Der Screenshot vom niederländischen Fernsehen zeigt holländische UN-Soldaten in Potocari, Bosnien-Herzegowina, vor hunderten von moslemischen Zivilisten, die aus dem nahegelegenen Srebrenica vor serbischem Terror geflüchtet waren. (dpa)
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Unter dem Eindruck der schrecklichen Völkermorde im Zweiten Weltkrieg wollten die Vereinten Nationen diese durch die Verabschiedung einer Konvention verhindern bzw. bestrafen. Das Verbrechen des Völkermords wird in der entsprechenden Konvention definiert als das vorsätzliche Töten von Mitgliedern einer Gruppe, das Zufügen schwerer Schäden, die gewaltsame Unterbindung von Geburten bzw. die Entführung von Kindern, um eine ethnische, religiöse oder nationale Gruppe vollständig zu vernichten. Gemäß dieser einschlägigen Konvention sollen nicht nur diejenigen, die den Völkermord aktiv begehen, sondern auch jene, die zu diesem Völkermord anstiften, sich am Völkermord beteiligen oder versuchen einen Völkermord zu begehen, ebenfalls bestraft werden.

Was bleibt von Srebrenica?

Durch den Völkermord in Srebrenica verloren 8372 Bosniaken ihr Leben. Für die Aufarbeitung der Ereignisse in Srebrenica sind die Feststellungen im Fall Krstic, bei dem der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) seine erste Verurteilung wegen des Völkermords verkündete, äußerst wichtig. Demnach wurde die Enklave Srebrenica, die durch Beschluss des UN-Sicherheitsrates eigentlich vor allen Arten von bewaffneten Angriffen und feindlichen Handlungen geschützt war, infolge eines Angriffs der bosnisch-serbischen Armee besetzt; die dort gestrandeten 25.000 Frauen und Kinder wurden ebenfalls von der bosnisch-serbischen Armee (BSO) in das von Bosniaken kontrollierte Gebiet menschenunwürdig deportiert, aber die Männer von Srebrenica ereilte ein noch ganz anderes Schicksal.

Das oben genannte Gericht stellte fest, dass der für den Völkermord ausschlaggebende Vorsatz in der betreffenden Handlung gegeben war; mit anderen Worten, es stellte fest, dass die Folgen einer Tötung der muslimischen Männer von Srebrenica und der Deportation der verbliebenen Bevölkerung für die Existenz der Bosniaken von der bosnisch-serbischen Armee vollständig verstanden wurden und dass all dies bewusst getan wurde, um die Existenz der Bosniaken als Volksgruppe auszulöschen. Infolge der Prozesse wurde eine Gruppe von 12 Personen, darunter die Führungsfiguren Karadzic und Mladic, wegen Völkermords und verschiedener anderer Verbrechen bestraft.

Auch wurde als Ergebnis dieses Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof festgestellt, dass man zwar Serbien nicht direkt für den Völkermord verantwortlich machen könne, es aber zumindest seiner Verpflichtung zur Verhinderung eines Völkermords in Srebrenica nicht nachgekommen sei.

Halbherzige Gerechtigkeit

Wie ebenfalls vom ICTY als Ergebnis der Verfahren Blagojevic und Jokic festgestellt, wurden neben der Entscheidung zum Völkermord in Srebrenica vom Personal der bosnisch-serbischen Armee ebenso Anordnungen zur Vertuschung des Völkermords erteilt, und selbige wurden von den zuständigen Stellen in der Befehlskette ausgeführt. Im Rahmen dieser Vertuschungsaktionen wurden die Massengräber der Bosniaken geöffnet und die Leichen an andere Orte verbracht. Für all diese Handlungen, die einen klaren Verstoß gegen die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords darstellen, sieht Artikel 3 Bestrafungen vor, und obschon das für die Vertuschung verantwortliche Militärpersonal bestraft wurde, handelte es sich bei den Tätern nicht ausschließlich um Soldaten.

Während einer Vertuschungsaktion des Drina-Korps der bosnisch-serbischen Armee kontaktierte dieses wegen der Unzulänglichkeit seiner technischen Ausstattung die von bosnischen Serben kontrollierten Gemeinden, worauf diese Fahrzeuge von heute oftmals nicht mehr aktiven Unternehmen zusammenzogen, um den Völkermord zu vertuschen. Die Führungskräfte dieser Unternehmen, die eine Vertuschung des Völkermords in Srebrenica logistisch unterstützt haben, wurden bis dato nicht vor Gericht gestellt.

