Archivbild: Österreichs im Oktober 2021 zurückgetretener Bundeskanzler Sebastian Kurz vor der Presse (Reuters)
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Am Rande des Swiss Economic Forums in Interlaken hat Österreichs ehemaliger Bundeskanzler Sebastian Kurz das Konzept der militärischen Neutralität verteidigt. Zugleich hat er sich gegen Waffenlieferungen aus Ländern wie der Schweiz und Österreich an die Ukraine ausgesprochen. Im Istanbuler Prozess sieht er einen Hoffnungsschimmer mit Blick auf die Kampfhandlungen zwischen Russland und der Ukraine.

Türkiye hatte bereits Anfang März – kurz nach Beginn der russischen Invasion – diplomatische Vertreter der Konfliktparteien nach Istanbul eingeladen, um dort über mögliche Wege zur Beendigung des Krieges zu verhandeln. Die Republik Türkiye ist NATO-Mitglied, verfügt jedoch sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland über eine intakte Gesprächsbasis. Diese möchte Ankara für eine diplomatische Offensive nutzen.

Neutrale Staaten als Brückenbauer wichtig

„Als Staatsbürger fühle ich mich wohl, in einem neutralen Österreich zu leben“, erklärte der frühere Kanzler, der mittlerweile für den US-Investor Peter Thiel im Silicon Valley tätig ist. Österreich habe sich unter anderem auch deshalb wirtschaftlich so gut entwickelt, weil es „als neutraler Staat eine Brücke zwischen Ost und West“ bilden konnte. Die Schweiz habe er ebenfalls stets als Wirtschaftsstandort und militärisches Land mit klarer Position bewundert.

Neutralität bedeutet nicht, keine Meinung zu haben, so Kurz, sondern „militärisch neutral zu sein und gewisse Handlungen zu unterlassen, wie zum Beispiel bei Waffenlieferungen oder dem Entsenden von Truppen“. Militärisch neutral zu sein, aber politisch trotzdem zu agieren, sei kein Widerspruch.

Es sei „gut und wichtig, wenn es auf der Welt kleine Staaten wie Österreich und die Schweiz gibt, die Brückenbauer sind und ein Ort für Gespräche“.

„Istanbuler Prozess kann zu positiver Dynamik führen“

Gleichzeitig verteidigte Kurz die Russlandpolitik seiner Regierung und auch jene anderer Staaten, die auf Dialog gesetzt hatten. Ein noch aggressiveres Auftreten Europas gegen Russland hätte vielleicht „die Entstehung des Konflikts nicht verhindert, sondern beschleunigt“.

Er kenne niemanden, so Kurz, der einen „Angriffskrieg in diesem Ausmaß vorhergesehen“ habe. Das Problem sei, dass die russische Führung einen vollkommen anderen Blick auf die Situation habe. „Immer, wenn ich Präsident Putin damals getroffen habe, sprach er als Erstes von Versprechungen des Westens, die nicht eingehalten worden seien, und von der NATO, die sich ausbreite.“

Nun sei durch eine beabsichtigte Mitgliedschaft von Schweden und Finnland „die NATO geografisch gesehen Russland näher als je zuvor“.

Eine einfache Lösung gäbe es nicht, betonte der Altkanzler, dazu sei die Situation viel zu verfahren. „Die gute Nachricht: Noch jeder Krieg hat irgendwann mit Verhandlungen geendet“, fügte Kurz jedoch hinzu. „Es gibt einen Funken Hoffnung, dass der Istanbuler Prozess zu einer positiven Dynamik führen kann.“

TRT Deutsch