Bundestagswahl im Schatten des Rechtsextremismus / Photo: DPA (dpa)
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Am 23. Februar steht Deutschland vor einer richtungsweisenden Wahl. Das politische Gleichgewicht des Landes ist bereits mit einer gescheiterten Ampel-Koalition ins Wanken geraten. Doch das prägendste Merkmal dieser vorgezogenen Bundestagswahl ist der europaweite Aufstieg des Rechtsextremismus, der sich auch in Deutschland deutlich zeigt. Die AfD verzeichnet in den Umfragen einen starken Zuwachs, was insbesondere in migrantischen Gemeinschaften für große Besorgnis sorgt. Zudem beeinflussen externe Faktoren wie Donald Trumps Wahlsieg in den USA, die umstrittene Haltung von Kanzler Scholz zur Palästina-Frage und Deutschlands Rolle im Russland-Ukraine-Konflikt maßgeblich die politische Dynamik dieser Bundestagswahl.

Die CDU stellte unter Angela Merkel von 2005 bis 2021 etwa 16 Jahre lang die Bundeskanzlerin und führte in dieser Zeit verschiedene Koalitionsregierungen an. Nach der Bundestagswahl 2021 übernahm die SPD unter Olaf Scholz die Aufgabe zur Regierungsbildung, da sie als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen war. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP geriet jedoch ab dem dritten Regierungsjahr zunehmend in interne Konflikte, die schließlich in eine Regierungskrise mündeten. Der Austritt der FDP aus der Koalition führte schließlich zur Bildung einer Minderheitsregierung, die im Bundestag keine stabile Mehrheit fand. Infolgedessen wurden für den 23. Februar 2025 Neuwahlen angesetzt.

Aufstieg der zum Teil rechtsextremen AfD

Die jüngsten politischen Krisen in Deutschland sorgen insbesondere unter Wählern mit ausländischen Wurzeln für Besorgnis. Der schrittweise Aufstieg der mittlerweile als teilweise rechtsextrem eingestuften AfD seit 2014 lässt sich nicht allein mit wirtschaftlichen Ängsten erklären. Vielmehr spiegelt der Höhenflug der Partei eine tiefgreifende Identitätskrise und die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz fremdenfeindlicher Rhetorik in der Bundesrepublik wider.

Besonders betroffen von dieser Entwicklung sind die rund vier Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Ihre Sorge beruht nicht nur auf aktuellen politischen Entwicklungen, sondern auch auf historischen Erfahrungen: Der Solinger Brandanschlag von 1993, bei dem fünf Menschen türkischer Herkunft ums Leben kamen, die Mordserie des NSU, sowie zahlreiche Angriffe auf Häuser, Moscheen und Vereine von Türken und Muslimen haben sich tief ins kollektive Gedächtnis der migrantischen Gemeinschaften eingebrannt. Hinzu kommen Erfahrungen institutioneller Diskriminierung, die das Vertrauen in die Politik weiter erschüttern.

Einwanderungsfreundliche Parteien ohne Potenzial

Türkischstämmige Wähler in Deutschland tendieren traditionell dazu, Parteien wie die SPD, die Grünen und die CDU zu unterstützen. Doch in den vergangenen Jahren haben insbesondere die SPD und die Grünen, die sich in der Regel als migrationsfreundlich positionieren, viele ihrer Versprechen nicht eingehalten. Maßnahmen zur besseren Integration von Migranten, zur Stärkung ihrer sozialen Rechte und zur politischen Repräsentation blieben weitgehend unzureichend.

Rückblickend ist festzustellen: Während diese Parteien zuvor im Wahlkampf ein multikulturelles Deutschland propagiert hatten, gerieten viele ihrer Versprechen nach der Regierungsübernahme in den Hintergrund. Themen wie die doppelte Staatsbürgerschaft, eine stärkere politische Partizipation oder wirksamere Maßnahmen gegen Diskriminierung haben kaum nennenswerte Fortschritte gemacht. Zudem waren die Bundesregierungen der letzten Jahre meist Koalitionen aus zwei oder drei Parteien, was ihre Handlungsfähigkeit im Kampf gegen den Aufstieg des Rechtsextremismus erheblich einschränkte.

In Deutschland gibt es rund sieben Millionen wahlberechtigte Menschen mit Migrationshintergrund. Zwar sind sich die politischen Parteien dieser Wählergruppe bewusst, doch die Forderungen dieser Menschen wurden bislang nur unzureichend berücksichtigt.

Wen vertreten türkischstämmige Abgeordnete?

