Angela Merkel. (AP)
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Deutschland blickt auf eine spannende Bundestagswahl und einen politischen Neuanfang mit neuen Führungspersönlichkeiten und Kanzlerkandidat:innen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird sich nach vier Legislaturperioden aus dem politischen Betrieb verabschieden. Seit dem 22. November 2005 im Amt, wird sich Merkel, die in dieser Zeit verschiedene Koalitionen angeführt hat, nicht erneut zur Wahl stellen. So gehen bald 16 Jahre der Regentschaft Angela Merkels, fast so lange wie die ihres politischen Ziehvaters Helmut Kohl, zu Ende. Merkel hat eine Ära in Deutschland geprägt. Sie wird daher vielen nicht nur als Politikerin und Bundeskanzlerin, sondern auch als Mensch fehlen.

Eine „hanseatische Ostdeutsche“

Die Politikerin, die oft als „erste ostdeutsche Kanzlerin“ betitelt wird, ist eine gebürtige Hanseatin. Als ältestes von insgesamt drei Geschwistern kam sie am 17. Juli 1954 als Angela Dorothea Kasner in Hamburg zur Welt. Ihr Vater Horst Kasner, der 2011 verstarb, war evangelischer Theologe. Ihre Mutter Herlind arbeitete als Lehrerin. Bereits einige Wochen nach ihrer Geburt siedelten die Eltern in die ehemalige DDR über, weil der Vater dort eine Pfarrstelle annahm. Die christlichen und religiösen Werte, von denen Merkel in Zukunft noch oft sprechen sollte, wurden ihr sozusagen in die Wiege gelegt. Ausgezeichnet als beste Russisch-Schülerin der gesamten DDR und als Mathematik-Genie mit einem Abiturschnitt von 1,0, begann Merkel in Leipzig Physik zu studieren. 1986 promovierte sie zum Thema „Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden“. Ihre Dissertation wurde mit 1,0 bewertet.

Zwei Ehen

Nach einer kurzen ersten Ehe von 1977 bis 1982 trennte sich Merkel von ihrem Mann Ulrich. Zwei Jahre später lernte sie in Berlin ihren jetzigen Ehemann Joachim Sauer kennen, den sie erst 1998 heiratete und mit dem sie heute in Berlin lebt.

Politischer Aufstieg

Das politische Engagement Merkels begann bereits vor dem Mauerfall. Angela Merkel nahm an den opponierenden Aktivitäten der Gruppierung „Der Aufbruch” (DA) teil. Die Vereinigung kümmerte sich unter anderem darum, demokratische Strukturen im Osten aufzubauen. Diese kirchennahe Organisation pflegte außerdem enge Beziehungen zur CDU und schloss sich der Partei 1990 sogar an. Somit war Merkel erstmals in der CDU angekommen. Als die CDU am 18. März 1990 bei den ersten und letzten demokratischen Volkskammerwahlen der ehemaligen DDR zur stärksten Kraft gewählt wurde, begann Merkels politischer Aufstieg. Die zukünftige Kanzlerin des wiedervereinigten Deutschlands wurde stellvertretende Regierungssprecherin der Regierung de Maizière. Weitere Karriereschritte folgten Schlag auf Schlag: 1990, also noch im gleichen Jahr, gewann die damals 35-jährige Merkel bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl ein Bundestagsmandat und wurde 1991, für viele unerwartet, durch den ersten Bundeskanzler des wiedervereinigten Deutschlands, Helmut Kohl, zur Bundesministerin für Frauen und Jugend ernannt. Drei Jahre später wurde „Kohls Mädchen”, wie Merkel damals noch oft bezeichnet wurde, Bundesumweltministerin. Als die Koalitionsregierung aus Union und FDP 1998 bei den Bundestagswahlen gegen Rot-Grün verlor, übernahm Merkel das Amt des damaligen CDU-Generalsekretärs Peter Hintze. Schließlich wurde sie im Jahr 2000 CDU-Vorsitzende und übernahm damit die Rolle der Oppositionsführerin, bis sie 2005 Gerhard Schröder ablöste.

