09.04.2010, Griechenland, Athen: Eine Europaflagge weht über der Akropolis . (dpa)
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Am Anfang standen: ein Laptop, ein Handy und eine solide Espressomaschine. So erinnert sich der Chef des Eurorettungsschirms ESM, Klaus Regling. In höchster Not versuchten die Euro-Staaten vor zehn Jahren in der Finanz- und Schuldenkrise, aus dem Nichts eine „Brandmauer“ um die gemeinsame Währung zu ziehen. Einige Versuche hatten sie schon hinter sich, viele Krisengipfel sollten noch folgen. Doch im Nachhinein wirkt der Grundsatzbeschluss für den ESM beim EU-Gipfel am 25. März 2011 wie der Beginn einer Wende für die damals schlingernde Währungsunion.
In der Folge entstand eine Institution, die letztlich Griechenland vor der Staatspleite bewahrte und den gefürchteten „Grexit“ aus dem Euro verhindern half. Es entstand ein am Finanzmarkt erfolgreiches, bei Krisenstaaten allerdings auch verhasstes Gebilde, das ähnliche Zuspitzungen künftig verhindern soll. „Der ESM hat sich als anerkannte und wichtige Institution im Euroraum etabliert“, lobt Wirtschaftsexperte Guntram Wolff von Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Die mehr als holprige Vorgeschichte des ESM wirkt zugleich als abschreckendes Beispiel nach: In der Corona-Krise kam die Antwort vergleichsweise schnell und mit Wucht.
In der Schlacht um den Euro brauchte es mehrere Anläufe, bis sich die Staaten zusammenrauften. So beschreibt es die «inside Story», die der ESM selbst herausgegeben hat. Als Griechenland Ende 2009 erstmals sein wahres Haushaltsdefizit offenbarte - 12,5 Prozent statt der bis dahin angegebenen 3,7 Prozent - und schnell Schwierigkeiten am Finanzmarkt bekam, zögerte vor allem Deutschland mit Hilfen. Zunächst beschlossen die Euro-Partner nur ein System bilateraler Kredite - was die Märkte kaum beruhigte.
Im Mai 2010 folgte an einem Wochenende in extremer Zeitnot bis zur Öffnung der Börsen am Montagmorgen ein erster europäischer Rettungsschirm mit bis zu 500 Milliarden Euro und ein erster Fonds namens EFSF. Wieder stand Deutschland auf der Bremse. Der EFSF wurde deshalb befristet und nur mit Garantien der Mitgliedsstaaten und nicht mit eigenem Kapital unterfüttert.
Erst im dritten Anlauf einigten sich die Staats- und Regierungschefs im März 2011 auf einen dauerhaften Nachfolger des EFSF, eben den European Stability Mechanism ESM. Erstmals sollten die Eurostaaten nicht nur Garantien geben, sondern Kapital einzahlen - insgesamt 80 Milliarden Euro, davon Deutschland 22 Milliarden. Weitere 624 Milliarden Euro sagten die Mitgliedsstaaten dem ESM auf Abruf zu. Eine Verfassungsklage in Karlsruhe gegen den Milliardentopf und die Vergemeinschaftung von Risiken hielt das Projekt nicht auf.
Kredite gegen Reformen
Im Oktober 2012 ging der Stabilitätsmechanismus an den Start mit dem klaren Auftrag: Kredite gegen Reformen. Wenig später begannen Hilfen für Spanien und Griechisch-Zypern. Die große Bewährungsprobe aber war der Nervenkrieg um Griechenland, für das 2015 ein ESM-Programm mit 86 Milliarden Euro aufgelegt wurde. Nach jahrelangem Streit um Hilfen und Sparprogramme schaffte es das Land 2018, die Rettungsschirme zu verlassen. Insgesamt waren aus den drei Programmen 289 Milliarden Euro an Krediten geflossen.
Christine Lagarde, während der Euro-Schuldenkrise französische Finanzministerin und inzwischen Präsidentin der Europäischen Zentralbank, zog aus dem Drama vor allem eine Lektion: Es sei entscheidend, den Krisenfall schnell zu benennen und schnell zu reagieren, sagte Lagarde den Autoren der ESM-Geschichte.
Als im Frühjahr 2020 die Pandemie die europäische Wirtschaft ausbremste, schien man sich der Mahnung zu erinnern. Binnen weniger Wochen woben die Mitgliedsstaaten drei sogenannte Sicherheitsnetze - neue Kreditprogramme für Kurzarbeiterhilfen, für Unternehmen und für klamme Staaten im Wert von insgesamt 540 Milliarden Euro.
Mit von der Partie auch diesmal der ESM, der günstige Kredite im Wert von 240 Milliarden Euro auflegte, um Eurostaaten bei der Finanzierung der Gesundheitskosten beizuspringen. Allerdings wurde bis heute kein einziger Antrag auf die Hilfen gestellt. Vor allem in Italien fürchtet man den ESM als Reformpeitsche und hält Distanz, obwohl das Land mit den ESM-Krediten Milliarden an Zinsen sparen könnte.
Macht nichts, sagt ESM-Chef Regling: Schon die Option und das Signal gemeinsamen Handelns hätten die Märkte beruhigt. Bruegel-Experte Wolff sieht das genauso: „Natürlich möchte kein Land des Euroraums seine Dienste in Anspruch nehmen. Aber eine Versicherung zu haben, ist von großem Nutzen für alle und erhöht die Stabilität.“ Mangels Nachfrage verschwinden wird der ESM jedenfalls nicht. Eine im Dezember vereinbarte Reform gibt ihm neue Aufgaben, vor allem als Rückversicherung für den europäischen Abwicklungsfonds für Pleitebanken.

dpa