NATO-Gipfel: Der türkische Präsident Erdoğan und sein US-amerikanischer Amtskollege Biden sind zu Gesprächen zusammengekommen. (AA)
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Die Beziehungen beider Länder werden angespannt bleiben

Am Rande des NATO-Gipfels am 14. Juni in Brüssel wird US-Präsident Joe Biden voraussichtlich mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zusammentreffen. Das Thema sind die schwierigen türkisch-amerikanischen Beziehungen, die seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016, der massiven Unterstützung der Terrororganisation PKK/YPG in Syrien seitens der Vereinigten Staaten und der Anschaffung von S-400 Flugabwehrsystemen durch die Türkei weiter angespannt bleiben dürften.

Der nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jake Sullivan, erklärte während einer Pressekonferenz in Washington, dass Biden und Erdoğan in Brüssel über die Lage im östlichen Mittelmeer, Syrien, Iran, Berg-Karabach und die Rolle der Türkei bei der Gestaltung der Zukunft Afghanistans sprechen werden. Wendy Sherman, stellvertretende US-Außenministerin, befand sich im Mai zu Gesprächen mit ihrem türkischen Amtskollegen Sedat Önal in Ankara. Von einer „strategischen Partnerschaft“, von der einige politische Beobachter nach dem Besuch von Sherman gesprochen hatten, kann keine Rede sein.

Wendy Sherman verlangt Nichtaktivierung der S-400 Flugabwehrraketen

Bei der Unterredung zwischen Sherman und Önal soll die stellvertretende US-Außenministerin hinsichtlich der S-400 Flugabwehrraketen von der türkischen Seite eine schriftliche Garantie eingefordert haben, dass die Hightech-Waffen nicht aktiviert werden. Im Gegenzug will die US-Administration diese schriftliche Zusage dem Kongress vorlegen, damit er die Strafmaßnahmen gegen die Türkei überdenkt. In der Forderung ist eine Kontrolle der Nichtaktivierung der S-400 durch US-Militärs vorgesehen. Nach Medienberichten wies die türkische Regierung die US-Forderung umgehend zurück und bezeichnete sie als versuchten Eingriff in die Souveränität der Türkei. Mit diesem Appell senden die USA vor der angekündigten Unterredung zwischen Biden und Erdoğan eine klare Botschaft an Ankara: Entweder lenkt die Türkei ein, oder wir werden sehen, was die Zukunft bringt.

Ex-US-Verteidigungsminister Ashton Carter bestätigte PKK-YPG Verbindung

Seit Jahrzehnten unterstützt Washington die PKK und insbesondere seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien deren Ableger YPG, die von der Türkei als Terrororganisation eingestuft wird. Die von Strategen des Pentagon öffentlichkeitswirksam in „Demokratische Kräfte Syriens“ (DKS) umbenannte Terrormiliz ist nichts anderes als die PKK/YPG selbst. Der ehemalige US-Verteidigungsminister Ashton Carter räumte die Verbindungen der PKK mit der YPG während einer Anhörung vor dem Senatsgremium des US-Kongresses 2016 ein. Zur Sicherung ihres eigenen Territoriums hatte die Türkei mehrere grenzüberschreitende Militäroperationen gegen Terrororganisationen wie PKK/YPG und DAESH/IS in Syrien durchgeführt, da sie die Extremistenorganisationen als Bedrohung der eigenen Sicherheit betrachtet.

Türkei wird keinen „PKK/YPG-Staat“ dulden

Die USA und einige europäische Länder wollen nicht verstehen, dass die Türkei keinen „PKK/YPG-Staat“ in Syrien oder im Irak dulden wird. Man stelle sich einmal vor, die Türkei würde an der mexikanischen Grenze extremistische Kräfte gegen die Vereinigten Staaten mit Waffen und Munition unterstützen. Wie würde eine US-Regierung in diesem Fall reagieren?

Trotz dieses Sachverhalts unterhalten die Vereinigten Staaten in den von der PKK/YPG besetzten Gebieten Syriens Spezialkräfte, die eben jene Terroristen militärisch und jüngst auch im Rettungsdienst ausbilden. Bislang sollen die USA über 22.000 Lkw-Ladungen an militärischen Gütern an die Terrororganisation in Syrien geliefert haben. Zu den gelieferten Waffen und Munition gehören demnach Marschflugkörper, Panzerabwehrraketen und Flugabwehrwaffen, schwere Maschinengewehre sowie M-16 Maschinengewehre.

