Gedenktafel in Zwickau für eines der NSU-Opfer, Halit Yozgat. Er und weitere acht Menschen mit Migrationsgeschichte sowie eine Polizistin wurden vom rechtsextremen NSU ermordet. Bei der Einweihung der Gedenktafeln am 4. November 2019 waren Angehörige der NSU-Opfer nicht anwesend, weil sie nicht eingeladen wurden.  (AA)
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19 Anwälte von Angehörigen der NSU-Opfer haben nach Vorlage des schriftlichen Urteils gegen die Rechtsterroristin Beate Zschäpe mit dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) abgerechnet. In einer schriftlichen Stellungnahme, die sie nun veröffentlichten, werfen sie den Richtern eine „hässliche Gleichgültigkeit“ gegenüber den Nebenklägern vor und beklagen ein „Versagen des Rechtsstaats“.
„Der Rechtsstaat hat die Opfer des NSU-Terrors im Stich gelassen“, heißt es in dem Papier. Das Urteil sei „formelhaft, ahistorisch und kalt“, es sei eine Fortschreibung der Missachtung des Gerichts gegenüber den Opfern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. „Es ist ein Mahnmal des Versagens des Rechtsstaats“, der die Angehörigen jahrelang kriminalisiert und nun endgültig im Stich gelassen habe.
Das Gericht hatte kürzlich sein schriftliches Urteil gegen Zschäpe und vier Mitangeklagte vorgelegt, fast zwei Jahre nach der mündlichen Urteilsverkündung am 11. Juli 2018. Zschäpe war am Ende des mehr als fünfjährigen Mammutverfahrens um die Morde und Anschläge des NSU zu lebenslanger Haft verurteilt worden - auch wenn es keinen Beweis gibt, dass sie selbst an einem der Tatorte war. Sie lebte aber fast 14 Jahre lang mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund - in dieser Zeit ermordeten diese neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin. Am Ende nahmen sich die Männer das Leben, um der drohenden Festnahme zu entgehen. Zschäpe steckte die letzte gemeinsame Wohnung in Brand, verschickte ein Bekennervideo - und stellte sich der Polizei.
Das Gericht verurteilte Zschäpe als Mittäterin an allen Morden und Anschlägen des NSU - und untermauert dies im schriftlichen Urteil. Der Tatbeitrag Zschäpes sei „objektiv wesentlich“ gewesen, heißt es dort. Die genaue Argumentation ist deshalb von großem Interesse, weil der Bundesgerichtshof in Karlsruhe das NSU-Urteil überprüfen muss.
Rolle von Sicherheitsbehörden „totgeschwiegen“
Die Nebenklage-Anwälte kritisieren nun, dass das Urteil nichts zur Wahrheitsfindung im NSU-Komplex beitrage: „Das Urteil gibt noch nicht einmal das ansatzweise wieder, was durch die Beweisaufnahme ans Licht gebracht wurde. Es hat die Ergebnisse der fünfjährigen Beweisaufnahme bis zur Unkenntlichkeit verkürzt oder dreist verschwiegen.“ Die Rolle der Nachrichtendienste und der Polizei etwa werde „totgeschwiegen“. Der Name eines Verfassungsschutz-Mitarbeiters, der an einem der Tatorte war, werde im Urteil nicht ein einziges Mal erwähnt. Zudem würden „die Organisationen und Strukturen der neonazistischen Szene, ohne die der NSU nicht hätte existieren können, geschont“. Etwa das Unterstützernetzwerk „Blood & Honour“ werde mit keinem Wort erwähnt.
Zudem beklagen die Rechtsanwälte, dass die Mordopfer des NSU im schriftlichen Urteil „mit keinem Satz individualisiert“ würden. Es werde lediglich ihr Name genannt, noch nicht einmal ihr Alter. „Das Urteil hätte den Mordopfern des NSU ein Gesicht geben, die Lücke beschreiben können, die ihre Ermordung gerissen hat“, beklagen sie. Aber kein einziges der Worte, die die Hinterbliebenen unter großer persönlicher Anstrengung in der Hauptverhandlung im Angesicht der Angeklagten geäußert hätten, finde sich irgendwo in den 3025 Seiten.

dpa