Österreich: Ex-Kanzler Kurz wegen Falschaussage vor Gericht / Photo: DPA (dpa)
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Das Medien-Interesse ist enorm. Rund 100 Journalisten haben sich für den Prozess gegen Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) angemeldet. „Auch die 40 Besucherkarten sind längst vergeben“, sagt eine Sprecherin des Landgerichts Wien. Der 37-Jährige ist wegen des Verdachts der Falschaussage angeklagt. Er soll im Ibiza-Untersuchungsausschuss des österreichischen Parlaments gelogen haben, als er seine Rolle bei der Vergabe des Chefpostens in der Staatsholding Öbag beschrieb.

Kurz droht mehrjährige Haftstrafe

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die neben Kurz zwei weitere Verdächtige umfasst, hat 108 Seiten. Der ehemalige Regierungschef bestreitet alle Vorwürfe vehement. Es gilt als sicher, dass die bisher anberaumten Verhandlungstage am 18., 20. und 23. Oktober nicht ausreichen werden. Der Strafrahmen für das Delikt beträgt bis zu drei Jahre Haft.

Der Ibiza-Untersuchungsausschuss wurde eingerichtet, um möglichen Postenschacher und Korruption in der Regierung Kurz aufzudecken. Im Juni 2020 wurde der damalige Kanzler und ÖVP-Chef Kurz als Auskunftsperson vier Stunden lang befragt. Rund um die Top-Personalie bei der neu aufgestellten Staatsholding Öbag wollten die Abgeordneten wissen, wie sehr Kurz in die Berufung seines Vertrauten Thomas Schmid zum neuen Öbag-Chef eingebunden war. „Eingebunden im Sinne von informiert, ja“, antwortet Kurz an einer Stelle. Auf die Frage, ob die Planung der Personalie von ihm ausgegangen sei, sagt Kurz laut Protokoll des Parlaments: „Von mir ist das nicht ausgegangen, aber soweit ich mich erinnern kann, hat er mich irgendwann davon informiert, dass er sich bewerben wird.“

Aus Sicht der Abgeordneten der Opposition hat Kurz gelogen, weil er in Wahrheit eine viel aktivere Rolle gespielt habe. Im März 2021 wurde er angezeigt. Die fälligen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft mündeten in den Strafantrag. Angeklagt wegen des Verdachts der Falschaussage sind auch Bernhard Bonelli, damaliger Kabinettschef im Bundeskanzleramt, und die ehemalige ÖVP-Vizeparteichefin Bettina Glatz-Kremsner, bis März 2022 Generaldirektorin der Casinos Austria und Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Lotterien. Auch sie bestreiten die Vorwürfe.

Chatnachrichten belasten Kurz

Die Ermittler stützen sich bei ihren Vorwürfen auf das „berühmteste Handy Österreichs“, wie Justizministerin Alma Zadic (Grüne) das Mobiltelefon von Schmid nennt. Monate nach dem Auffliegen der Ibiza-Affäre 2019 - auf einem heimlich aufgenommenen Video wirkte der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache anfällig für Korruption - wurde auch das Handy von Schmid sichergestellt. Der Öbag-Chef, zuvor in einer Schlüsselrolle im Finanzministerium, hatte zwar 300.000 Whats-App-Nachrichten auch über Vorgänge im innersten Regierungskreis gelöscht, sie konnten von den Fahndern aber wiederhergestellt werden. Inzwischen hat sich Schmid als möglicher Kronzeuge gegen Kurz angedient.

Laut Anklage zeigen die Chats eine tiefe Verwicklung des damaligen Kanzlers in die Vorgänge um die Staatsholding, die die milliardenschweren Beteiligungen des Staats an diversen Unternehmen managt. «Und sie waren über den juristischen Aspekt hinaus auch ein verstörendes Sittengemälde, das für viele den Eindruck bestätigte, den Politikern geht es um Macht und nicht um das Land», sagt der Politologe Peter Filzmaier. So schrieb Schmid wenige Tage vor seinem Dienstantritt als Öbag-Chef an Kurz: „Bitte mach mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate. Das wäre ja wie Wiener Stadtrat ohne Portfolio“. Kurz antwortete: „kriegst eh alles was du willst“. Schmid: „Ich bin so glücklich“ - „Ich liebe meinen Kanzler“.

Kurz ist zwar nicht der erste Spitzenpolitiker Österreichs, der vor Gericht steht, aber das Verfahren fällt in eine Zeit besonders tiefen Misstrauens in die Politik. „In einem kleinen Land wie Österreich, sind Seilschaften, Absprachen und möglicher Postenschacher nicht fern“, sagt Filzmaier.

Österreich ist im Korruptionsindex nur im Mittelfeld platziert

Österreich hat in Sachen Korruption nach Darstellung von Transparency International nicht den besten Ruf. Beim Korruptionsindex liege das Land nur im europäischen Mittelfeld und habe zuletzt weiter Plätze verloren, sagt Georg Krakow von Transparency Österreich. „Wir haben ein gewaltiges Pensum an Hausaufgaben zu machen, damit das Vertrauen in die Demokratie und die Politik wiederhergestellt werden.“ Dazu zähle eine Reform des Lobbying-Gesetzes, damit transparent würde, wer für wen in der Politik versuche, Einfluss zu nehmen, sagt Krakow. „Amtsträger müssen sich so verhalten, dass sie über jeden Korruptionsverdacht erhaben sind“, so seine Forderung.

Kurz betreibt inzwischen ein Cybersecurity-Unternehmen mit 50 Angestellten in Tel Aviv sowie eine Beratungs- und eine Investmentfirma. Er war im Herbst 2021 als Kanzler zurückgetreten und hatte sich kurz darauf ganz aus der Politik verabschiedet.

Viel brisanter als der aktuelle Prozess könnte für den einst als „Wunderwuzzi“ gehandelten Konservativen eine Anklage in der sogenannten Inseratenaffäre werden. Dabei geht es um geschönte Umfragen und Regierungs-Inserate in Boulevard-Zeitungen, die mutmaßlich mit Steuergeld bezahlt worden sein sollen. Gegen mehrere Menschen wird wegen des Verdachts der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit ermittelt. Auch hier bestreitet Kurz die Vorwürfe.

dpa