Österreich: Ex-Kanzler Kurz wegen Falschaussage vor Gericht / Photo: DPA (dpa)
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Letzte Woche kam das lang erwartete Urteil. Mit einiger Verwunderung nahm man es in politischen Kreisen zur Kenntnis. Der ehemalige Bundeskanzler und zu Beginn als Wunderkind gefeierte Sebastian Kurz, der seine christdemokratische Österreichische Volkspartei (ÖVP) 2017 wieder an die erste Stelle hievte, musste im Oktober 2021 den Hut nehmen. Nun wurde er schuldig gesprochen.

Es ging bei dem Prozess, den die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen den ehemaligen Kanzler führte, um die Frage, ob Kurz tatsächlich und absichtlich im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gelogen hatte. Ausgelöst hatte dies der Ibiza-Skandal, dem politisch zuerst der ehemalige FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache zum Opfer gefallen war. Strache gab den Vizekanzler-Posten auf, verließ seine Partei und versucht sich seither wenig erfolgreich mit einem Comeback als Chef einer Kleinstpartei.

Der Schuldspruch

Die Ermittlungen eröffneten aber so einige Nebenspuren. Und so kam es, dass nun sowohl Ex-Kanzler Kurz wie auch sein damaliger Kabinettschef und enger Vertrauter Bernhard Bonelli vor dem Kadi landeten. Bonelli wurde für sechs Monate bedingt und Kurz für acht Monate bedingt schuldig gesprochen. Worum ging es im Detail? Insgesamt argumentierte die WKStA, Kurz habe drei Mal im Zusammenhang mit seinen Aussagen um Personalentscheidungen falsch ausgesagt. Im Zentrum stand, ob Kurz bei der Besetzung des Chefpostens für die Staatsholding Öbag, die staatliche Beteiligungen im Wert von mehr als zwanzig Milliarden Euro verwaltet, mitbestimmte.

Das erstinstanzliche Urteil, das nicht rechtskräftig ist und vermutlich in nächster Instanz von den beiden Verurteilten angefochten wird, fiel durchaus differenziert aus. Bonelli wurde in drei von vier und Kurz in zwei von vier Punkten freigesprochen. Es ging dem Richter also keinesfalls um einen totalen Rundumschlag. Das macht es für die Kurzianer, wie der enge Vertrauenskreis sowie die Fanbasis von Sebastian Kurz genannt werden, schwieriger, das Urteil als parteiisch motiviert umzudeuten. Auch wenn dies bereits voll im Gange ist. Zahlreiche Juristen und Beobachter des Prozesses sprechen hingegen von einem fairen Prozess.

Image und Selbstinszenierung

Der Grund, warum Kurz über seine eigenen Aussagen gestolpert ist, liegt vor allem darin begründet, dass es für Kurz eine klare Priorisierung gab: Seine politische Erzählung, wonach er mit dem alten Stil der parteipolitischen Postenbesetzung gebrochen habe und für einen neuen Stil stehe, schien ihm dazumal wichtiger, als eine Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss zu tätigen. Es war dieser Anspruch, der ihn an die Macht brachte. Als junger Politiker mit weißer Weste verkörperte er das Neue und Unbefleckte. Aber genau jene Befleckung scheint heute mehr denn je sein Antlitz zu beschmutzen. Kurz ist der erste ehemalige Kanzler seit 30 Jahren, der eine erstinstanzliche Verurteilung über sich ergehen muss.

Abwehrhaltung

Kurz und seine Anhänger beharrten von Anbeginn an auf eine Erzählung der Politisierung des Prozesses. Es hagelte Kritik an der WKStA, der parteipolitische Motive unterstellt wurden. Anders gesagt: Kurz wählte den Angriff auf die Institutionen der Republik, statt sein eigenes Fehlverhalten zu hinterfragen. So wurde und wird der gesamte Prozess bis zuletzt als Wortklauberei und semantische Frage abgetan.

Kurz war bereits eine Woche vor Prozess ausgeritten, um im Sinne einer professionellen Litigation-PR die veröffentlichte Meinung zu prägen. Er gab der Gratiszeitung Österreich ein halbstündiges Interview, in dem er seine Sichtweise auf die Dinge präsentieren konnte. Und auch nach der Urteilsfindung schenkte die traditionsreiche und mächtige Kronen Zeitung dem Ex-Kanzler breiten Raum für seine Ansichten.

Kurzfristiges Ende für politisches Comeback

Während all dieser Monate seit dem Abgang von Kurz aus der Politik war ein mögliches Comeback immer wieder Thema, wobei Kurz selbst diese Diskussionen immer als Gerüchte abtat. Dass mit einer erstinstanzlichen Verurteilung dieses Thema vom Tisch ist, dürfte vor allem den jetzigen ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer freuen. Querschüsse gegen ihn bei gleichzeitigen Rufen nach einer Rückkehr von Kurz vor dem Hintergrund einer in Umfragen weit zurückliegenden ÖVP sollten ihm damit erspart bleiben.

Kurz selbst scheinen vor allem seine internationalen Kontakte in die Wirtschaftswelt mehr von Bedeutung zu sein. Auf X (vormals Twitter) meldete sich Kurz lediglich in englischer Sprache – vermutlich mit Blick auf seine Wirtschaftsverflechtungen nach San Francisco, Tel Aviv und Abu Dhabi – zu Wort und beteuerte, in zwei von drei Anklagepunkten freigesprochen worden zu sein und auf einen Freispruch in zweiter Instanz zu setzen.

Quo vadis?

Ob sein Wunsch in Erfüllung gehen wird, ist dabei eher sekundär. Denn es gibt weitaus schwerwiegendere Ermittlungen wegen anderer Verdachtsmomente, deren Erforschung noch dauern wird. Dass der wichtigste Zeuge gegen Kurz, der kurzzeitige Öbag-Chef Thomas Schmid, von dem unabhängigen Richter als glaubwürdig erkannt wurde, scheint das wichtigste Detail in diesem vermutlich noch länger andauernden juristischen Streit zu sein. Denn dies eröffnet Perspektiven auf weitere Prozesse.

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