Präsenz von US-Streitkräften in Syrien verstößt gegen geltendes Völkerrecht

Etwa 30 Prozent des syrischen Staatsterritoriums werden von der PKK/YPG besetzt gehalten. Dort sollen sich 11 Stützpunkte der US-Streitkräfte befinden, was gegen geltendes Völkerrecht verstoßen würde. Die Vereinigten Staaten sollen bereits im Mai 2020 in den Koniko-Gasfeldern in Nordostsyrien Patriot-Flugabwehrraketen in Stellung gebracht haben. Also jenes Flugabwehrsystem, das die US-Regierung dem NATO-Partner Türkei nicht verkaufen wollte. Die türkische Regierung hatte daraufhin russische Flugabwehrsysteme des Typs S-400 von Russland bezogen und damit den Zorn Washingtons auf sich gezogen.

Ein anderer Aspekt ist die Unterstützung des terroristischen Gülen-Netzwerks durch Washington, dessen Mitglieder für den gescheiterten Putschversuch von 2016 verantwortlich gemacht werden und dessen Anführer seit 1999 in Pennsylvania lebt. Seit etwa 40 Jahren versucht die Gülen-Organisation, den türkischen Staat systematisch zu unterwandern, und wollte 2016 die gewählte Regierung der AK-Partei mit Waffengewalt stürzen. Beim Gülen-Netzwerk handelt es sich nicht um eine „religiöse Bewegung“ im eigentlichen Sinne, sondern um eine geheim operierende, hierarchisch strukturierte, esoterisch-kultartige Vereinigung, die zur Erreichung ihrer Ziele auch Waffengewalt einsetzt.

Sie weist vom Aufbau her strukturelle Ähnlichkeiten mit anderen Terrororganisationen wie PKK, DAESH, DHKP-C usw. auf. In ideologischer und struktureller Hinsicht ähnelt sie der „Scientology-Organisation“. Die Türkei hat von den USA mehrmals die Auslieferung von Fetullah Gülen beantragt. Der Auslieferungsantrag wurde von der US-Regierung abgelehnt.

Der Einfluss der USA und Europas in der Region und in anderen Teilen der Welt geht zurück

Mit ihrer Forderung einer schriftlichen Garantie zur Nichtaktivierung der S-400 versuchen die Vereinigten Staaten, die türkische Regierung unter Druck zu setzen, um Zugeständnisse zu erreichen. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, hatten US-Administration und Senat im Dezember letzten Jahren die CAATSA-Strafmaßnahmen gegen das Direktorat der türkischen Verteidigungsindustrie beschlossen. Die US-Seite scheint aber nicht verstanden zu haben, dass sich die geostrategische Lage in der Region verändert hat und die Türkei als Regionalmacht ihren Einfluss in militärisch-technologischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht ausgebaut hat.

Die immer wieder von US-Senatoren wie Bob Menendez und der amerikanischen Regierung vorgebrachten Äußerungen, die Türkei sei „kein verlässlicher Verbündeter“, und die Anschuldigung einer „aggressiven Außenpolitik“ sind Ausdruck einer Hilflosigkeit und einer falschen Anti-Türkei-Politik, weil der Einfluss der USA und Europas in der Region und in anderen Teilen der Welt zurückgeht und mit China eine neue Weltmacht ihren Platz eingenommen hat.

Gemeinsamer Kampf gegen internationalen Terrorismus ohne Unterstützung der PKK/YPG

Als die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 durch Terroranschläge von al-Qaida angegriffen wurden, stand die Türkei an der Seite Washingtons und war auch selbst durch blutige Anschläge der Extremisten betroffen. Die Türkei hat seit dem Korea-Krieg einen wesentlichen Beitrag für das nordatlantische Bündnis und damit die westliche Wertegemeinschaft geleistet. Sie war an der militärischen Intervention der NATO im ehemaligen Jugoslawien ebenso beteiligt wie an der anschließenden Mission in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo sowie später in Afghanistan.

Die Türkei ist ein wesentlicher Eckpfeiler der NATO und sollte es auch bleiben. Ein gemeinsamer Kampf gegen den internationalen Terrorismus kann nur gelingen, wenn Washington unter anderem die Unterstützung der Terrororganisation PKK/YPG beendet und FETÖ-Anführer Gülen an die türkische Justiz übergibt, damit beiden Staaten ihre Beziehungen auf eine neue Basis stellen können. Dies gilt auch für einige EU-Staaten, die mit der Praxis aufhören müssen, PKK/YPG und das Gülen-Netzwerk zu unterstützen. Die PKK gilt zwar in den USA und in den EU-Staaten als Terrororganisation und ist verboten, aber die Anordnung existiert nur auf dem Papier, da die Extremisten und ihre Unterstützer über NGOs ihre gesetzeswidrigen Aktivitäten fortsetzen können.

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