„Der gescheiterte Putschversuch“ in Türkiye. Menschen schwenken türkische Flagge. (AFP)
Folgen

Heute jährt sich zum sechsten Mal der Jahrestag des Putschversuchs vom 15. Juli 2016. Die Ereignisse überschlugen sich in dieser schicksalhaften Nacht, aber schon bald wurde eines deutlich: Die stolzen und freiheitsliebenden Menschen in Türkiye waren fest entschlossen, sich ihre Demokratie, ihr Land, ihre Zukunft nicht von den Akteuren der Fetullahistischen Terrororganisation (FETÖ) zerstören zu lassen. Und dafür waren die Heldinnen und Helden dieser bangen Stunden bereit, ihr eigenes Leben einzusetzen – heutige sowie zukünftige Generationen werden die 251 verstorbenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die mit bloßen Händen gegen Terroristen in Panzern ankämpften, und die über 2000 Verletzten stets in ihren Gedanken und Gebeten behalten.

„Das war doch nur Türkiyes Problem“

Bestürzend zurückhaltend – diese Formulierung würde wohl am ehesten die Reaktionen der meisten westlichen Freunde und Verbündeten beschreiben. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die schockierenden Vorkommnisse in Ankara, Istanbul und anderswo in Türkiye einmal mehr als eine Art hausgemachtes Problem bewertet wurden. Zyniker unter uns Beobachtern gingen aber einen Schritt weiter: Könnte es sein, dass die „Abwarten und Tee (in Brüssel oder Berlin) trinken“ – Haltung darauf basierte, dass man, falls die demokratisch gewählte Regierung wirklich abgesetzt wird, abwarten sollte, wer an die (illegale) Macht kommt? Und dann gibt es da noch eine dritte Erklärungshypothese: Ist es denkbar, dass es Kräfte und Zirkel in Europa und Nordamerika gibt, die vom Prinzip her mit dem Ende der Ära Erdoğans kokettierten, vor allem seit ihren Einmischungsversuchen in das demokratische System Türkiyes während und nach der sogenannten Gezi-Park-Proteste?

Doch die Menschen in Türkiye erkannten während der Nacht, dass das jahrelange Unterwandern der Institutionen durch Anhänger des FETÖ-Clans nur das Rückstellen der politischen Uhren Richtung Diktatur als Ziel hatte.

Zwei beachtenswerte Ausnahmen

Die ersten Stimmen, die der Regierung in Ankara ihre volle Unterstützung zusagten und den Putschversuch richtig einordneten, sind besonders hervorzuheben. Da war zunächst der damalige britische Minister für Europaangelegenheiten Sir Alan Duncan, der wenige Tage nach dem 15. Juli 2016 in das Land reiste, um seine und Londons Solidarität zu bekunden und ebenso keinerlei Zweifel daran ließ, wer dahinter steckte, er sprach von Perzeptionsdefiziten bezüglich der FETÖ im Ausland.

Und er änderte seine Meinung auch hinterher nicht. Ein Jahr nach dem Putschversuch teilte er auf seinem Twitter-Kanal mit, er fahre nun zum fünften Mal in seiner Eigenschaft als Minister nach Türkiye (…) es sei nun ein Jahr nach dem furchtbaren Putschversuch (…) wichtig, Demokratie zu wahren. (Übersetzung des Verfassers)

Ebenso beachtenswert war die Stellungnahme des damaligen Botschafters der Republik Österreich in Türkiye, Dr. Klaus Wölfer. Der hoch geschätzte Diplomat, der unerlässlich für eine engere Beziehung zwischen beiden befreundeten Staaten eintrat, besuchte wenige Tage nach dem Bombenanschlag auf das nationale Parlament in Ankara das Gebäude und ließ sich dort fotografieren, um den Menschen in Österreich und der ganzen Welt deutlich zu machen, was hier vor kurzem geschehen war. Das Foto erlaubte den Betrachtern, quasi durch das weggebombte Dach-Teil gen Himmel zu schauen. Die Zerstörung war immens, Dr. Wölfers betroffener sowie schockierter Gesichtsausdruck sagte alles. Er stimmte zu, dieses Foto auf seinem Social-Media-Kanal zu veröffentlichen.

Vor allem das zweite Beispiel erlaubt einen Rückblick und Ausblick nach Europa und Washington: Wie hättet ihr reagiert, wenn Terroristen den Reichstag oder den Kongress bombardiert hätten?

FETÖ und NATO-Erweiterung

Da Türkiye in den letzten sechs Jahren FETÖ im eigenen Land Stück für Stück ausgetrocknet hat, ist es an der Zeit,t dass Partner in Europa und den USA die verbleibenden Rädelsführer an Ankara ausliefern. Hierbei geht es nicht nur um Solidarität mit Türkiye, sondern auch um etwas ganz anderes: Ähnlich der verbotenen PKK-Terrorgruppierung hat FETÖ sich augenscheinlich in andere Territorien abgesetzt. Die Vermutung liegt nahe, dass man sich, da ein erneuter gewaltsamer Putschversuch in Türkiye seit vielen Jahren undenkbar ist, ein neues (Terror-) Spielfeld gesucht hat. Unter dem Deckmantel des Themas Bildung soll die Ideologie von Fetullah Gülen unbedarften jungen Menschen nahegebracht werden. Hinzu kommen Medienhäuser und Vereine sowie Studentenwohnheime. FETÖ stellt somit eine Gefahr für diejenigen demokratischen Länder dar, in denen sie Unterschlupf gefunden hat. Von daher sollten nicht nur Finnland und Schweden, aber vor allem auch die USA engstens mit Türkiye zusammenarbeiten und die Anführer ausliefern; ausliefern in einen Rechtsstaat mit den höchsten juristischen Standards. Die Tatsache, dass Ankara der NATO-Erweiterung vom Prinzip her zugestimmt, hat bringt den FETÖ/PKK/YPG-Ball klar in die Spielhälfte der neuen Mitgliedsstaaten sowie Washingtons.

Türkiye sechs Jahre später

Sechs Jahr danach – wie hat sich das Land entwickelt? Fest steht eines: Die Demokratie hat noch stärker Fuß gefasst als jemals zuvor; was vor rund zwei Jahrzehnten begann und als Schnellzug Richtung Zivilgesellschaft ohne Bevormundung startete, ist am Ziel einer partizipatorischen Demokratie eingetroffen. All das wollte FETÖ nicht länger zulassen – dann sprach das Volk der Republik Türkiye.

Meinungsbeiträge geben die Ansichten des jeweiligen Autors und nicht die der Redaktion wieder. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an: meinung@trtdeutsch.com