Archivbild: Donald und Melania Trump (AP)
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Sollte Donald Trump die Wiederwahl im Herbst verlieren, dann unter anderem auch deshalb, weil er fundamental missverstanden hat, dass sich die USA nach wie vor inmitten einer Corona-Pandemie befinden. Realität ist nicht beliebig uminterpretierbar.

Als die Coronavirus-Welle in den USA ankam und Amerikas Wirtschaftsleistung in das Negative kippte, vollzog sich beinahe ein Paradoxon: Noch nie waren die Umfragewerte für Donald J. Trump so gut wie am Beginn dieser Pandemie. Während seiner gesamten Präsidentschaft sah sich Trump dem hartnäckigen Phänomen gegenüber, von mehr Amerikanern abgelehnt als befürwortet zu werden. Auch erhielt Trump 2016 fast drei Millionen weniger Wählerstimmen als Hillary Clinton.

Aber seit letztem Spätherbst gelang Trump eine beeindruckende Aufholjagd und seine Umfragewerte begannen sich kontinuierlich zu verbessern. Gleichzeitig taten sich die Demokraten schwer, in ihren Vorwahlkämpfen einen Favoriten zu positionieren. Als dann das Coronavirus auf die USA übergriff und Amerikas Wirtschaft zu kippen begann, vollzog sich das Erstaunliche, dass Trump seine Aufholjagd in den Umfragen sogar fortsetzen konnte. Mitte April wurde Trump nur von etwas mehr Amerikanern abgelehnt als befürwortet. Wie war das zu erklären? Es wird der „Rally-Behind-The-Flag“-Effekt genannt. Sieht sich Amerika von außen bedroht, so versammeln sich die Amerikaner hinter ihren Institutionen, und mehr noch hinter ihrem Präsidenten. Trump arbeitete konsequent an seiner Wiederwahl im Herbst. Aber dann wendete sich das Blatt wiederum. Mit Mai dieses Jahres verschlechterte sich die politische Großwetterlage für Trump und seine Zustimmungswerte begannen neuerlich abzustürzen. Gleichzeitig liegt der wahrscheinliche demokratische Herausforderer Joe Biden umfragetechnisch voran, und dies auch in mehreren der „Battleground States“, in denen knappe Ergebnisse erwartet werden. Die Wiederwahl von Trump ist damit wieder deutlich ungewisser geworden, auch eine Niederlage von Trump ist ein durchaus mögliches Szenario.

Eine der entscheidenden Thesen hier lautet: In der Wiederwahl oder Abwahl von Trump wird sich die Meinung der Amerikaner abbilden, also ihre Bewertung, wie gut oder wie schlecht hier die Krisenmanagementkompetenzen von Trump sind, wie etwa im POLITICO behauptet. Virologisch betrachtet, ist der „Lockdown“ eine der effektivsten Strategien gegen das Coronavirus. Gleichzeitig führt er aber zu einem Herunterfahren der ökonomischen Tätigkeiten - mit einbrechender Wachstumsleistung und hochschnellender Arbeitslosigkeit. Im April erreichten die Corona-Infektionszahlen in den USA ihren Höhepunkt, danach entwickelten sie sich rückläufig. Trump sah darin die Chance, die Wirtschaft wieder hochzufahren, auch deshalb, weil es in Amerika anders als in Europa kein entsprechendes Wohlfahrtssystem gibt, sodass die Menschen eine Arbeit brauchen, um ökonomisch bestehen zu können - erst über ihren Arbeitgeber können viele auf eine Krankenversicherung zugreifen. Hinzu kommt, dass sich das Tragen oder Nichttragen einer Mundschutzmaske fast zu einem ideologischen Kulturkampf hochgeschaukelt hat. Das Tragen der Maske kann als eine Anti-Trump-Position und das Nichttragen als Pro-Trump-Statement ausgelegt werden. In der medialen Berichterstattung sieht man Trump so gut wie nie mit einer Mundschutzmaske.

Die Johns Hopkins Universität in den USA sammelt und veröffentlicht regelmäßig Corona-Statistiken. An den Werten wird deutlich, welche Dramatik sich gerade in den USA abspielt. Denn seit Juni beginnen die Corona-Neuinfektionszahlen in Amerika sich wieder deutlich nach oben zu bewegen. Dabei haben die Neuinfektionszahlen jetzt den höchsten Stand überhaupt erreicht, liegen schon höher als damals im April. Die Virus-Wachstumskurve steigt weiter steil an, während ein Ende dieser Zunahmen nicht in Sicht ist. New York war eines der ersten Zentren der Corona-Ausbreitung, dort sind die Zahlen rückläufig. In vielen anderen Bundesstaaten explodieren die Corona-Zahlen jedoch gerade. Neben Kalifornien sind es jetzt vor allem auch die südlichen Bundesstaaten, traditionelle Wählerbastionen der Republikaner, die jetzt massiv betroffen sind, allen voran Texas und Florida. Epidemiologisch lässt sich damit die These aufstellen, dass die USA gerade eine zweite Corona-Welle durchlaufen. Zurzeit weisen die USA, gemeinsam mit Brasilien, das weltweit höchste Niveau an Corona-Neuinfektionen auf. Laut Wall Street Journal warnte der US-Seuchenexperte Anthony Fauci vor einem Senatsausschuss eindringlich vor den Folgen eines weiteren Anstiegs der Infektionszahlen.

