Begija Smajic ist die bosnische Abgeordnete im Parlament der Republika Srpska. (Others)
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Begija Smajic wurde 1983 in Srebrenica, Bosnien und Herzegowina, geboren und ist nach dem Ende des Krieges dorthin zurückgekehrt. Sie ist hauptberuflich Professorin für Mathematik und Physik und unterrichtet zudem an einer Grundschule in ihrer Heimatstadt.

Gleichzeitig vertritt sie als einzige Abgeordnete und einzige Frau mit Kopftuch die bosniakische Volksgruppe in der Nationalversammlung der bosnisch-herzegowinischen Entität Republika Srpska.

Mit TRT Deutsch sprach sie über die Situation bosnischer Muslime in der Serben-Republik, über den Umgang mit dem Erbe des Genozids und mit aktuellen Versuchen, das Gemeinwesen in Bosnien und Herzegowina zu destabilisieren.

Sie wurden vor kurzem von serbischen Abgeordneten im Nationalparlament der serbischen Region angegriffen. Und das, weil Sie die Wahrheit zum Ausdruck brachten, dass die Armee der Republika Srpska einen Genozid durchgeführt hatte, und Sie sich über das Tragen einer Uniform im Parlament beschwerten. Wie bewerten Sie die Reaktionen?

So etwas wundert mich nicht nach all dem, was in Bosnien und Herzegowina passiert ist und vor allem nach all den Jahren der Leugnung des Genozids von Srebrenica. Laut dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag ermordeten Armee und Polizisten der serbischen Republik mehr als 8000 bosnische Männer und Kinder und führten somit einen Genozid durch. Anstatt sich bei den Opfern zu entschuldigen, werden die Taten der Verantwortlichen als gerechtfertigt dargestellt und es wird sogar eine Entschuldigung von den Opfern erwartet. Dass das in Europa geschieht, zeigt die dunkelste Seite des menschlichen Verstands.

Die Armeeuniform im Parlament ist nur eine der Provokationen, mit der die Bosnier in der serbischen Region konfrontiert werden. Wie fühlt es sich an, ein Bosnier in der serbischen Region zu sein?

Es ist für alle normalen Bürger in Bosnien und Herzegowina schwierig, unter der Unterdrückung durch faschistische Ideen zu leben. Vor allem für die Bosnier in der Region der kleinen Entität Republika Srpska ist das schwierig. Wir begegnen noch heute auf der Straße den Verantwortlichen diverser grausamer Taten, inklusive des Genozids. Das ist nicht einfach, aber wir werden unser Vaterland nicht aufgeben. Die Unterstützung unserer Freunde aus aller Welt ist sehr wertvoll für uns. Die zivilisierten Bürger unseres Landes verteidigen die Demokratie und die Menschenrechte gegen deren Hass und Angriffe.

Die Bosnier sind in ihrem Land nicht gleichberechtigt

Reagieren die Behörden entsprechend, wenn es zu einer Provokation, einem Angriff gegen Bosnier, religiöse Stätten etc. kommt? Fühlt man sich als Bosnier im gleichen Ausmaß beschützt wie alle anderen Bürger?

Die Bosnier sind in Bosnien und Herzegowina nicht gleichberechtigt, das macht sich vor allem in den von Milorad Dodik dominierten Regionen bemerkbar. Die beiden Entitäten in Bosnien und Herzegowina und in der Region Brcko sind multinational, laut der Verfassung und den Gesetzen müssen alle Bürger in allen Regionen Bosnien und Herzegowinas gleichberechtigt sein. Aber dies ist nur auf dem Papier der Fall. In der Realität wird das Recht auf die bosnische Sprache abgelehnt und wir werden in Behörden, in der Polizei etc. nicht gleichberechtigt repräsentiert.

Eine jener Personen, die im Parlament am stärksten das Sagen haben, ist die Tochter des verurteilten Kriegsverbrechers Radovan Karadzic. Wie kommen Sie als ein Opfer des Genozids damit zurecht?

Ich kann jedem mit einem reinen Gewissen ins Gesicht schauen. Ich bin stolz darauf, dass ich mit erhobenem Haupt in Bosnien und Herzegowina und in der ganzen Welt gehen kann.

