Italiens Premierminister Guiseppe Conte  (AA)
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Der italienische Regierungschef Giuseppe Conte beharrt in einer Antwort an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf gemeinsame europäische Bonds im Kampf gegen die Corona-Krise. Er forderte in einem Beitrag für die Zeitung „La Rebubblica“ am Freitag „Europäische Wiederaufbau-Anleihen“.

In dem italienischen Text benutzte er hierfür das englische Wort „European Recovery Bonds“, der Begriff „Corona-Bonds“ fiel nicht. Deutschland und andere nordeuropäische Länder lehnen gemeinsame EU-Anleihen bisher ab. Frankreich, Spanien und Italien plädieren dagegen dafür.

Von der Leyen hatte am Vortag in derselben Zeitung Fehler der EU im Umgang mit Italien, dem von der Virus-Welle besonders betroffenen EU-Land, eingeräumt. Inzwischen habe Europa das Tempo aber geändert. Die deutsche Kommissionspräsidentin versprach Hilfen in Milliardenhöhe für Kurzarbeiter. Bei dem Konzept namens „Sure“ will Brüssel 100 Milliarden Euro Schulden aufnehmen und sie in Form von Krediten für Kurzarbeiterhilfen weitergeben.

Conte dankte in seinem Artikel, der mit der Anrede „Liebe Ursula“ beginnt, für die Vorschläge der EU und besonders das Kurzarbeiter-Programm. Doch das reiche nicht, argumentierte er. Vielmehr forderte er den Mut für einen gemeinsamen Aufbau-Plan.
„Wenn man einen Krieg führt, muss man alle Anstrengungen unterstützen, die zum Sieg führen, und sich mit allen Instrumenten ausstatten, die für den Beginn des Wiederaufbaus erforderlich sind“, schrieb er. Sonst könnte Europa nach der Krise im globalen Wettbewerb abgehängt werden. Er betone erneut, dass es bei Anleihen nicht darum gehe, alte Schulden zu teilen. Die Frage sei, was „Europa bereit sei, nicht für Italien, sondern für sich selbst zu tun“.

Coronavirus: Nord-Süd-Gefälle in Europa (TRT Deutsch)

Deutschland in der Kritik

Italien ist mit fast 14.000 Toten von der Corona-Krise besonders hart getroffen. Die Enttäuschung und das Unverständnis in Italien sind groß, dass Hilferufe an die EU-Partner zu Beginn der Krise nicht die erhoffte Reaktion fanden. Besonders negativ ist in Erinnerung, dass Deutschland - ähnlich wie Frankreich - Anfang März zeitweise Exportstopps für medizinisches Material wie Atemschutzmasken, Schutzanzüge und -brillen verhängte.

Auch als Rom mehr Beatmungsgeräte und Ärzte suchte, schickten zunächst China und andere Länder, danach auch Russland per Flugzeug Geräte und Personal. Bei der Landung der ersten deutschen Rettungsflüge für Corona-Patienten in Italien hatte sich das Klischee vom „hartherzigen Deutschen“ schon über Wochen festsetzen können. Die Zeit des Wartens, während die Zahl der Toten immer weiter anstieg, habe wie ein „Brandbeschleuniger“ der Europa-Skepsis gewirkt, sagte der Italien-Experte Wolfango Piccoli vom Forschungsinstitut Teneo.

Außenminister Heiko Maas gab der italienischen Zeitung „Corriere della Serra“ kürzlich ein Interview, in dem er sagte: „Sich gegenseitig in Europa zu helfen, sollte eine Selbstverständlichkeit für uns alle sein. Die Solidarität, gerade in schwierigen Zeiten, gehört zum Fundament der Europäischen Union.“

Berlin gegen „Corona-Bonds“

Solche Beteuerungen wie die Äußerung von Maas werden der Bundesregierung aber nicht mehr überall in der EU abgenommen. Der Grund: Die deutsche Abwehrhaltung zur EU-politischen Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Konkret: Das kategorische Nein Deutschlands zur Vergemeinschaftung von Schulden über sogenannte „Corona-Bonds“. Deutschland setzt stattdessen auf Instrumente wie den Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) und die Europäische Investitionsbank. Auch der EU-Haushalt biete Spielräume - hier ist Deutschland der größte Nettozahler.

Folgt man dem Hauptargument Deutschlands gegen die „Corona-Bonds“, gibt es hierbei anders als bei Hilfen über den ESM keine Auflagen - Staaten wie Italien aber hätten bereits in der Vergangenheit Fiskalregeln nicht eingehalten. Bei „Corona-Bonds“ würden die Regierungen nicht nur gemeinsam Geld an Finanzmärkten aufnehmen, sondern auch gemeinschaftlich für Zinsen und Rückzahlung haften. Das ist vielen gerade zu riskant, vor allem in der Unionsfraktion gibt es massiven Widerstand.

„Ganz Europa zählt auf Deutschland“

Deutschland hat zwar die Niederlande, Finnland und Österreich auf seiner Seite, der Druck auf Kanzlerin Angela Merkel aus dem Süden Europas wächst aber. Italien wird von dem ebenfalls besonders stark von der Krise getroffenen Spanien, aber auch von Frankreich und anderen Staaten unterstützt. „Ganz Europa zählt auf Deutschland“, sagte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am Donnerstag. Er sagte es auf Deutsch, damit es in Berlin auch unmissverständlich gehört wird.
So mancher sieht es längst als Existenzfrage an, ob die EU bei der Krisenbewältigung noch zusammenfindet. Wie ernst die Lage ist, zeigte eine Äußerung des früheren EU-Kommissionspräsidenten, Jacques Delors, am vergangenen Wochenende. Der 94-Jährige, der sich kaum noch öffentlich zu Wort meldet, zeigte sich angesichts der festgefahrenen Debatte zu einem mahnenden Appell genötigt: Die fehlende Solidarität stelle „eine tödliche Gefahr für die EU“ dar.

TRT Deutsch und Agenturen