Milorad Dodik, Serb member of the Presidency of Bosnia and Herzegovina, speaks during an interview in Banja Luka (Reuters)
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Der serbische Führer Milorad Dodik fügte seinen wiederholten Drohungen, Bosnien und Herzegowina aufzulösen, jüngst eine neue hinzu. Dodik, der seit etwa 15 Jahren mit Ausfällen dieser Art den serbischen Separatismus anheizt, kündigte diesmal den Rückzug der Republika Srpska aus wichtigen Institutionen von Bosnien und Herzegowina an und machte damit deutlich, dass er das Dayton-Friedensabkommen mit Füßen treten will. Damit nicht genug, kündigte Dodik zudem an, nach dem Rückzug der Republika Srpska aus den gemeinsamen bosnischen Streitkräften eine unabhängige Armee der Republika Srpska aufzubauen. Dieser angekündigte Austritt von Dodik kommt der Rückkehr einer Armee gleich, die schon einmal einen Völkermord begangen hat. Diese Entwicklungen lösen bei allen ethnischen Gruppen in Bosnien und Herzegowina Besorgnis aus, insbesondere aber bei den muslimischen Bosniern.

Dodiks Separatismus-Zeugnis

Angetrieben von der Idee, ähnlich wie Montenegro und Kosovo nach einem Unabhängigkeitsreferendum in gleicher Weise unabhängig werden zu können, teilt Dodik diese Forderungen seit geraumer Zeit mit der Öffentlichkeit. Bereits 2011 sprach man auf Seiten der Republika Srpska Drohungen aus, die den jetzigen ähnelten, wobei aber damals, insbesondere nach Vermittlung der EU, von weiteren Schritten abgesehen wurde. 2015 drohte die Republika Srpska erneut mit der Abspaltung von Bosnien und Herzegowina im Jahr 2018, sollte ihr nicht mehr Autonomie eingeräumt werden. Im September 2017 machte die Republika Srpska, angeführt von Dodik, einen Rückzieher und nahm die Drohung erst einmal zurück. Allerdings zog die Republika Srpska noch im Oktober desselben Jahres ihre Vertreter auf staatlicher Ebene aus allen Gremien zurück. Nach den Erklärungen von Bakir Izetbegovic, die auf der territorialen Integrität Bosnien und Herzegowinas bestanden und seiner Forderung, den Kosovo im Einklang mit der internationalen Gemeinschaft anzuerkennen, setzte die Republika Srpska, wieder unter Führung von Dodik, erneut an, um das föderale System zu torpedieren und es damit zu lähmen.

Im Februar 2020 wetterte Dodik, die andauernde Krise in Bosnien könne nur durch dessen Zerstörung beendet werden. Dabei gehört es zu Dodiks Politik, Krisen zu befeuern und den Völkermord zu verleugnen; entsprechend schrill stieg er in das Jahr 2021 ein und schürte noch mehr Separatismus und ethnischen Nationalismus, insbesondere auf Social-Media-Kanälen wie YouTube. Diese Haltung setzte sich im Frühjahr 2021 fort. Mit der Einführung des Verbots der Völkermordleugnung in das Strafrecht von Bosnien und Herzegowina im Juli 2021 nahmen die Spannungen im Land wieder zu, und entsprechend eskalierten Dodiks separatistische Ansagen mit der Androhung einer Abspaltung. Systematisch werden föderale Institutionen von der von Dodiks Administration geführten Republika Srpska boykottiert. Und indem man Bosnien-Herzegowina daran hindert, als Staat zu funktionieren, versucht man die Unumgänglichkeit einer unabhängigen Republika Srpska aufzuzeigen.

Nach den Entwicklungen im Juli kündigte Dodik überdies an, die Serben würden sich aus den gemeinsamen Streitkräften zurückziehen und in den kommenden Monaten eine unabhängige Armee der Republika Srpska aufstellen Wohl mit der Unterstützung seiner „Freunde“ schwadronierte Dodik, diese unabhängige Armee der Republika Srpska werde die Kasernen der Bundesarmee umzingeln und diese zum Rückzug aus dem Gebiet der Republika Srpska zwingen. Es besteht kein Zweifel, dass hinter Dodiks waghalsigen Äußerungen Russlands geopolitische Ambitionen auf dem Westbalkan und Serbiens irredentistische Agenda stehen.

Darf die Republika Srpska auf einem Selbstbestimmungsrecht bestehen?