Die Verbindung von Völkermorden und Heldenverehrung

Es ist und bleibt ein ernsthaftes Problem, dass in einer Situation, in der das Verbrechen des Völkermords rechtlich manifestiert ist und sogar Militärangehörige bestraft wurden, zivile Täter trotz klaren Verstoßes gegen die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermords mit ihrer logistischen Unterstützung der Vertuschungsaktivitäten ungestraft davonkamen. Ein Völkermord darf sich niemals wiederholen. Es ist ein schreckliches Verbrechen, das umfassend untersucht und verfolgt werden muss, damit es eben nicht noch einmal passiert.

Die Tatsache, dass die Täterschaft dieses Verbrechens nur auf Angehörige der Armee beschränkt wurde, birgt ernsthafte Gefahren, da dieses Verbrechen als Ergebnis eines umfassenden ideologischen Fanatismus von jedem begangen werden kann. Zumal bekannt wurde, dass sich die Identifizierung der Opfer auch deshalb als schwierig gestaltet, weil im Zuge der Verbringung der Leichen mit den von der zivilen Verwaltung zur Verfügung gestellten Fahrzeugen an andere Orte zur Vertuschung des Völkermords die Leichen der Opfer zerstückelt wurden.

Die wichtigste Konsequenz, wenn ein Völkermord nicht umfassend aufgeklärt wird, besteht darin, dass zukünftige Völkermorde nicht verhindert werden können. Dass gegen Menschen trotz ihrer Beteiligung am Völkermord nicht ermittelt wurde und sie ungestraft davonkamen, führt dazu, dass eine neue Generation von Fanatikern ermutigt wird, all das zu wiederholen, was in der Vergangenheit passiert ist. Auch scheint es dann unvermeidlich, dass Täter, die nicht für ihre Verbrechen bestraft werden, zu Helden in ihrer Gesellschaft stilisiert werden und gar der Völkermord mystifiziert und verherrlicht wird.

Das Fortbestehen des radikalen Tschetnik-Kults in der Republika Srpska (RS), einer der beiden Entitäten, aus denen sich derzeit Bosnien und Herzegowina zusammensetzt, verdeutlicht, dass diese Straflosigkeit junge bosnische Serben radikalisiert hat. Tatsächlich unterstreicht auch die Aufhebung des von der RS ​​im Jahr 2004 veröffentlichten Berichts, der die Ereignisse in Srebrenica als Völkermord bezeichnete, durch das Parlament der RS ​​im Jahr 2018 und die Einrichtung einer neuen Kommission zur Untersuchung der Ereignisse, dass diese Kräfte innerhalb der RS ​​nach wie vor stark präsent sind.

Auch der Umstand, dass der Serbe Mladen Grujicic, der 2016 zum Bürgermeister Srebrenicas gewählt wurde, den Völkermord bei jeder Gelegenheit leugnet und internationale Gerichtsentscheidungen ablehnt, ist Beweis dafür, wie stark diese Ansichten in der serbischen Gesellschaft verbreitet sind und man statt eines aufrichtigen Bedauerns insgeheim sogar eine Zufriedenheit über die Folgen der Ereignisse verzeichnen kann. Laut dem 2020 veröffentlichten Bericht über die Leugnung des Völkermordes in Srebrenica vertraten der serbische Klerus und andere serbische Politiker die gleiche Position wie Grujicic. Auch die Tatsache, dass Mladic, einer der Hauptschuldigen des Völkermords in Srebrenica, immer noch idealisiert wird, verdeutlicht die Dramatik des Themas.

Die aktuelle Situation birgt nicht nur die Gefahr, erneut ethnische Konflikte in der Region zu entfachen, sondern gefährdet, als Vorbote möglicher neuer Völkermorde überdies auch die Sicherheit der Region und der Welt. Solange nicht alle Täter des Völkermords von Srebrenica vor Gericht gestellt werden, besteht auch weiterhin die Gefahr von ethnischen Konflikten und Völkermorden auf dem Balkan.

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