Redaktionen.

Türkei und Muslime als Corona-Hotspots?

Auch in der deutschen Medienlandschaft konnte im Monat August eine beachtliche Anzahl von Berichten festgestellt werden, die als Foto die Darstellung einer muslimischen Frauen verwendeten. Angefangen mit der „Bild“-Zeitung, gefolgt vom „Spiegel“ und der „Welt“ – von der „Zeit“ bis hin zur „Tagesschau“. Bemerkenswert ist natürlich auch, dass die Fotos überwiegend von der Deutschen Presse-Agentur stammen, die eigentlich genug neutrale Alternativen zur Verfügung hätte.

Die österreichischen Medien haben Muslime genauso wenig verschont: Für zahlreiche Artikel über die zweite Corona-Welle hatten so einige Medienmacher in Österreich wohl auch kein anderes Foto zur Hand als das Bild einer kopftuchtragenden Frau. Wenn es um die Berichtserstattung der westlichen Medien geht, ist die Verwendung von Fotos mit Anspielungen auf den Islam ohne jeglichen Zusammenhang zum Textinhalt leider nichts Neues.

Schon im März – inmitten der Corona-Krise – haben internationale Mediengesellschaften wie CNN International Fotos mit islamischen Symbolen zusammenhangslos hantiert. Das Foto einer türkischen Moschee während einer Desinfektion kam bei Berichten zum Thema Coronavirus oftmals zum Vorschein. Das Brisante: Inhaltlich ging es weder um die Türkei, noch um Muslime; der Text befasste sich mit der Lage in Südafrika. Die repräsentative Dimension war nicht wahrheitsgemäß.

Dass Fotos aus der Türkei in vielen Redaktionen während der Hochkonjunktur der Corona-Krise beliebt waren, war ebenfalls nicht zu übersehen. So wurden in den Nachrichtenartikeln von BBC World türkische Fußballfans abgebildet – obwohl die Meldung etwa von der Covid-19-Infektion der Ehefrau von Trudeau handelte. Anschließend wurden Berichte bei The Independent mit Fotos vom türkischen Präsidenten Erdoğan veröffentlicht, obgleich es um Corona-Maßnahmen verschiedener Länder ging.

Die verzerrte Konnotationspolitik beschränkt sich nicht auf Nachrichtenplattformen. Bei den Twitter-Trendtopics der USA konnten besorgte Bürger Berichte über die Coronavirus-Pandemie in Italien, die USA, Spanien, China, Japan und Afrika verfolgen, doch zur Visualisierung wurden intressanterweise türkische Flaggen genutzt. Ein Artikel der New York Times von April kann ebenso genannt werden: Bei der Berichterstattung zur Lage in westeuropäischen Staaten im Hinblick auf die Bekämpfung von Corona war immer wieder eine Istanbuler Moschee dargestellt, die desinfiziert wurde.

Angesichts dieser bemerkenswerten Anzahl von „Pannen“ stellt man sich durchaus die Frage: Was möchten die westlichen Medien mit der Verwendung solcher Fotos erreichen? Möchte man auf diese Weise dem Leser suggerieren, die Ausbreitung des Coronavirus sei ein islamisches oder türkisches Problem? Oder dass überwiegend Muslime mit Covid-19 infiziert sind und Länder wie die Türkei als Corona-Hotspots gelten?

Es gäbe eigentlich einige Antworten aus der Auslands- und Migrationspolitik westeuropäischer Länder. Türkeistämmige Deutsche kennen die alle Jahre wieder aufgefrischten Berichte zur Sommerzeit, die den Tourismus in der Türkei hemmen sollen, mittlerweile auswendig. Dass durch Medien oder die Migrationspolitik des Landes islamfeindliche und rassistische Statements immer wieder mal verharmlost werden, ist auch kein neues Phänomen. Doch dass ein Virus derart mit Muslimen medial assoziiert wird, hat wohl niemand erwartet.

Darstellung der Muslime in westlichen Medien

Dabei sollten all diese erfahrenen Redaktionen die Wichtigkeit der Bildauswahl und die damit verbundene Auswirkung auf den Leser bestens einschätzen können. Eine Studie zur Berichterstattung über Muslime, die im Jahre 2016 vom Forschungsinstitut Media Tenor veröffentlicht wurde, gab bekannt, dass 80% der Medienberichte und der Darstellungen negativ sind. Zu den Forschungsergebnissen gehört auch, dass der Islam viel mehr mediale Beachtung erhält als andere Glaubensrichtungen.

Die oben aufgezählten Beispiele stammen von großen Medienmachern, von denen wir als Gesellschaft und Leser verantwortungsvolle und neutrale Arbeit erwarten. Viele von ihnen wurden per Mail und auf sozialen Netzwerken aufgrund ihrer Bildauswahl angeschrieben und kritisiert, nicht nur von Privatnutzern, sondern auch von Landesbotschaften. Die Reaktion der angeschriebenen Medienmacher war leider fast immer von Ignoranz geleitet. All diese Umstände lassen die Schlussfolgerung zu, dass hier nicht Zufall, sondern systematische Propaganda und bewusstes Bashing vorliegen.

Die Liste des fehlgeleiteten und diskriminierenden Einsatzes von Fotos in der Medienbranche ist eigentlich viel länger: So werden überwiegend Schwarze abgebildet, wenn es um Straftaten geht; Frauen mit mehreren Kindern, wenn es um das Thema Flüchtlinge geht; Familien mit Migrationsgeschichte, wenn das Thema Sozialhilfe aufgeschaukelt werden soll. Wir wollen es aber dabei belassen.

Leider erwarten uns in vielen westeuropäischen Medienplattformen, trotz unseres Aufschreis, jeden Tag aufs Neue versteckte Details, die Diskriminierung, Vorurteile, Rassismus, Hass und Hetze gegenüber Minderheiten verstärken. Dagegen gibt es nur ein Mittel: unermüdlicher Widerstand.

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