Zwei Wochen nach dem Umsturz in Syrien haben die neuen Machthaber eine diplomatische Offensive gestartet. Am Samstag gab die Rebellengruppe Hajat Tahrir al-Schams (HTS) die Ernennung eines neuen Außenministers bekannt, am Sonntag empfing HTS-Chef Ahmed al-Scharaa in Damaskus den türkischen Außenminister Hakan Fidan. Zudem kündigte al-Scharaa an, die syrische Einflussnahme im benachbarten Libanon drastisch zurückzufahren.
Damaskus werde sich nicht länger „negativ in die Angelegenheiten des Libanon einmischen“, sagte al-Scharaa am Sonntag in Damaskus bei einem Treffen mit hochrangigen Vertretern der drusischen Minderheit im Libanon. Die neue syrische Führung „respektiert die Souveränität des Libanon, die Einheit seines Territoriums, die Unabhängigkeit seiner Entscheidungen und seine Sicherheitsstabilität“.
Das Treffen zwischen dem HTS-Chef und den Drusenführern Walid und Tajmur Dschumblatt fand im Präsidentenpalast in Damaskus statt. Syrien werde im Libanon „in gleicher Distanz zu allen“ Seiten bleiben, betonte al-Scharaa. Zugleich räumte er ein, dass Syrien bisher für das Nachbarland eine „Quelle der Angst und Besorgnis“ gewesen sei.
Die syrische Armee war 1976 als Teil arabischer Streitkräfte in den Libanon einmarschiert, um den ein Jahr zuvor ausgebrochenen dortigen Bürgerkrieg zu beenden. Syrische Truppen blieben jedoch bis zu ihrem Abzug im Jahr 2005 in dem Nachbarland präsent, wo pro-syrische Gruppierungen wie die Hisbollah-Miliz fortan sämtliche Bereiche des politischen und militärischen Lebens beherrschten.
Neue syrische Machthaber streben „regionalen Frieden“ an
Die syrischen Übergangs-Machthaber hatten bereits am Freitagabend nach einem Treffen mit einer US-Delegation erklärt, sie wollten zu einem „regionalen Frieden“ beitragen und „strategische Partnerschaften“ mit Ländern in der Region aufbauen. Am Samstag teilte die Rebellengruppe dann im Onlinedienst Telegram mit, dass Assaad Hassan al-Schaibani zum Außenminister ernannt werde.
Al-Schaibani war seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien im Frühjahr 2011 in der Opposition aktiv. Syrien war während des Bürgerkriegs tief gespalten. Machthaber Baschar al-Assad ging brutal gegen jegliche Oppositionskräfte vor und kontrollierte bis zu seinem Sturz etwa zwei Drittel des Landes. Im Nordwesten gründete die Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) 2017 eine Parallelverwaltung.
Der 1987 in der Provinz Hasakeh im Nordosten Syriens geborene al-Schaibani hat englische Literatur, Internationale Beziehungen und Politik studiert. In den vergangenen Tagen war er in Damaskus bereits zu Gesprächen mit Delegationen aus Deutschland und Frankreich zusammengetroffen.
Am Samstag eröffnete Katar als zweites Land nach Türkiye seine seit 2011 geschlossene Botschaft in Syrien wieder. Am Sonntag traf dann der türkische Außenminister Fidan in Damaskus ein, dessen Land schon zuvor seine Botschaft wieder geöffnet hatte.
In einem von der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu veröffentlichtes Video war zu sehen, wie sich Fidan und al-Scharaa begrüßten. Das Ministerium in Ankara gab zunächst keine Einzelheiten bekannt. Fidan hatte jedoch am Freitag angekündigt, dass er nach Damaskus reisen wolle, um die neue syrische Führung zu treffen.
Seit dem Umsturz in Syrien hat der Einfluss von Türkiye als wichtiger Akteur im Nachbarland deutlich zugenommen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan erklärte, Türkiye werde zur Stabilisierung Syriens beitragen. Er betonte, dass sein Land sich stets für die Erhaltung der territorialen Integrität und Einheit Syriens eingesetzt habe. Nun sei es „an der Zeit, die in Syrien existierenden Terrorgruppen auszulöschen“.
Türkiye führt seit 2016 Anti-Terror-Operationen in Teilen Nordsyriens durch. Diese richten sich gegen die Präsenz der Terrororganisationen Daesh und PKK/YPG an der türkischen Grenze. Die PKK, die von Türkiye, den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft wird, ist für den Tod von mehr als 40.000 Menschen verantwortlich. Ihr syrischer Ableger YPG versucht seit Jahren, entlang der türkischen Grenze einen Terror-Korridor zu errichten. In den vergangenen Jahren hat Türkiye gemeinsam mit der Syrischen Nationalarmee (SNA) Maßnahmen ergriffen, um diese Pläne zu verhindern und die lokale Bevölkerung vor terroristischer Unterdrückung zu schützen.
Vor zwei Wochen hatten die Rebellengruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) und mit ihr verbündete Milizen die syrische Hauptstadt Damaskus eingenommen und die jahrzehntelange Herrschaft der Familie Assad beendet. Assad floh außer Landes. Die neuen Machthaber setzten eine Übergangsregierung ein, die versprach, die Rechte aller Syrer schützen zu wollen.