Für Trump ist das Dilemma perfekt, er sitzt quasi handlungspolitisch in der Falle. Schon als Folge der ersten Corona-Welle war in den USA die Arbeitslosigkeit von März auf April von 4,4 auf 14,7 Prozent hochgeklettert. Ökonomen gehen davon aus, dass die Corona-Rezension die schwerste Wirtschaftskrise in der westlichen Welt nach 1945 auslösen wird, wenn nicht sogar global. Laufend findet eine Korrektur der Wachstumsprognosen nach unten statt, wie zuletzt vom International Monetary Fund ausgesprochen. Für 2020 wird den USA ein Wachstumsminus von -8 Prozent prophezeit, mit der Möglichkeit weiterer Herabstufungen. Der ökonomische Lockdown wurde zurückgenommen und da greift die zweite Corona-Welle gerade hinein. Die Dramatik der Lage, in der sich Ökonomie, Gesellschaft und Corona verhängnisvoll miteinander verzahnen, ist damit groß.

Corona ist aber nicht das einzige Problem für Trump. Mit der Tötung des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz wurde deutlich, welche Formen des Alltagsrassismus in den USA existieren, welche Risse und Spannungen da die Gesellschaft durchziehen. Handykameras dokumentieren diese Fälle in neuer Direktheit. In den USA kommt es zu Massenprotesten gegen dieses Unrecht. Trumps politische Rhetorik dagegen betont die „Law-and-Order“-Karte, mit Spekulationen darüber, ob und wann sich das Militär gegen Unruhen einsetzen ließe, wie etwa Guardian berichtet. Das wiederum wurde von ehemaligen Führungspersonen der amerikanischen Armee deutlich kritisiert, so in der New York Times. Twitter versieht mit Hinblick auf umstrittene Inhalte einzelne Tweets von Trumps mit Warnhinweisen. Wäre es denkbar, dass sich Twitter sogar so weit hinauslehnen könnte, in der heißen Wahlkampfphase den Account von Trump noch stärker zu reglementieren? Facebook ist da zurückhaltender, was aber wiederum Facebook in die Kritik bringt. Trump liebt Wahlkampauftritte vor großen Menschenmengen und genau das ist während der Corona-Krise sehr schwierig. Deshalb erklärte Biden auch, auf genau solche Auftritte vorerst verzichten zu wollen.

Einige Experten sagen, dass der politische Stil von Trump nicht auf Fakten fokussiert ist, sondern sich darauf konzentriert, was Menschen „glauben möchten“. So könnte Fiktion die Realität überholen. Was aber gerade in den USA in Bezug auf Corona und die Wirtschaft passiert, greift derart tief und real in das Alltagsleben der Amerikaner ein, dass der Realitätscheck diesmal viel elementarer ist – die Glaubhaftigkeit der Fiktion wird schwieriger.

Am 3. November 2020 findet die nächste Präsidentschaftswahl in den USA statt. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird der Republikaner Donald John Trump gegen den Demokraten Joseph (Joe) Robinette Biden antreten - also „J. versus J.“ Was ihre Agenda angeht, wird es sich dabei um eine Wahl zwischen zwei sehr unterschiedlichen Kandidaten handeln. Dieses politische Aufeinandertreffen ließe sich aber natürlich noch zugespitzter ausdrücken: Vielleicht wird der 3. November nicht so sehr eine normale Wahl zwischen zwei Spitzenkandidaten, sondern mehr ein Referendum über die Amtsführung von Trump sein. Die Frage, ob Trump bleiben soll oder aus dem Amt gewählt wird, steht im Raum. Zurzeit sieht es für Trump gar nicht so gut aus. „The Art of Losing“ verwirklicht sich genau dann, wenn die für glaubhaft erklärte Fiktion doch zu radikal vom Faktischen, dem wissenschaftlich Faktischen, abweicht. Denn Realität lässt sich nicht beliebig uminterpretieren. Verliert Trump tatsächlich die kommenden Wahlen, dann ist es ein „Re-Defeat“. Demokratie und Demokratiequalität leben aber auch genau davon: vom Machtwechsel.

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