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Die Fußballnationalmannschaften der Türkei und Deutschlands haben am 9. Oktober 1999 im Münchner Olympiastadion ein unvergessenes EM-Qualifikationsspiel ausgetragen. Mit einem Sieg hätte sich die Türkei direkt für die EM 2000 qualifiziert. Andernfalls war auch eine Qualifikation durch eine Zweitplatzierung im Rahmen von Play-Offs möglich. Die türkische Nationalmannschaft war fünf Tage zuvor angereist. Ihr Trainingslager befand sich im österreichischen Tirol.


Freundschaftlicher Empfang in Deutschland

Die türkische Mannschaft wurde in Deutschland freundlich empfangen. Am Flughafen konnten die Spieler ohne längeres Warten an der Passkontrolle durch den VIP-Bereich gehen. Der Türkei wurde zudem ein Mannschaftsbus des FC Bayern München zur Verfügung gestellt, der bis zur Abreise genutzt werden konnte.


„Talentierte Türken“

Der damalige Trainer der deutschen Nationalmannschaft, Erich Ribbeck, sagte in einem Interview vor dem Spiel, es gebe in den Jugendligen äußerst talentierte und vielversprechende Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund. Ihnen sei lange Zeit keine Aufmerksamkeit geschenkt worden. Nun sei es aber an der Zeit, diesen Spielern die Türen der Nationalmannschaft zu öffnen – damit sie nicht zuerst von der türkischen Nationalmannschaft weggeschnappt werden.

Der Halbtürke Mehmet Scholl zog zu dieser Zeit besonders viel Aufmerksamkeit auf sich. Der ehemalige Spieler des FC Bayern München absolvierte 36 Spiele für die deutsche Nationalmannschaft.

Mehmet Scholl (links) im Zweikampf mit Tayfun Korkut. (Reuters)

Auch Mustafa Doğan, der damals beim Istanbuler Traditionsverein Fenerbahçe spielte, lief für die deutsche Nationalmannschaft auf und wurde in den letzten Minuten des Spiels eingewechselt.

8. Oktober 1999: Der neue Trainer der deutschen Nationalmannschaft, Erich Ribbeck (rechts), verlässt das Feld mit dem in der Türkei geborenen deutschen Spieler Mustafa Doğan während einer Trainingseinheit. Am nächsten Tag bestritt Deutschland sein Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft gegen die Türkei. (Reuters)

Joachim Löw, der in der Saison 1998/99 Fenerbahçe trainiert hatte, lobte den Spielmacher Sergen Yalçın, der sein Schützling bei Fenerbahçe gewesen war. Während eines Interviews gegenüber der türkischen Presse sagte er, die Türkei sei der Favorit beim Spiel gegen Deutschland.

Deutschland erlebte ein Auswärtsspiel

Die Türkei verarbeitete zu der Zeit noch das verheerende Erdbeben in der Marmararegion vom 17. August. Doch am 9. Oktober 1999 stand überall nur das Spiel gegen Deutschland auf der Tagesordnung. Das Spiel wurde um 18:30 Uhr angepfiffen. In den Liveschaltungen vor dem Spiel waren viele Türkei-Fans zu sehen, die mit ihren Fahnen durch die Straßen in München liefen.

Türkei-Fans vor dem Münchner Olympiastadion. (AA Archive)

Alle Präsidenten der Fußballvereine aus der türkischen Süper Lig waren anlässlich des Spiels nach München geflogen. Auch Zdenek Zeman, der damals frischgebackene Trainer von Fenerbahçe, war auf der Tribüne.

Vor dem Spiel gab der berühmte türkische Sänger Tarkan ein Minikonzert auf dem Spielfeld.

Der türkische Sänger Tarkan gibt vor dem Fußballspiel ein Minikonzert. (AA Archive)

Im Stadium befanden sich überwiegend Fans der türkischen Nationalmannschaft. Es kursierten Berichte darüber, dass viele Tickets auf dem Schwarzmarkt verkauft worden waren.

Die türkische Nationalelf lieferte ein gutes Spiel ab, doch die Angriffe führten nicht zum herbeigesehnten Tor: Das Spiel endete unentschieden. Die Türkei musste einen Monat später in die Play-Offs und konnte sich so für die EM 2000 qualifizieren.

Sergen Yalçın erregt die Aufmerksamkeit des FC Bayern München

Vor dem Spiel hatte die deutsche Presse Sergen Yalçın mit Maradona verglichen. Seine Leistung an diesem Tag zeigte, dass der Vergleich berechtigt ist. Der Umgang mit dem Ball, seine Pässe, sein Dribbling, kurz seine Spielintelligenz machte ihn zum Star des Abends. Sergen zauberte mit dem Ball und glitt an Lothar Matthäus vorbei. Mit diesem Zug brachte er die Leute in Verlegenheit, die immer wieder behaupteten, er laufe kaum.

Die deutschen Spieler (von links nach rechts) Christian Ziege, Oliver Bierhoff, Christian Nerlinger, Jens Jeremies und Lothar Matthäus springen während ihres EM-Qualifikationsspiels im Münchner Olympiastadion am 9. Oktober zum Freistoß des türkischen Spielmachers Sergen Yalçın. (Reuters)

Als Sergen Jahre später seine Erinnerung über dieses Spiel mit der Öffentlichkeit teilte, erzählte er, dass er die Nacht vor dem Deutschland-Spiel wegen Beziehungsproblemen schlaflos verbracht habe. Er habe stundenlang mit seiner Freundin telefoniert.

Auch Zeman, der damals neue Trainer von Fenerbahçe, war unter den Zuschauern auf der Tribüne. Zu dieser Zeit spielte Sergen bei Fenerbahçe. Der italienische Trainer sagte in einem Interview am Ende des Spiels, dass er von ihm begeistert sei. Doch in der Folgezeit bei Fenerbahçe sollten beide nicht miteinander auskommen. Nach dem Schlusspfiff gratulierte Schiedsrichter Pierluigi Collina dem türkischen Fußballstar Sergen zu seiner Leistung und umarmte ihn. Nach dem Spiel gab es in einigen Zeitungen Gerüchte, wonach der Präsident des Bayern München, Franz Beckenbauer, Interesse an Sergen habe und ihn transferieren wolle. Dieser war zu diesem Zeitpunkt als Leihspieler bei Fenerbahçe verpflichtet. Jahre später erzählte der erfahrene Spieler über diese Transfergerüchte. Demnach sah Bayern München nach einer Recherche über sein Leben von einem Transfer ab. Mehmet Scholl trägt das türkische Trikot

Die türkischen und deutschen Spieler tauschten nach dem Spiel ihre Trikots. Jens Jeremies tausche sein Trikot mit Sergen, der die Rückennummer 10 trug.

Mehmet Scholl erhielt das Trikot von Ali Eren Beşerler und begrüßte so die Tribünen.

Markus Babbel (links) und Mehmet Scholl tragen ausgetauschte türkische Fußballtrikots und feiern nach ihrem Qualifikationsspiel im Münchner Olympiastadion. (Reuters)

Mustafa Denizli, der damalige Nationaltrainer der Türkei, erklärte am Ende des Spiels, dass die Türkei und Deutschland durch eine enge Freundschaft miteinander verbunden seien.

21 Jahre nach diesem unvergessenen Spiel begegnen sich Deutschland und die Türkei erneut: diesmal vor einer begrenzten Anzahl von Zuschauern. Möge die Freundschaft siegen!

TRT Deutsch