13.04.2021, Stuttgart, Baden-Württemberg: Einige der Angeklagten im Prozess gegen die rechtsterroristische Vereinigung „Gruppe S.“ sitzen in Anwesenheit von Justizbeamten kurz vor Beginn der Verhandlung in einem Saal im Oberlandesgericht Stuttgart-Stammheim. (dpa)
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Sie sollen Äxte, Schwerter und Schusswaffen gehortet und Angriffe auf Moscheen geplant haben. Der Anklage zufolge wollten sie „bürgerkriegsähnliche Zustände“ auslösen und auf diesem Wege die Gesellschaftsordnung ins Wanken bringen: Seit Dienstag (10.00 Uhr) müssen sich in Stuttgart zwölf Personen im Rahmen eines Staatsschutzverfahrens verantworten, denen vorgeworfen wird, der mutmaßlichen rechtsterroristischen Vereinigung „Gruppe S.“ angehört oder diese unterstützt zu haben.
Die mutmaßliche Terrorzelle soll laut Bundesanwaltschaft auch konkrete Anschläge auf Moscheen ausgeheckt haben. Der Anklage zufolge hatten die Gründungsmitglieder der Vereinigung das Ziel, „mit ihrer Vereinigung die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern und letztlich zu überwinden“. Gewalt wollten sie hauptsächlich gegen Muslime, aber auch gegen politisch Andersdenkende ausüben. So war auch ein Anschlag auf den Reichstag im Gespräch.
Der als Rädelsführer angeklagte Werner S. aus dem Raum Augsburg habe kurz vor seiner Festnahme im Februar 2020 versucht, Waffen in seinen Besitz zu bringen - dies hatten das ZDF-Magazin „Frontal 21“ und die „Stuttgarter Nachrichten“ vergangene Woche unter Berufung auf Ermittlungsakten berichtet. Demnach wollte S. ein Kalaschnikow-Sturmgewehr mit 2000 Schuss Munition, eine Maschinenpistole sowie Handgranaten erwerben. Die mutmaßlichen Rechtsterroristen verfügten dem Bericht zufolge bereits über 27 erlaubnispflichtige Waffen. „In der Tat haben die Tatverdächtigen sich Waffen besorgen wollen oder auch besorgt, um für diesen Terroranschlag vorbereitet zu sein“, bestätigte der Präsident des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, Ralf Michelfelder.
Die Gruppe wurde laut Bundesanwaltschaft im September 2019 auf Betreiben von Werner S. gegründet. Die Angeklagten trafen sich demnach mehrfach persönlich, standen aber auch über Chatgruppen sowie telefonisch in Kontakt.
Bislang sind mehr als 30 Verhandlungstermine angesetzt. Acht Angeklagte sollen die rechtsextreme Terrorgruppe gegründet und sich anschließend als Mitglieder beteiligt haben - zwei Angeklagte sollen dabei Rädelsführer der Vereinigung gewesen sein. Drei weiteren Angeklagten wird ebenfalls Mitgliedschaft in dieser Vereinigung vorgeworfen, ein weiterer ist wegen Unterstützung der Vereinigung angeklagt. Sieben Angeklagten werden zusätzlich Verstöße gegen das Waffengesetz zur Last gelegt. An der Aufklärung der Aktivitäten der Gruppe war neben der Polizei auch der Verfassungsschutz beteiligt.
Die mutmaßlichen Rechtsterroristen wurden am 14. Februar 2020 festgenommen. Von den zwölf Angeklagten sitzen elf in Untersuchungshaft, einer befindet sich auf freiem Fuß. Einer der damals Festgenommenen ist in der Untersuchungshaft verstorben.

Nach dem Auffliegen der NSU-Terrorzelle, die zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen, meist solche mit Migrationshintergrund, ermordet hatte, ist der Rechtsterrorismus in Deutschland wieder in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Der „Nationalsozialistische Untergrund“ war 2011 eher durch Zufall entdeckt worden, nachdem zwei seiner mutmaßlichen Haupttäter tot in einem brennenden Wohnmobil im thüringischen Eisenach aufgeflogen waren.

In den vergangenen Jahren konnten die Ermittlungsbehörden in Deutschland bereits mehrfach gewaltbereite rechtsextremistische Vereinigungen zerschlagen, die zum Teil bereits über ausgearbeitete Anschlagspläne verfügten. Im Jahr 2015 wurden mehrere Personen festgenommen, die als Mitglieder der sogenannten „Oldschool Society“ konkrete Terrorakte ins Auge gefasst hatten. In den darauffolgenden Jahren traten ähnliche Vereinigungen in Bamberg (Bayern), Chemnitz und Freital (Sachsen) in Erscheinung.

Neben Einwanderern und Muslimen waren auch politisch Andersdenkende und sogar Kirchen oder Kindergärten als potenzielle Anschlagsziele militanter Rechtsextremisten ins Visier genommen worden. Erklärtes Vorbild der Angehörigen der “Gruppe S.“ sei das Massaker von Christchurch im März 2019 gewesen, bei dem 51 betende Muslime in einer Moschee von einem islamfeindlichen und öko-extremistischen Akteur ermordet wurden.

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) und der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, bewerteten die Festnahme mehrerer mutmaßlichen „Gruppe S.“-Terroristen im Februar 2020 als Beweis dafür, dass die Sorge deutscher Muslime vor rechtsextremer Gewalt „greifbar und real“ sei. Die DITIB unterstrich in diesem Zusammenhang ihre Einschätzung, dass ein „konsequenter Schutz“ der muslimischen Community in Deutschland überfällig sei.


dpa