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Der Völkermord von Srebrenica ging als größtes Verbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Geschichte ein. Mehr als achttausend bosnische Muslime wurden von der bosnisch-serbischen Armee der „Republika Srpska” massakriert. Die Kleinstadt Srebrenica im Osten Bosniens stellte eine muslimische Enklave in einem hauptsächlich von Serben kontrollierten Gebiet dar. Tausende von Bosniern fanden Zuflucht in der Stadt, nachdem diese von der UN als Schutzzone erklärt wurde.

Srebrenica: Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Serbische Milizen nahmen die Stadt im Juli 1995 ein und töteten innerhalb weniger Tage auf brutale Weise mehr als achttausend Menschen. Die meisten Opfer waren muslimische Männer. Die Verbrechen an der Menschlichkeit, die in Srebrenica verübt wurden, sind im Detail dokumentiert. Niederländische UN-Soldaten, die in der Stadt stationiert waren, griffen nicht ein.

Der Begriff Srebrenica repräsentiert nicht nur die Stadt und den Völkermord, sondern dient auch als trauriges Symbol für die Indifferenz und das Versagen der internationalen Gemeinschaft und mächtiger westlicher Staaten, denen eine Mitschuld am Völkermord zugeschrieben wird.

Das Trauma von Srebrenica überschattet Bosnien und Herzegowina auch 28 Jahre später. In den nun fast drei Jahrzehnten seit dem Massaker wurden weiterhin Dutzende von Massengräbern entdeckt, erneut menschliche Überreste identifiziert und beigesetzt. Die Situation in Bosnien und Herzegowina ist auch heute von ethnischen und politischen Spannungen und Instabilität geprägt. Ein komplexes politisches System, weitreichende Präsenz internationaler Institutionen, existentielle Fragen um die Identität des Landes sowie separatistische Tendenzen machen die Aussichten für die Zukunft kompliziert.

Auch wenn das Kriegsverbrechen von UN-Gerichten als Völkermord definiert wurde, bleiben das Massaker sowie dessen Umstände auch 28 Jahre später politisch kontrovers, auch außerhalb von Bosnien und Herzegowina.

Verharmlosung und Leugnung, aber auch Verherrlichung des Verbrechens sind weiterhin Bestandteil verschiedener politischer Diskurse auf dem Balkan.

Auch wenn Planung und Ausführung des Völkermords nicht zuletzt durch etliche Zeugen dokumentiert sind, werden Begriffe wie „Massaker” und „Verbrechen” vor allem von serbischen Politikern weiterhin als Euphemismen verwendet, um den rechtlich greifenden Begriff des Völkermords zu umgehen. Aber auch Verschwörungstheorien und alternative „Fakten” über die Umstände des Massakers oder die Anzahl der Opfer bleiben weit verbreitet.

In den letzten Jahren sprachen serbische Politiker Entschuldigungen für das Verbrechen aus, vermieden aber den Begriff „Völkermord”. Der Diskurs der politischen Elite ist weiterhin von Leugnung geprägt.

Doch wird Völkermord nicht durch Gefühle oder Meinung definiert. Die Tatsache, dass Srebrenica weiterhin ohne Konsequenzen geleugnet werden kann, ist nicht nur erschreckend. Die Leugnung dient auch der Marginalisierung der Opfer und deren Narrativen. Dabei war Srebrenica keine isolierte Ausnahme, sondern das Resultat jahrelanger Kriegsverbrechen, die von ethnischer Säuberung geprägt waren. Zwischen 1991 und 1995 fanden in Bosnien und Herzegowina und Kroatien viele Massaker statt. Militärische Besatzung, Konzentrationslager, Vergewaltigungen und Folter waren während des Krieges vielerorts verbreitet. Neben Srebrenica hat kaum ein anderer Ort eine zentrale Bedeutung in der westlichen Historiographie oder Erinnerungskultur erhalten.

Srebrenica hat als geplanter Völkermord eine bestimmte Bedeutung eingenommen. Doch darf der Fokus auf Srebrenica nicht dazu führen, dass dieses Massaker als isolierte Tat bewertet wird. Die politischen und militärischen Umstände, die zu diesem Völkermord geführt haben, müssen berücksichtigt werden. Der gesamte Krieg in Bosnien und Herzegowina war strukturell von ethnischer Säuberung und Massakern geprägt. Der Krieg und die mit ihm einhergehende Flüchtlingskrise dauerte fast ein halbes Jahrzehnt, bevor es zum Genozid in Srebrenica kam.

Die internationale Gemeinschaft reagierte nicht ausreichend

Da der internationalen Gemeinschaft aufgrund ihrer relativen Indifferenz während des Massakers eine Teilschuld zugeschoben wird, repräsentiert Srebrenica vor allem im Westen oftmals ein Symbol des Versagens internationaler Mechanismen. Darüber hinaus scheint der Westen, trotz der Einsicht in die eigenen Fehler, auch bei der Aufarbeitung der Ereignisse versagt zu haben. Ein Gericht in Den Haag hat erst im Jahr 2017 den Niederlanden eine Mitschuld am Massaker zugewiesen. Erst letztes Jahr, also 27 Jahre nach dem Massaker, bat die niederländische Regierung Verbliebene der Opfer um Entschuldigung. Im gleichen Jahr erinnerten auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und EU-Kommissar Oliver Varhelyi an die Verantwortung, die Europa für den Völkermord zu tragen hat. „Europa hat versagt, und wir müssen uns schämen,” äußerten die beiden Politiker in einer Erklärung. Doch auch diese Erklärung hatte strategische Bedeutung. Gleich zu Beginn des Schreibens wurde Srebrenica als Mahnung im Kontext des Krieges zwischen Russland und der Ukraine positioniert.

Die Tatsache, dass Srebrenica zumindest teilweise Raum im westlichen Gedächtnis gefunden hat, kann auch dem westlichen Eigeninteresse und den eigenen Schuldgefühlen zugeschrieben werden. Der Völkermord an Tausenden von hilflosen Zivilisten darf jedoch nicht zum rhetorischen Mittel politischer Kommunikation ausgenutzt werden. Heute wird der 11. Juli im Diskurs der politischen Elite der EU verwendet, um Reue zu äußern und Europa moralisch positiv zu repositionieren – doch hat die internationale Gemeinschaft nicht nur am 11. Juli 1995 versagt, sondern im gesamten Krieg in Jugoslawien.

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