Türkischstämmige Wähler in Deutschland erwarten, dass Abgeordnete mit türkischen Wurzeln ihre Interessen im Bundestag vertreten. Doch die Erfahrung zeigt: Viele dieser Abgeordneten engagieren sich eher für marginalisierte Gruppen in Türkiye als für die Anliegen der türkischen Gemeinschaft in Deutschland. Statt konkrete Lösungen für die Probleme der türkischen Diaspora anzubieten, verfolgen sie oft eine ideologisch geprägte Agenda.

Darüber hinaus setzen etablierte Parteien Kandidaten mit Migrationshintergrund häufig auf Listenplätze, die wenig Aussicht auf Erfolg haben, um migrantische Wähler zu gewinnen, ohne ihnen dabei eine reale Chance auf parlamentarische Repräsentation zu geben. Dies führt zu Enttäuschung und Frustration unter den Wählern mit Migrationshintergrund.

Neben den etablierten Parteien gibt es aber auch kleinere, migrantisch geprägte Parteien. Das in Köln gegründete „Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit“ (BIG) war die erste von Migranten gegründete Partei, die bei Bundestagswahlen antrat. Weitere Parteien wie die „Allianz Deutscher Demokraten“ (ADD) und die „Alternative für Migranten“ scheiterten jedoch nach ihrer Gründung daran, bundespolitische Erfolge zu erzielen. Die 2024 gegründete Partei „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (DAVA) nahm an den Europawahlen teil, erfüllte jedoch nicht die Voraussetzungen für die Bundestagswahl und konzentriert sich nun auf Landtagswahlen.

Die Verantwortung der Wähler mit Migrationshintergrund

Das deutsche Wahlsystem führt dazu, dass Koalitionsbildungen häufig durch minimale Stimmenunterschiede entschieden werden. So gewann die SPD die Bundestagswahl 2021 mit nur 1,5 Prozentpunkten Vorsprung vor der CDU, was verdeutlicht, wie entscheidend die Wahlbeteiligung der Menschen mit Migrationshintergrund für den Wahlausgang sein kann.

Viele Migranten in Deutschland besitzen keine doppelte Staatsbürgerschaft und sind daher nicht wahlberechtigt. Doch diejenigen, die wählen dürfen, könnten durch ihre Stimme einen maßgeblichen Beitrag leisten, den Aufstieg der AfD zu verhindern. Parteien wie die SPD und die Grünen, die sich als migrationsfreundlich präsentieren, müssen nun konkrete politische Maßnahmen entwickeln, um das Vertrauen dieser Wählergruppen zurück zu gewinnen und ihre Anliegen wirkungsvoll zu adressieren.

Bundestagswahl mit unvorhersehbaren Folgen?

Die Bundestagswahl in Deutschland ist nicht nur ein politischer Wettstreit zwischen Parteien, sondern eine folgenreiche Entscheidung über den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die politische Zukunft des Landes. In einem Umfeld, in dem (teils) rechtsextreme Parteien wie die AfD zunehmend an Einfluss gewinnen, könnten sowohl die innenpolitische Stabilität Deutschlands als auch die außenpolitischen Strategien des Landes durch Wahlergebnisse in Mitleidenschaft gezogen werden.

Die künftige Bundesregierung wird vor großen Herausforderungen stehen. Im außenpolitischen Bereich wird entscheidend sein, wie Deutschland im Ukraine-Konflikt auf die russische Aggression reagiert. Zudem wird nach dem Wahlsieg von Donald Trump die Frage aufkommen, wie Deutschland auf eine stark geänderte Mittel- und Westeuropa-Politik der USA reagieren wird. Innenpolitisch werden Themen wie wirtschaftlicher Abschwung, Fachkräftemangel und die Wahrung des multikulturellen Zusammenlebens zentrale Herausforderungen darstellen.

Umfragen zufolge könnten rechtspopulistische und konservative Parteien wie die AfD und die CDU/CSU gemeinsam fast 50 Prozent der Stimmen erzielen, wobei etwa 20 Prozent auf die AfD entfallen könnten. Die Grünen, die Linkspartei und die SPD kämen zusammen auf rund 40 Prozent der Stimmen.

Dies führt zu zwei möglichen Regierungsszenarien: Die erste Option wäre eine „Große Koalition“ bestehend aus CDU und SPD. Die zweite Möglichkeit wäre eine Koalition zwischen der zum Teil rechtsextremen AfD und der konservativen CDU. In beiden Szenarien wird erwartet, dass die CDU nach der Ära Merkel wieder die Regierungsverantwortung übernimmt. Eine Koalition aus SPD, Grünen und der Linkspartei dürfte jedoch keine Mehrheit erzielen.

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