Ich bin natürlich nicht glücklich über die Provokationen, aber diejenigen, die provozieren, zeigen eigentlich ihren eigenen Geisteszustand. Wer den Genozid leugnet und dessen Verantwortliche verteidigt, sollte eine Psychiatrie aufsuchen und darf keinesfalls Teil von Prozessen zur Entscheidungsfindung sein.

Sie haben bei dem Genozid in Srebrenica insgesamt zehn Personen aus Ihrem engen Verwandtenkreisverloren, inklusive Ihres Vaters, dessen Leichnam sie heute noch suchen. Dennoch sind Sie nach Srebrenica zurückgekehrt. Was waren die Gründe hierfür?

Die Antwort liegt bereits in Ihrer Frage. Das ist meine Heimat, wer wird sich darum kümmern, wenn nicht wir? Srebrenica ist viel mehr als eine kleine Stadt. Srebrenica erinnert uns daran, dass das Böse immer noch nicht aus der Welt verschwunden ist und insbesondere auf dem Balkan noch präsent ist. Wenn wir uns zurückziehen, wird das Böse siegen. Dies zu verhindern, ist unsere Aufgabe und Verantwortung.

Die Europäische Union muss zur Demokratie stehen

Ein aktuelles Thema ist die Verabschiedung des Gesetzesvorschlags zur Einrichtung einer an die Entität gebundenen Institution für Justiz und Staatsanwälte im Parlament der serbischen Region. Wie bewerten Sie das?

Was wir derzeit sehen, ist die Zerstörung des politischen und juristischen Systems Bosnien und Herzegowinas. Dieser Prozess wird vom Regime von Milorad Dodik angeleitet, der Mitglied des Präsidialamts von Bosnien und Herzegowina ist. Bislang wurde er lediglich von den USA sanktioniert. Wir, die Opfer, und alle Bürger Bosnien und Herzegowinas, fragen uns: Was ist mit den Sanktionen der EU und aller anderen Staaten, mit denen wir befreundet sind? Werden wir in einer Zeit, in der auf uns herabgeschaut und unser Staat zerstört wird, von allen im Stich gelassen? Bedeutet das einen Sieg für die Politik der Zerstörung, des Genozids und der ethnischen Säuberung in Bosnien und Herzegowina? Dodik macht sich über unsere religiösen Traditionen lustig und beleidigt damit weltweit alle Muslime. Niemand hat seine Taten bislang missbilligt. Das kann ich nicht verstehen. Dieser Mann zerstört unser Land, aber wir werden unsere Bemühungen wie gewohnt fortsetzen.

Was sind Ihre Erwartungen von der EU und insbesondere deren Hohem Repräsentanten?

In Bosnien und Herzegowina gibt es eine Konkurrenz zwischen zwei Konzepten: einem ethno-nationalen Konzept mit einem faschistischen Hauch, und einem weiteren inklusiven, multinationalen Konzept, das wie in allen EU-Ländern die Demokratie unterstützt. Ich will von der EU und dem Hohen Repräsentanten, dass sie zu den von ihnen festgelegten Prinzipien der Demokratie stehen und alle in Bosnien und Herzegowina dazu bringen, sich an die Menschenrechte und Grundrechte in der EU zu halten. Es ist auch fraglich, wie sie diese Prinzipien in anderen Regionen Europas verteidigen wollen, wenn sie diese nicht in Bosnien und Herzegowina verteidigen. Das wäre ein Indikator dafür, dass das demokratische Europa am Sterben ist.

Manchen westlichen Medien zufolge handelt es sich bei all diesen Vorkommnissen um ein „Spiel“ Milorad Dodiks vor den Wahlen. Stimmen Sie dem zu?

Nein, das ist nicht der Fall. Dodik steht unter dem direkten Einfluss der Regime in Belgrad und Moskau, die hauptverantwortlich für die Instabilität auf dem Balkan sind. Wer spielt die Spiele in Belgrad, wenn es sich hierbei tatsächlich nur um ein Spiel Dodiks vor den Wahlen handeln würde?

Finden Sie, dass die Reaktionen der EU auf die von Dodik verursachte Krise angemessen sind?

Die EU hat bezüglich dieser Angelegenheit bislang keine starke und entschlossene Botschaft gesendet. Auch unsere anderen Freunde in der Welt nicht. Lediglich die USA haben sich für Sanktionen entschieden, auf die anderen Staaten warten wir noch.