Nach dem großen Vergeltungsschlag palästinensischer Widerstandsgruppen am Samstagmorgen rätseln israelische Verteidigungspolitiker, wie es zu der Katastrophe kommen konnte.
Einen Tag nach dem 50. Jahrestag des Ausbruchs des Jom-Kippur-Krieges im Oktober 1973 wurde das Militär offenbar erneut von einem überraschenden Gegenangriff überrumpelt. Damals waren es noch syrische und ägyptische Panzerkolonnen, denen die israelischen Truppen gegenüberstanden.
„Es sieht so ähnlich aus wie damals“, sagt General a.D. Giora Eiland, ehemaliger Chef des Nationalen Sicherheitsrates Israels. Das Land sei von einem „sehr gut geplanten Angriff“ völlig überrascht worden.
Stabilität mit Zuckerbrot und Peitsche
Israel hat die Hamas schon immer als Hauptfeind betrachtet. Seit der zehntägigen Besetzung des Gazastreifens im Jahr 2021 versucht Israel, mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche die belagerte Region zu stabilisieren.
Die israelische Regierung hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Schritten getätigt: Sie hat wirtschaftliche Anreize geschaffen, die es den Bewohnern des Gazastreifens ermöglichen, in Israel oder im besetzten Westjordanland zu arbeiten. Zugleich wurden aber die strikte Absperrung und ständige Bedrohung durch Luftangriffe aufrechterhalten – entgegen dem Völkerrecht.
Die rechtsgerichtete Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu berief sich stets auf die Sicherheit Israels. Gegenüber den palästinensischen Widerstandsgruppen, einschließlich der Hamas, die seit 2007 den Gazastreifen kontrolliert, nahm sie eine kompromisslose Haltung ein.
Versagen der Geheimdienste
Der israelische Sicherheitsapparat schien angesichts Hunderter Kämpfer, die auf dem Land-, Luft- und Seeweg vorstießen, zusammenzubrechen. Die militärischen Absperrungen wurden überrannt. An einem Tag wurden etwa 300 Israelis getötet und mehr als 1500 verletzt. Das ist eine beispiellose Zahl von Opfern auf israelischer Seite.
„Es war ein Sicherheitsversagen, das Israels aggressives, erfolgreiches und mehrstufiges Vorgehen gegen Gaza untergrub", sagt Jonathan Panikoff, ehemaliger stellvertretender Geheimdienstbeauftragter der US-Regierung für den Nahen Osten. Panikoff arbeitet jetzt für die Denkfabrik Atlantic Council.
Koordinierter Angriff
Die hochmoderne israelische Armee erlitt sensible Verluste. Palästinensische Widerstandsgruppen nahmen nach eigenen Angaben mehr als ein Dutzend Soldaten gefangen. Zudem eroberten sie Sicherheitsposten und Militärbasen, darunter eine Polizeistation in der Stadt Sderot im Süden Israels.
Hamas-Medien verbreiteten Aufnahmen von Kämpfern, die durch verlassene Büros und illegale Siedlungen zogen. Im Zentrum stand der hochgesicherte Grenzübergang Erez am belagerten Gazastreifen.
„Das war von langer Hand geplant", sagt der frühere israelische Sicherheitsberater Eyal Hulata. Offensichtlich habe es sich um einen „sehr gut koordinierten Angriff“ gehandelt, der großen Schaden angerichtet habe.