Der Führer der Republika Srpska, Dodik, muss bei aller separatistischer Rhetorik seine Forderungen in irgendeiner Form legitimieren. Er argumentiert mit dem Selbstbestimmungsrecht, obwohl er es ist, der Bosnien und Herzegowina funktionsunfähig zu machen droht und das föderale Gebilde zugunsten von Kräften unterminiert, die in der Vergangenheit selbst vor einem Völkermord nicht zurückschreckten. Dieses Vorhaben der Republika Srpska, zuerst ein unabhängiger, selbstbestimmter Staat auf Basis der UN-Charta zu werden und sich dann als solcher mit Serbien zu vereinigen, verstößt eindeutig gegen geltendes Völkerrecht.

Zunächst einmal hat die Androhung von Gewalt und Verletzung der territorialen Integrität eines bestehenden Staates durch eine Armee, die bereits in der Vergangenheit einen Völkermord begangen hat, mit der Ausübung eines Selbstbestimmungsrechts überhaupt nichts zu tun. Dodik treibt die tragenden Säulen von Bosnien und Herzegowina in einen Krieg und zieht dabei globale und regionale Mächte in den Konflikt hinein, was schon für sich dem Geist der UN-Charta für ein legitimes Selbstbestimmungsrecht widerspricht. In diesem Zusammenhang klafft auch eine Kluft zwischen den von Dodik innerhalb seines Unabhängigkeitsdiskurses herangezogenen Beispielen Kosovo und Montenegro und den von ihm bemühten Maßnahmen. Dodik, der offensichtlich darauf abzielt, den in den neunziger Jahren unvollendeten Völkermord abzuschließen und die Angriffe auf Bosnier in der Föderation zu verstärken, versucht, die Regeln des Völkerrechts auszunutzen. Darüber hinaus zielt er mit seinen Aktionen auf die geopolitische Agenda der EU auf dem Westbalkan und ebnet den Weg für Russlands Expansion in der Region. In diesem Zusammenhang ist es ebenso offensichtlich, dass Dodik, angetrieben von einer dem serbischen Nationalismus innewohnenden Feindseligkeit gegenüber den Türken, versucht, die Initiativen und Errungenschaften der Türkei in der Region zu torpedieren.

Im Übrigen ist der aktuelle Selbstbestimmungsansatz der UNO mit Dodiks Wahnvorstellungen unvereinbar. Dodik träumt davon, sich nach einem blutigen Krieg und einem weiteren Völkermord Serbien anzuschließen, und versucht, diesen Irredentismus als Selbstbestimmung zu verkaufen. In diesem Sinne stützt sich Dodiks Fantasie eben nicht auf einen notwendigen Konsens, sondern nährt sich, im Einklang mit seinen ideologischen Quellen, aus einem zu schürenden Konflikt. Wie die UNO in der Folge des gescheiterten separatistischen Abenteuers Kataloniens feststellte, kann das Recht auf Selbstbestimmung jedoch nur mit dem vollständigen Konsens aller betroffenen Parteien verwirklicht werden. In derselben Erklärung betonen die Vereinten Nationen darüber hinaus, dass das Recht auf Selbstbestimmung zwar ein Grundrecht ist, die territoriale Integrität von Staaten aber ebenso höchsten Stellenwert genießt und deswegen dieses Recht nur im Konsens ausgeübt werden kann. Die Vertreibung des Bundesheeres Bosniens und Herzegowinas, wie es sich Dodik in seiner Phantasie vorstellt, käme dem Ende des bundesstaatlichen Gewaltmonopol in der Region gleich und wäre mit der Schaffung eines neuen Gewaltmonopols durch die Bildung einer alternativen Armee das unmittelbare Äquivalent für das Wort „Konflikt“.

Es besteht wohl kein Zweifel, dass Dodiks separatistische Agenda, die sich vollständig aus seinem ethnischen Nationalismus speist, ein lupenreines Beispiel für Irredentismus ist. Das Selbstbestimmungsrecht kommt in Bosnien-Herzegowina nicht zum Zuge, da zwischen den Beteiligten kein Konsens besteht und die territoriale Integrität des Landes gefährdet ist. Dodiks Provokationen sind nicht nur juristisch höchst umstritten, sondern gefährden auch die Errungenschaften der Türkei und der EU in puncto Sicherheit in der Region. Darüber hinaus offenbaren sie sein Interesse, Russland militärisch in die Region hineinzuziehen und einen weiteren globalen Konfliktherd zu schüren.

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