Hanau, Deutschland (dpa)
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In der Nacht zum 19. Februar 2020 kamen bei einem rassistischen Terroranschlag auf zwei Shisha-Cafés in der hessischen Stadt Hanau neun Menschen ums Leben, darunter fünf türkische Staatsbürger. Ein näherer Blick auf die Opfer des Verbrechens offenbart, dass es Menschen türkischer, kurdischer, bulgarischer, rumänischer und afghanischer Herkunft waren. Diese Tatsache unterstreicht einmal mehr, dass sich Terrorismus und Rassismus gegen die gesamte Menschheit richten, unabhängig von Religion, Sprache und ethnischer Herkunft. Darüber hinaus hat dieser Angriff verdeutlicht, wie stark Rassismus, Islamfeindlichkeit und rechtsextreme Strömungen in ganz Europa zugenommen haben. In diesem Sinne wurde dieser rassistische Anschlag in Hanau eben nicht nur infolge einer individuellen Radikalisierung eines in Deutschland lebenden 43-jährigen Rechtsextremisten verübt. Vielmehr gab es Komplizen dieses Angriffs, der neun Menschen das Leben kostete – und zwar diejenigen, die mit ihren Diskursen und Strategien die Basis für die Ausbreitung von Rassismus, Islamophobie und migrantenfeindlicher Stimmung in ganz Europa geschaffen haben. Angesichts eines inzwischen in ganz Europa feststellbaren antimuslimischen Rassismus, dem Rechtsrucks in den politischen Debatten und der Zunahme rassistischer Vorfälle bei Polizei, Militär und anderen staatlichen Institutionen ist es unübersehbar, dass es sich bei dem Hanauer Terroristen eben nicht nur um einen geistig verwirrten Einzeltäter handelte.

Rechtsextreme Verbrechen nehmen in Deutschland zu

Bedauerlicherweise ist auch Deutschland von der in ganz Europa feststellbaren Zunahme rechtsextremer Rhetorik und entsprechender Aktionen betroffen. Offizielle Zahlen zu den Verbrechen, die von der extremen Rechten in Deutschland begangen wurden, sind auch Abbild einer für sich besorgniserregenden Situation, mit der wir derzeit in ganz Europa konfrontiert sind. Laut Berichten des Bundesinnenministerium stiegen die politisch motivierten extremistischen Straftaten im Jahr 2020 um 9 Prozent und erreichten einen traurigen Höhepunkt von insgesamt etwa 45.000. Von diesen 45.000 politisch motivierten Straftaten wurden etwa 24.000 von Rechtsextremisten begangen. Im Vergleich zu 2019 stieg diese Zahl um etwa sechs Prozent. Zudem war 2020 das Jahr, in dem der höchste Stand krimineller Taten von Rechtsextremisten in Deutschland in den letzten 20 Jahren zu beklagen war. Eine weitere Dimension der rechtsextremen Bedrohung in Deutschland sind die zunehmenden rassistischen Vorfälle innerhalb der Behörden und Sicherheitskräften. In diesem Zusammenhang offenbarten Zahlen des militärischen Abschirmdienstes für 2020, dass etwa 600 Soldatinnen und Soldaten im aktiven Dienst der Bundeswehr rechtsextremen Gruppierungen angehören. Angesichts all dieser Zahlen ist es eine klare Tatsache, dass der rassistische Angriff in Hanau eben nicht zufällig oder aus dem Nichts kommend passiert ist und überdies sogar neue Anschläge wie die in Hanau drohen, wenn die Verantwortlichen keine Maßnahmen ergreifen, um diese zu verhindern.

Rassistische Übergriffe breiten sich in ganz Europa aus

2020 wurden wir nicht nur Zeuge des Anschlags von Hanau, sondern auch vieler weiterer islamfeindlicher Anschläge. Bei einem kurzen Blick auf Länder in ganz Europa ist festzustellen, dass allein in Frankreich 1.142 Hassverbrechen registriert wurden, davon 235 gegen Muslime. In Österreich etwa weisen die Zahlen 812 Hassverbrechen gegen Muslime aus. Religionsbedingte Hassverbrechen im Vereinigten Königreich nahmen im Vergleich zu 2019 um fast ein Drittel zu. Selbst in Litauen wurden 47 Straftaten gegen die Grundsätze der Gleichheit und der Glaubensfreiheit gemeldet. Auch in Polen wurden im selben Jahr 557 Hassverbrechen begangen. Wenn man bedenkt, dass nur 17 Prozent der Hassverbrechen gegen Muslime in ganz Europa dokumentiert werden können, wird deutlich, wie dramatisch die aktuelle Situation in Europa ist. Auch wenn Deutschland zurzeit das Land ist, in dem rechtsextreme Gruppierungen augenscheinlich am intensivsten operieren, ist zu beobachten, dass sich Hassverbrechen bzw. gewalttätige Übergriffe in ganz Europa ausbreiten und wohl auch zunehmen werden.

Zunahme islamfeindlicher Strömungen

Man kommt nicht umhin festzustellen, dass sich diese aufkommenden rechtsextremen Strömungen wie ein Virus mit rasender Geschwindigkeit in ganz Europa verbreiten. So begegnen uns Rassismus, Diskriminierung und Hasskriminalität mittlerweile in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Aus dem 2020 vom Europarat veröffentlichten Bericht mit dem Titel „Bekämpfung von illegalen Hassreden im Internet“ geht hervor, dass 9,4 Prozent besagter Hassreden im Internet antiislamische Einstellungen offenbaren. In einer 2020 von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte veröffentlichten Umfrage stellte man überdies fest, dass 22 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union Vorbehalte bzw. Unbehagen gegen potentielle muslimische Nachbarn äußern und 21 Prozent keine muslimische Frau mit Kopftuch einstellen würden. Angesichts einer solchen Atmosphäre ist es deshalb äußerst wichtig, dass alle Staaten in ganz Europa, insbesondere aber auch Deutschland, wirksame Strategien im Kampf gegen den wachsenden Rechtsextremismus und Terrorismus entwickeln. Denn wie es derzeit scheint, sind die bis dato in ganz Europa ergriffenen Maßnahmen zur Prävention einer rechtsextremen Radikalisierung äußerst unzureichend.

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