12.05.2022, Nordrhein-Westfalen, Essen: Ein Polizist mit Spürhund steht im Hauseingang des Tatverdächtigen in Essen. (dpa)
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Der Zugriff erfolgt um 4.20 Uhr morgens: Schwer bewaffnete Spezialeinheiten stürmen ins Kinderzimmer eines 16-jährigen Schülers in Essen-Borbeck. Die Eltern sind ebenfalls in der Wohnung und müssen mit ansehen, wie ihr Sohn festgenommen wird. Dennoch wird bei dem Einsatz niemand verletzt, wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag einige Stunden später betont.
Die Wohnung wird durchsucht und schnell stoßen die Beamten auf rassistische, antisemitische, antimuslimische Schriften, SS-Runen - und Materialien zum Bombenbau. 16 Rohrkörper, einige präpariert mit Uhren und Nägeln, werden abtransportiert. „Möglicherweise hat die NRW-Polizei heute einen Albtraum verhindert“, sagt Reul.
Jugendlicher im Besitz von Zutaten für Bombe
Außerdem finden die Beamten Sprengstoff, wohl zum Befüllen der Rohrkörper. Das bisher sichergestellte Material sei „funktions-, aber nicht einsatzfähig“, sagt Reul. Soll heißen: Der Jugendliche besaß die Zutaten für eine Bombe, aber noch keinen fertigen, zündfähigen Sprengsatz. Daneben finden die Ermittler noch ein selbstgebautes Gewehr und eine Armbrust mit Pfeilen.
Die Erkenntnisse aus der Nacht haben Folgen für hunderte Schüler in Essen: Sie stehen am Morgen vor geschlossenen Türen. Das katholische Don-Bosco-Gymnasium und die frühere Realschule des 16-Jährigen werden akribisch mit zehn Sprengstoff-Spürhunden durchsucht.
Ausländerhass und Verherrlichung des Nationalsozialismus
Es gebe aber noch eine andere Seite, sagt Reul: Hinweise auf massive psychische Probleme und Suizidgedanken des Jugendlichen. „Gleichwohl sind Ausländerhass, Antisemitismus und die Verherrlichung des Nationalsozialismus mit nichts zu entschuldigen“, sagt der Innenminister der Deutschen Presse-Agentur. Der Schüler „steht unter dem dringenden Verdacht, einen Anschlag geplant zu haben.“
Hinweise auf Mittäter gebe es bislang nicht. Für die Polizei war der Jugendliche ein unbeschriebenes Blatt. Damit erfüllt er die Befürchtungen von Terrorexperten, die seit langem vor Einzeltätern warnen, die für die Behörden im Vorfeld nur schwer auszumachen sind.
Ermittlung wegen Vorbereitung staatsgefährdender Gewalttat
Gegen den Gymnasiasten wird nun wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ermittelt. Außerdem wegen Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz und wegen der Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion.
Im Verlauf des Tages übernimmt die für Terrorismus zuständige Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen. Der Schüler und seine Eltern müssen sich langen Vernehmungen unterziehen. Von wem der Hinweis an die Polizei kam, der die Behörden so sehr alarmierte und das SEK auf den Plan rief, verrät der Innenminister zunächst nicht.
Jugendlicher wollte Bombe in Schule legen
Diesem Hinweisgeber und den Einsatzkräften sei es aber zu verdanken, „dass hier Schlimmeres verhindert wurde.“ Der 16-Jährige habe diesem zuvor gesagt, er wolle in seiner Schule eine Bombe platzieren. Der Hinweisgeber komme aus dem „sozialen Umfeld“ des 16-Jährigen, sagt ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Damit sei nicht die Familie gemeint.
Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck zeigt sich bestürzt: „Der Verdacht, dass ein Schüler dort mit Waffengewalt einen Anschlag verüben wollte, erschreckt mich genauso wie die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Eltern, Nachbarn und alle anderen, die hiervon betroffen sind“, erklärte Overbeck in einer Stellungnahme des Bistums Essen. Man wolle „die Polizei bei der Aufklärung unterstützen und der Schulgemeinschaft helfen, die Geschehnisse so gut wie möglich zu verarbeiten“.
Wüst dankt Hinweisgeber
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst dankte der Polizei und dem Hinweisgeber auf die Anschlagspläne. Das „aufmerksame Handeln aus der Bevölkerung“ habe bei der Vereitelung der Tat entscheidend geholfen, erklärte er. Die genauen Hintergründe der Tat seien noch zu klären, sagte Wüst.
Bis einschließlich Freitag haben die Ermittler nun Zeit, um zu entscheiden, ob sie einen Haftbefehl gegen den Jugendlichen beantragen, oder ob sie ihn wieder auf freien Fuß setzen.

dpa