Aussteiger der Gülen-Sekte, die in Türkiye als „Fetullahistische Terrororganisation“ (FETÖ) geführt wird, haben über die inneren Strukturen des Netzwerks berichtet. Dem „SWR“ bestätigten sie im Wesentlichen, was bereits die türkischen Sicherheitsbehörden über Jahre hinweg in Erfahrung gebracht hatten. Die Rede ist auch von Geheimdienstmethoden.
FETÖ wird für den vereitelten Putschversuch in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 in Türkiye verantwortlich gemacht.
Sekte soll in Deutschland 150.000 Anhänger haben
Aus den vom SWR präsentierten Aussagen von Aussteigern geht hervor, dass FETÖ eine Art Geheimdienst betreibt. Dieser soll dazu dienen, Strukturen zu unterwandern und Anhänger steuerbar zu halten.
Bereits seit den 1980er Jahren baute die Sekte ihre Strukturen auch in Deutschland aus. Etwa 150.000 Personen sollen mittlerweile dazugehören. Eigenen Angaben zufolge betreibt das Netzwerk etwa 300 Vereine, 22 Schulen, knapp 3000 Unternehmen sowie Nachrichtenportale, Verlage und Medien.
„Religiöse Betreuung“ für Putsch-Militärs
Der langjährige hochrangige Gülen-Funktionär Vahdettin Polat räumte ein, bis zum Putschjahr 2016 insgesamt zwölf Jahre lang Mitglied einer geheimen Überwachungseinheit der Sekte gewesen zu sein. Diese trage den Namen „Hususi Hizmet“ (Spezialdienst). In Türkiye soll dieser Kreis eine Schlüsselrolle bei der Unterwanderung staatlicher Institutionen durch FETÖ-Mitglieder gespielt haben.
„Wir haben eine geheime Agenda“, so Polat wörtlich im SWR-Beitrag. Die Sekte habe „ein System der Überwachung etabliert, das sehr systematisch und geplant im Einsatz ist“.
Die Struktur, so der Aussteiger weiter, arbeite „mit klassischen Geheimdienstmethoden“. Er selbst habe die Aufgabe gehabt, im Vorfeld des vereitelten Putschversuches eingeweihte Militärs zu betreuen und diesen „eine Art von religiöser Führung“ zu bieten.
Polat wurde nach dem Sieg über die Putschisten in Türkiye festgenommen und – noch nicht rechtskräftig – zu 16 Jahren Haft verurteilt.
Etwa fünf Prozent sollen „Hususi Hizmet“ zuzurechnen sein
Die Schilderungen des Aussteigers bestätigen jene Einschätzungen, die bislang auch türkische Sicherheitsbehörden, Nachrichtendienste und Gerichte über FETÖ getroffen hatten. Die Bewegung des Ende der 1990er in die USA geflohenen Anführers Fetullah Gülen rekrutiert demnach gezielt Jugendliche in den eigenen Bildungseinrichtungen. In weiterer Folge soll sie diese zu Spitzeln oder Einflussagenten ausbilden, um staatliche und militärische Einrichtungen zu unterwandern und andere Mitglieder in Machtpositionen zu bringen.
Gleichzeitig soll „Hususi Hizmet“ auch Informationen über eigene Anhänger sammeln, um diese notfalls mithilfe kompromittierender Informationen unter Druck setzen zu können. Dies wird laut Aussteigern auch in Deutschland so praktiziert, wohin sich Verantwortliche des internen Spitzeldienstes frühzeitig abgesetzt hätten und nun ein ruhiges Hinterland fänden.
Beim vereitelten Putschversuch im Juli 2016, für den FETÖ verantwortlich gemacht wird, starben 251 Personen, mehr als 2000 wurden verletzt. Der Vorfall gilt als der blutigste Terroranschlag in der Geschichte der Republik Türkiye.
5 Juli 2022
TRT Deutsch
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