Die Kanzlerinnenjahre

Merkel zeichnete sich bereits zu Beginn ihrer Kanzlerschaft als konstruktive und zusammenführende Person aus. So wurden in ihrer Amtszeit wichtige Hürden in der Migrations- und Integrationspolitik genommen: Die zahlreichen Integrationsgipfel, Islamkonferenzen, islamische Theologie an deutschen Universitäten, islamischer Religionsunterricht als ordentliches Schulfach oder die erfolgreiche Steuerung der Flüchtlingspolitik sind nur einige Errungenschaften aus der Amtszeit Merkels, die vor allem bei Einwanderern und Muslimen Beachtung finden. Zudem war die etwas verspätete Erkenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungs- und Integrationsland sei, eine weitere wichtige Botschaft für alle. Der unermüdliche Einsatz Merkels für Pluralität und Teilhabe war ebenfalls bemerkenswert. Ihre Wertschätzung für kulturelle und religiöse Vielfalt sowie gegenseitiges Vertrauen, Solidarität, Toleranz und Bescheidenheit haben die Menschen, besonders auch die türkischstämmigen Menschen in Deutschland, emotional berührt. Für viele Deutschtürken war Angela Merkel die „Kanzlerin der Mitte“, stets vereinend, die alle Richtungen, nicht nur der eigenen Partei, sondern der gesamten Gesellschaft repräsentierte und die nicht problem-, sondern lösungsorientiert handelte. Kurz: Sie war eine authentische und menschliche Persönlichkeit. Ihre ethischen und moralischen Werte hat die Kanzlerin nie außer Acht gelassen. Dies ist gerade bei Menschen aus der Politik nicht immer selbstverständlich. Und dafür wurde Merkel oft – auch aus den eigenen Reihen – angegriffen.

Merkel als Krisenmanagerin

Darüber hinaus hat Merkel als erste Kanzlerin Deutschlands sowie als erste Ostdeutsche an der Spitze eines der bedeutendsten Industriestaaten der Welt die CDU zu einer modernen und offenen Volkspartei umgeformt. Die Kanzlerin bewährte sich zudem als Krisenmanagerin. Mit ihrer Führungskraft wurde die Energiewende nach der Fukushima-Katastrophe vollzogen, die Wehrpflicht reformiert, die Finanz-, Euro-, Griechenland- und Flüchtlingskrise überwunden. Die Menschen trauten ihr nicht nur viel zu, sondern sie vertrauten ihr auch.

Merkel und Erdoğan: Regisseure des Flüchtlingsabkommens

Merkel hat zudem als versöhnende und empathische Bundeskanzlerin nicht nur die CDU, sondern auch unser gesamtes Land erfolgreich geführt und ihm zum internationalen Triumph verholfen. Ihren persönlichen und konstruktiven Politikstil hat die Kanzlerin auch in den zahlreichen Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan unter Beweis gestellt. Beide haben die deutsch-türkischen Beziehungen nachhaltig mitgeprägt und dafür gesorgt, dass Millionen von Geflüchteten einen sicheren Schutz genießen können.

Das unerfüllte Versprechen im NSU-Debakel

Nur in einem Punkt hat Merkel ihre christlich-moralischen Werte hintenanstellen lassen: Bei der zentralen Gedenkfeier für die Neonazi-Opfer hatte Merkel im Februar 2012 in Berlin ein Versprechen gegeben: „Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck.“ Leider blieb dieses Versprechen bis heute unerfüllt. Die Aufklärung der NSU-Morde ist weiterhin lückenhaft und unvollendet.

Dank, Anerkennung und Bedauern

Merkel hat, wie sie selbst immer zu sagen pflegte, ihre Pflicht erfüllt und unserem Land gedient. Dafür verdient sie Respekt und Dank. Es ist wahrscheinlich, dass der Abschied Angela Merkels nach den Bundestagswahlen bei vielen Menschen für großes Bedauern sorgen wird.

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